Vor Steuern betrachtet sind die Einkommen von Jungen nach der Finanzkrise gesunken.

Foto: Christian Fischer

In Zeiten der Krise blicken alle gebannt auf eine Zahl: das Wirtschaftswachstum. Für heuer gehen Konjunkturforscher davon aus, dass Österreichs Wirtschaft um rund acht Prozent schrumpft. Wie sich der harte Lockdown und die Pandemie noch auswirken, bleibt abzuwarten.

Doch hinter dem Barometer für die gesamte Volkswirtschaft steht die wichtige Frage, wie der Wohlstandsverlust innerhalb der Gesellschaft aufgeteilt ist. Steigt die Ungleichheit in der Krise? Oder ebnet der Einbruch die Unterschiede ein?

Auswirkung auf Gesellschaft

In einer neuen Analyse betrachten die Ökonomen Stefan Jestl und Emanuel List vom World Inequality Lab die Entwicklung des Wohlstands in Österreich von 2004 bis 2016. Dabei wird der Effekt der Finanzkrise 2008 sichtbar. Die Ergebnisse bergen wertvolle Einsichten für die aktuelle Misere.

Das Besondere an der Arbeit: Angaben aus Befragungen werden mit Steuerdaten und anderen volkswirtschaftlichen Indikatoren abgeglichen, um häufig auftretende Unschärfen zu bereinigen. Damit gewinnen die Forscher ein realistischeres Bild der Gesellschaft.

In den Jahren vor der Finanzkrise erlebte Österreich ein robustes Wachstum. Nach dem globalen Crash brach das nationale Einkommen um gut fünf Prozent ein, also weniger als in der jetzigen Krise. Zunächst erholte sich die Wirtschaft V-förmig, auf die Eurokrise 2011 folgten vier magere Jahre der Stagnation, bis es wieder aufwärts ging.

Ungleichheit nach Krise gesunken

Genauer betrachtet sind Arbeitseinkommen über die gesamte Periode gleichmäßig gewachsen. Während der Krise brachen vor allem Kapitaleinkünfte etwa aus Aktien ein. Auch Unternehmensgewinne erlitten einen starken Dämpfer.

Dass sich verschiedene Arten von Einkommen vor und nach einer Krise anders entwickeln, beeinflusst auch die Ungleichheit in der Gesellschaft. Ab 2006 wurde die Einkommensverteilung in Österreich gleichmäßiger. Reiche waren von der Krise relativ betrachtet stärker betroffen. Doch nach 2012 drifteten die Einkommen von Arm und Reich wieder auseinander, stellen die Autoren fest.

Zwei Gruppen heben die Autoren als Verlierer bei den Einkommen hervor: Geringqualifizierte und junge Menschen erlebten Einkommenseinbußen über die Jahre. Bei unter 30-Jährigen lag das Einkommen im Jahr 2015 um rund zehn Prozent unter dem Wert von 2004. Danach verbesserte sich die Situation etwas. Die Corona-Krise könnte den positiven Trend ersticken.

Wohlgemerkt, geht es dabei um sämtliche Einkünfte, bevor sie versteuert werden. Wie sich die Einkommen unterm Strich entwickeln, zeigt, wie effektiv der Sozialstaat funktioniert.

Stabile Umverteilung

Sobald Steuern und Abgaben ins Spiel kommen, werden tatsächliche Unterschiede im Lebensstandard sichtbar. Die Forscher stellen fest, dass der österreichische Sozialstaat durchaus ordentlich umverteilt: Das typische Maß für Einkommensverteilung ist der Gini-Koeffizient. Bei maximaler Ungleichheit beträgt dieser Wert 100 Prozent. Wenn alle genau gleich viel haben, liegt der Gini bei null. Durch das Steuersystem wird der Gini-Koeffizient in Österreich von mehr als 40 auf rund 25 gedrückt.

Dabei zeigt sich, dass die Mittelklasse weder profitiert noch draufzahlt. Auf die ärmere Hälfte der Österreicher entfallen durch Umverteilung mehr als 30 Prozent des nationalen Einkommens. Nach Steuern erhalten die obersten zehn Prozent im Land nie mehr als 30 Prozent des Gesamteinkommens.

Eine Lehre aus der Einkommensentwicklung rund um die letzte Krise: Der Sozialstaat hat gut funktioniert, um die Ungleichheit im Land auf demselben, vergleichsweise geringen Niveau zu halten. Allerdings spielen dabei Transferleistungen eine gewichtige Rolle. Dass die Einkommen vor Steuern von jungen Menschen und Personen mit geringer Qualifikation im Gegensatz zu anderen Gruppen nach der letzten Krise sanken, offenbart politischen Nachholbedarf.

Die jüngsten Arbeitslosenzahlen legen nahe, dass in der Corona-Krise wieder diese beiden Gruppen draufzahlen. (Leopold Stefan, 23.11.2020)