Andreas Widhölzl genießt als Ex-Klassespringer das Vertrauen der Klassespringer. Richtung Innsbruck, auf dem Bergisel, gewann er am 3. Jänner 2000 im Rahmen der Vierschanzentournee.

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Wisla, Ruka, Nischni Tagil – fallen diese Namen quasi in einem Atemzug, muss es ums Skispringen gehen. Tatsächlich hob am Freitag mit der Qualifikation für das Einzelspringen am Sonntag in Polen, genauer in den Schlesischen Beskiden, der Weltcup ab. An den darauffolgenden Wochenenden wird in Finnland und Russland fortgesetzt. Dass es eine besondere Saison wird, lässt sich an der Tatsache ablesen, dass Mitte Dezember eine Skiflugweltmeisterschaft – die im vergangenen März abgesagte – in Planica steigen soll. Die Vierschanzentournee um den Jahreswechsel ist dann also schon der zweite Höhepunkt des dichten Springerwinters, der auch noch die Nordische WM Ende Februar in Oberstdorf bereithält.

Gelassenheit des Neuen

Andreas Widhölzl war darauf eingestellt, dass seine erste Saison als Cheftrainer einer Nationalmannschaft eine besondere sein würde. Zwei Wochen nach dem pandemie-bedingten Abbruch der Vorsaison kam der Tiroler infolge des Rücktritts von Andreas Felder bei den Österreichern in Amt und Würden – ein fast logisches Avancement für den Trainer des Kontinentalcup-Teams, der zudem schon unter den Cheftrainern Alexander Pointner und Heinz Kuttin als Assistent gewirkt hatte.

Am Freitag mit seinem Team in Wisla angekommen, fühlte der Sieger der Jahrtausendwende-Vierschanzentournee und Gewinner von 18 Weltcupspringen nicht viel mehr als leichte Anspannung und Vorfreude. "Es war gar keine Zeit, nervös zu werden", sagte der 44-Jährige dem STANDARD.

Glückliches Wellental

Unter den herrschenden Umständen eine halbwegs normale Vorbereitung durchzubringen erforderte Einsatz und Improvisationsgabe. Die Skispringer hatten das Glück, die wichtigsten Schritte im ersten Wellental der Pandemie setzen zu können. Und weil Skispringen – Achtung, Gemeinplatz! – ein Freiluftsport ist, konnte der Neue seine Trainingskurse durchziehen – in Innsbruck, Bischofshofen, Garmisch und Oberstdorf. Wohl fielen die traditionellen Schneesprünge in Skandinavien aus, grosso modo wurde aber nicht weniger gesprungen als vor normalen Saisonen.

Dass Widhölzl schnell in seine neue Rolle finden würde, war zu erwarten gewesen. Der Diplomsozialpädagoge setzt auf eine "offene und mutige Kommunikation" im Team, das sich gleichsam aus drei Springergenerationen zusammensetzt. Der Coach ist selbst noch zu Zeiten gesprungen, als Gregor Schlierenzauers Stern aufging. Der 30-jährige Stubaier ist quasi der Doyen der aktuellen Truppe. Weltcupsieger und Weitenweltrekordler Stefan Kraft, in der Vorbereitung zwar durch Rückenprobleme behindert, zuletzt aber gut in Schuss, ist ein allürenfreier Siegspringer, der gutes Abschneiden garantieren kann, selbst wenn es der Mannschaft mit potenziellen Top-Ten-Springern nicht nach Wunsch läuft. In der vergangenen Saison war der 27-jährige Pongauer mit fünf Siegen, acht zweiten und zwei dritten Plätzen der mit Abstand beständigste Springer der Szene.

Dem neuen Chef und dessen Assistenten Harald Diess und Robert Treitinger streut der Doppelweltmeister von 2017 Rosen. "Es ist ein schönes Miteinander, und das ist heuer noch einmal wichtiger." Bis nach der Skiflug-WM gibt es schließlich kaum ein Entkommen aus der Blase Springerzirkus.

Potenzial Athlet

Punkto Sprungtechnik und Material sei Widhölzl ohnehin auf dem letzten Stand. Das Vertrauen in den Ex-Weltklassespringer ist groß. Die Gefahr, in der erzwungenen Abschottungen von anderen Mannschaften technische Entwicklung verpasst zu haben, schätzte Widhölzl als gering ein. "Wir alle sind durch Reglement sehr eingeschränkt. Aber das meiste Potenzial liegt ohnehin in den Athleten."

Das gilt für Jungspund Jan Hörl (22) ebenso wie für Schlierenzauer, der im Bemühen, zum Sieg zurückzufinden, mehr als zuletzt integriert war. Dadurch hat sich auch die Rolle von Werner Schuster ein wenig geändert. Der ehemalige deutsche Cheftrainer, der wieder in Stams lehrt, ist mehr Mentor als Privattrainer. Der Draht zu Coach Widhölzl ist nicht nur deshalb gut, weil die Familien unweit voneinander auf dem Mieminger Plateau wohnen.

Wo die größten Konkurrenten wohnen, wird das erste Wochenende in Wisla mit einem Teamspringen und einem Einzelspringen andeuten. (Sigi Lützow, 21.11.2020)