Die scheidende Vizebürgermeisterin Birgit Hebein will den Grünen als Parteichefin in Wien erhalten bleiben – und außerhalb des Gemeinderats politisch umrühren.

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Wien – Die herbe persönliche Enttäuschung über ihre Demontage bei den Wiener Grünen hat Birgit Hebein nicht versteckt. "Wenn der grüne Klub im Rathaus mehrheitlich kein Vertrauen mehr in mich hat, dann werde ich auch mein Gemeinderatsmandat nicht annehmen – denn ich mache keine halben Sachen", schrieb die scheidende Vizebürgermeisterin Birgit Hebein Mitte der Woche in sozialen Medien. Damit ist klar, dass Hebein im Gemeinderat keine Rolle bei der künftigen Oppositionspartei spielen wird.

Kampflos geschlagen gibt sie sich aber nicht: Denn Hebein kündigte an, ihre Position als gewählte Parteichefin weiterhin auszuüben – als Frontfrau der grünen Basis mit Aktivisten außerhalb des Gemeinderates. Im Clinch mit der Mehrheit der grünen Mandatarinnen und Mandatare, aber formelle Chefin der grünen Bewegung ohne politische Hausmacht: Wie geht das zusammen? Und vor allem: Wie ist es dazu gekommen? Fix ist, dass die gebeutelten Grünen mit dieser Entscheidung – wieder einmal – vor schwierigen Zeiten stehen.

Birgit Hebein wird ihr einfaches Gemeinderatsmandat nicht annehmen. Sie bleibt aber Parteichefin der Wiener Grünen.
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Bruch am Montag

Der Bruch zwischen dem grünen Klub im Gemeinderat und Hebein wurde am Montag vollzogen. Hebein kandidierte sowohl für das Amt als Klubchefin als auch für einen der beiden Posten als grüne nicht amtsführende Stadträtin. "Zu diesem Zeitpunkt musste Hebein wissen, dass ihr Antritt nicht von Erfolg gekrönt sein wird", sagt ein grüner Funktionär hinter vorgehaltener Hand. Denn die Entfremdung zwischen ihr und dem Grünen Klub um David Ellensohn sei nicht plötzlich passiert, sondern habe sich in den vergangenen Monaten verstärkt. Hebein legte es dennoch darauf an, ging – wie Pokerspieler sagen würden – All-in und vertraute auf die Rückendeckung durch die Basis, die sie als Parteichefin gewählt hat. Das Risiko ging nicht auf.

Bei der Wahl um den Klubchefposten erhielt Hebein nur vier Stimmen, 14 entfielen auf Amtsinhaber Ellensohn. Fast ebenso deutlich fiel die Abstimmung zwischen Hebein und Planungssprecher Peter Kraus um den ersten Stadtratsjob aus. Den zweiten Posten erhielt Quereinsteigerin Judith Pühringer: Die Arbeitsmarktexpertin, die von Hebein ins Team geholt wurde, setzte sich etwas knapper durch.

Dass Hebein als Spitzenkandidatin mit 14,8 Prozent der Stimmen das bisher beste Ergebnis der Grünen bei einer Wien-Wahl erreicht hat, war für die Klubmitglieder weniger bedeutend als der Rauswurf der Grünen aus der Stadtregierung. Für diesen wird die bisherige Verkehrsstadträtin intern mitverantwortlich gemacht. Auch wenn es letztlich natürlich eine Entscheidung von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) war, der auch die bundespolitische Situation im Blick hatte und Wien mit den Neos als Widerstandsnest gegen die türkis-grüne Bundesregierung inszenieren kann. Außerdem sind die Neos deutlich kleiner als die Grünen, was ebenfalls für Rot-Pink sprach. Das Vorpreschen Hebeins vor allem bei Verkehrsthemen wie der "autofreien" Innenstadt oder Pop-up-Radwegen und Gürtel-Pools im Wahlkampf soll den Roten aber die Entscheidung mehr als erleichtert haben.

Stadtchef Michael Ludwig (SPÖ) sondierte zwar mit Grünen-Chefin Birgit Hebein, auch Geschenke wurden ausgetauscht. Ludwig entschied sich aber für eine Koalition mit den Neos.
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Risiko war auch erfolgreich

Vor zwei Jahren ging Hebeins Risiko-Taktik noch perfekt auf. Die prononcierte Sozialpolitikerin, die etwa die Mindestsicherung in Wien mit der SPÖ verhandelte, entschied sich sehr spät dazu, die Nachfolge von Maria Vassilakou antreten zu wollen. Zur Wahl standen auch Kraus – als Vertreter des Realo-Flügels der Partei – und Klubchef Ellensohn. Letzterer wird wie Hebein dem linken Spektrum der Grünen zugeordnet. Mehr als 2500 Mitglieder der Basis nahmen an der Wahl teil.

Birgit Hebein trat die Nachfolge von Maria Vassilakou an.
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Und dort punktete Hebein – allerdings mit viel Anlauf: Im dritten Wahldurchgang boxte Hebein ihren direkten Kontrahenten Ellensohn aus dem Rennen. Im vierten und letzten Durchgang überholte sie dann auch noch den bis dahin führenden Kraus. Sie sicherte sich mit Zweitstimmen (die zuerst für Ellensohn und an zweiter Stelle für Hebein gestimmt haben) überraschend den Sieg.

Im Herbst 2019 war Hebein dann im Zenit ihrer Karriere, auch wenn sie das nicht ahnen sollte: Sie war nicht nur zur Vizebürgermeisterin und Parteivorsitzenden gekürt worden, sondern verhandelte als eine von fünf Grünen über eine Bundesregierung mit der ÖVP. Ihr Gegenüber, der türkise Klubobmann August Wöginger, attestierte ihr "breites Fachwissen"; der nichtrauchende Kanzler soll sich bei der einen oder anderen Zigarette zu ihr gesellt haben, um über Hürden der Regierungsbildung zu diskutieren. Der Ruf als zähe, aber kompromissbereite Verhandlerin eilte ihr auch in Wien voraus. Die grüne Macht wuchs, und dafür war auch Hebein verantwortlich.

Birgit Hebein verhandelte die türkis-grüne Bundesregierung mit.
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"Schwierige" Zusammenarbeit

War Hebein hart, aber fair? In ihrem Umfeld sehen das nicht alle so. Die Zusammenarbeit mit Hebein wird von vielen Mitstreitern als "schwierig" bezeichnet, und das ist noch höflich ausgedrückt. Die Rede ist von Ungeduld und Beratungsresistenz. Ein Beispiel: Hebein soll intern wie auch von externen Experten davor gewarnt worden sein, das von ihr verfolgte Verkehrsprojekt in der Innenstadt als "autofreie City" zu bezeichnen. Sie tat es dennoch – trotz der vielen Ausnahmen zum geplanten Einfahrtsverbot. Dem STANDARD sagte Hebein Ende Juni auf eine entsprechende Frage: "Von mir aus können Sie es Rosengarten nennen."

Den Kontakt zu wichtigen grünen Playern, sei es im Bund oder in Wien, soll Hebein nur mehr sporadisch gepflegt haben. Je näher der Wien-Wahlkampf rückte, desto problematischer soll sich das Verhalten der Vizebürgermeisterin gestaltet haben. Abgeordnete fühlten sich vor den Kopf gestoßen, weil die Spitzenkandidatin unangekündigt bei Wahlveranstaltungen auftauchte und sie das Gefühl hatten, ihnen würde das Rampenlicht gestohlen. Dazu kamen nahezu Einladungen für billigen Punktgewinn der Rivalen: etwa der Vorstoß, Menschen mit Migrationshintergrund bevorzugt einzustellen, oder die Idee, Verkehrspolizisten zu entwaffnen. Nicht nur für ÖVP und FPÖ war das ein gefundenes Fressen. "Kompromisslos und stur" nennen das kritische Weggefährten.

Andere meinen, dass man so etwas über einen Mann "nie sagen würde". Und dass man Hebeins Art im Kontext zu ihrer Biografie sehen müsse: Mit 19 Jahren aus dem Kärntner Hinterland nach Wien gezogen, dann als Sozialarbeiterin am unteren, oft vergessenen Rand der Gesellschaft unterwegs – und nebenbei eine erfolgreiche Karriere von der Bezirksrätin bis zur Vizebürgermeisterin. "Sie setzt sehr hohe Maßstäbe an sich selbst", sagt einer, der sie kennt – und diese Maßstäbe würde sie auch an ihre Mitarbeiter anlegen. Dass Hebein keine Spitzenposition im grünen Klub erhielt, kritisierte etwa die neue Gemeinderätin Viktoria Spielmann heftig. Sie sprach von einer Entscheidung "durch die Hintertür gegen den Willen der Basis".

Hebein erhielt kein Amt im grünen Rathaus-Klub. Peter Kraus und Judith Pühringer (im Vordergrund) werden nichtamtsführende Stadträte, Klubchef David Ellensohn und seine Vize Jennifer Kickert (im Hintergrund) führen den Klub.
Foto: Grüne Wien

Ein weiterer grüner Insider weist auf die besonderen Umstände von Hebeins Ära als Vizebürgermeisterin hin: Sie war gerade einmal als Nachfolgerin von Vassilakou gewählt worden, da kamen das Ibiza-Video und der EU-Wahlkampf. Weiter ging es mit der Nationalratswahl, nach der ihre Büroleiterin ein Mandat im grünen Klub erhielt. Während sich deren Nachfolgerin einarbeitete, bestritt Heben "nebenbei" die Koalitionsverhandlungen im Bund. Dann kam mit der Corona-Pandemie die nächste Ausnahmesituation – und schon war Wiener Wahlkampf. Das war eine mühsame und aufreibende Phase.

Hebein-Auftritt am Samstag

Wie soll es jetzt weitergehen? Hebein will trotz ihrer Demontage außerhalb des Rathauses die grüne Zukunft in Wien als Parteichefin mitbestimmen. Gewählt ist sie bis Ende 2021. Sie erhält ein Gehalt, das dem einer Gemeinderätin entspricht, ohne eine Klubabgabe. Noch offen ist, wie die Basis auf die Nichtwahl der Parteichefin im Gemeinderatsklub reagiert. Am Samstag steigt die erste Landesversammlung nach der Rückkehr zur Oppositionspartei. Das Event wird digital abgehalten. Auch Hebein wird das Wort ergreifen, davor wollte sie kein Statement abgeben. Grüne rechneten im Vorfeld mit einem "Theaterdonner ohne Eskalationspotenzial. Es hat schon wildere Geschichten bei uns gegeben."

Hebein meinte auf Facebook: "Unsere Herzensthemen sind und bleiben Klimaschutz und Gerechtigkeit." Wie eine künftige Zusammenarbeit mit dem grünen Klubchef Ellensohn und ihr in völlig veränderter Machtkonstellation funktionieren kann, darauf gab es noch keine Antwort. (David Krutzler, Fabian Schmid, Rosa Winkler-Hermaden)