Im Lockdown dürfen Waffengeschäfte offen halten, Buchgeschäfte hingegen nicht. Damit wird die Kulturlosigkeit auf die Spitze getrieben, so die Schriftstellerin Julya Rabinowich im Gastkommentar.

Bücher sind gefährlich, das wusste schon Ray Bradbury in seinem Werk Fahrenheit 451. Michail Bulgakow hielt hingegen in Der Meister und Margarita fest: Manuskripte brennen nicht. Das ist tröstlich. Tröstlich wie ein Buch, das auch in bedrückender Zeit erhellen und unterhalten, neue Gedanken wecken, unbekannte Aspekte des Lebens offenlegen kann. Weniger tröstlich ist das Bild, das Österreich derzeit bietet.

Bücher kontaktlos einkaufen? Auch Abholstationen sind nicht erlaubt.
Foto: Heribert Corn / http://corn.at

Wir sind offiziell eine designierte Kulturnation, in der die Waffengeschäfte im Lockdown Nummer zwei offen bleiben dürfen und die Buchhandlungen schließen müssen. Erstere sind nach einer Klage als systemrelevant eingestuft worden. Gustieren vor Ort muss man noch können. Nicht den Buchrücken, sondern den Gewehrlauf streicheln. Literatur ist hingegen nicht systemrelevant. Auch Büchereien und Buchhandlungen. Den Buchhandlungen ist es zusätzlich untersagt, Bücher kontaktlos in Abholstationen auszuliefern. Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch und kein Gewehr und auch keine Pizza, die derzeit problemlos aus einer solchen Station abgeholt werden könnte, als ob Bücher keine geistige Nahrung darstellen würden. Zu hoffen bleibt, dass die Anzahl jener Menschen, die sich jetzt unbedingt bis auf die Zähne bewaffnen müssen, um ihr Überleben zu gewährleisten, deutlich geringer ausfällt als jene der Lesehungrigen, die ihre geistige Gesundheit lieber mit Literatur sichern.

Vorsorgliches Wegsperren

Freilich gibt es Situationen, die diese Beschlüsse absolut logisch erscheinen lassen. Bei einer Zombieapokalypse zum Beispiel würde das alles Sinn machen. Mit einem guten Buch hat noch keiner einen Untoten vertrieben. Anderer Erklärungsversuch: Die Feder ist bekanntlich spitzer als das Schwert und weist deswegen das weit größere Verletzungspotenzial auf. Das vorsorgliche Wegsperren der Bücher ist womöglich von Minister Rudolf Anschober und Kanzler Sebastian Kurz weise vorausgesehene Sicherungshaft.

Man könnte aber auch annehmen, dass hier einfach – ob gewollt oder ungewollt – die Kulturlosigkeit auf die Spitze getrieben wird. Die Kulturnation Österreich verabsäumt, Regelungen für diesen sensiblen und für Bildung und Entwicklung so wichtigen Bereich den Umständen anzupassen. Auf einen wohl ebenfalls spitzen Tweet der Nationalratsabgeordneten Sabine Schatz "Wer braucht schon Bücher, wenn man Waffen kaufen kann?" lautete die Antwort Anschobers: "Wer braucht schon seriöse Politik, wenn auch Populismus geht?" Das ist allerdings eine wirklich wichtige Frage, die der Kanzler am besten beantworten könnte, wenn er denn Interesse daran hätte.

Kafkaeske Situation

Kurz zusammengefasst: Die Situation ist kafkaesk. Nicht nur leidet die gesamte Kulturszene massiv unter den Lockdowns, sondern auch der heimische Buchhandel, der als David gegen Goliath namens Amazon kämpfen muss. Bei vielen Bestellungen stehen die Portokosten in keiner Relation zu den Buchpreisen. Amazon ist ein Big Winner des ersten Lockdowns. Und mit einiger Sicherheit auch der noch größere Gewinner des zweiten. (Julya Rabinowich, 21.11.2020)