Wenn eines sicher ist, dann ist es die Tatsache, dass Zucker kein wirklich tolles, umwerfendes Produkt ist.

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In Wahrheit wird damit etwas künstlich am Leben gehalten, so der Experte für Europarecht Stefan Brocza im Gastkommentar.

Rund 70.000 Euro Ernteausfallssubvention pro geretteten Arbeitsplatz in der Zuckerfabrik Leopoldsdorf und die Zulassung von Neonicotinoid-haltigen Pflanzenschutzmitteln (das sind ausgerechnet jene Pflanzenschutzmittel, die zum bekannten Bienensterben besonders stark beitragen) – das sind die Eckpunkte des sogenannten "Pakts zur Rettung des heimischen Zuckers" von Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP).

Gerettet ist damit zuallererst natürlich die Versorgung des milliardenschweren börsennotierten Zucker-, Frucht- und Stärkekonzerns Agrana mit kostengünstigen Zuckerrüben als Ausgangsstoff für ihre Produktion. Denn es war ursprünglich die Agrana, die mit der Schließung ihrer Zuckerfabrik im niederösterreichischen Leopoldsdorf drohte, nachdem heimische Landwirte den Anbau von Zuckerrüben, der sich wirtschaftlich einfach nicht mehr lohnte, in den letzten Jahren immer mehr reduzierten.

Alles anders

Jetzt ist plötzlich alles anders. Nachdem die österreichische Bundesregierung das Thema "Selbstversorgung im Krisenfall" für sich entdeckt hat, werden zunehmend wieder Produktionen gefördert und subventioniert, die bisher aus gutem Grund in Österreich zurückgefahren wurden. Zucker ist eines dieser Produkte. Denn wenn eines sicher ist, dann ist es die Tatsache, dass Zucker kein wirklich tolles, umwerfendes Produkt ist.

Das Endprodukt erzielt in den Supermärkten aktuell einen Kilopreis von unter 60 Cent. Der Anbau laugt den landwirtschaftlichen Boden aus, die Produktion ist energieintensiv und benötigt kaum Arbeitskräfte, weil die Abläufe hochgradig technisiert sind. Dazu kommt noch, dass Zucker eines der wenigen Agrarprodukte ist, die die ärmsten Entwicklungsländer der Welt zoll- und kontingentfrei in die EU verkaufen können. Wer also jetzt ausgerechnet die heimische Zuckerproduktion subventioniert, torpediert damit auch gleich noch erfolgreiche Entwicklungspolitik und somit die viel strapazierte "Hilfe vor Ort". Mit einem Wort: Mit Zuckerrüben ist nicht einmal der sprichwörtliche Blumentopf zu gewinnen.

Rettung des heimischen Zuckers

Dennoch überschlagen sich gerade alle Beteiligten mit Jubelmeldungen ob der Rettung des heimischen Zuckers. Die Bauernvertreter, weil Bund und Länder eine Wiederanbauprämie von 250 Euro pro Hektar zahlen, wenn der erste Rübenanbau durch Schädlinge vernichtet wird und man einen zweiten Anbau durchführen muss. Zudem, weil die Agrana Abnahmeverträge garantiert und die Bereitstellung von Saatgut zusagt. Der niederösterreichische Agrarlandesrat Stephan Pernkopf begrüßt die Neuzulassung von wirksamen Pflanzenschutzmitteln und tut Kritik daran wegen eines möglichen Bienensterbens als "populistisch" ab. Selbst Arbeiterkammer und Gewerkschaft stimmen in den Jubel mit ein: Immerhin werden ganze 150 Arbeitsplätze (für zuerst einmal drei Jahre) "gesichert".

Die einhellige Begeisterung wird nur durch eine Entscheidung von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) getrübt: Dieser plant nämlich ein absolutes Werbeverbot für etwa Fruchtmilch, Joghurtprodukte, Süßigkeiten, Kuchen, Desserts, Speiseeis, Müsliriegel und Softdrinks. Grund dafür: ihr ungesunder hoher Zuckeranteil. (Stefan Brocza, 23.11.2020)