Im Kampf gegen Rassismus reicht es nicht, zu sagen, dass man Rassismus ablehnt.

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Hat Ihnen schon einmal jemand ungefragt erklärt, wie die Sitten in "unserer Kultur" so sind? Wohlgemerkt als erwachsenem, in Österreich seit Jahrzehnten lebendem Menschen. Etwa dass man hier "Grüß Gott" zur Begrüßung sagt, dass Anfang Dezember der Nikolo Kinder besuchen kommt – oder dass man "Danke" sagt? Vielen Österreicherinnen und Österreichern passiert das jeden Tag. Diesmal fand es im österreichischen Parlament statt.

ÖVP-Abgeordneter Reinhold Lopatka fühlte sich dazu bemüßigt, der SPÖ-Abgeordneten Nurten Yılmaz angebliche Höflichkeitsformen "unserer Kultur" zu erklären: "Kollegin Nurten Yılmaz, in unserer Kultur ist es nichts Unanständiges, wenn man Danke sagt." Sein Parteikollege, Innenminister Karl Nehammer, habe sich "ein Danke verdient".

Nicht dazugehören

Diese Auseinandersetzung zeigt einmal mehr, was Betroffene schon lange wissen: Man kann Deutsch noch so gut sprechen, sich trotz der Diskriminierung noch so weit hochgearbeitet haben – von "unserer Kultur" wird man trotzdem ausgeschlossen. Alltagsrassismus ist – das Wort verrät es schon – für Betroffene Alltag. Regelmäßig wird Marginalisierten deutlich gemacht, dass sie nicht zu Österreich gehören, sei es durch ein direktes "Geh dorthin zurück, wo du hergekommen bist" oder das ständige Nachfragen, wo man eigentlich/wirklich/ursprünglich (nach Belieben einsetzbar) herkomme. Und selbst wenn es um so offensichtliche Beispiele wie jenes von Lopatka geht, wird nicht effektiv über Rassismus, dessen Auswirkungen und was man gegen ihn tun kann gesprochen. Sondern es folgt erst einmal: Relativierung, Abwehr, Ablenkung.

Wieso ist es so schwierig, über Rassismus zu sprechen? Wieso fällt den Kritisierten eine Entschuldigung so schwer? Wieso ist die Diskussion für Betroffene so ermüdend? All das hängt mit den typischen Mustern zusammen, mit denen zunächst auf den Vorwurf des Rassismus reagiert wird. Sie lenken vom eigentlichen Problem (Rassismus) sowie der eigenen Verantwortung ab (Derailing).

Nicht so gemeint

Lopatka fühlte sich zunächst einmal missverstanden. "Danke zu sagen ist Teil unserer gemeinsamen Alltagskultur in Österreich", schrieb der ÖVP-Abgeordnete auf Twitter, und davon habe er Yılmaz "ganz sicher nicht ausschließen wollen".

Es nicht so beziehungsweise eigentlich anders gemeint zu haben ist eine ganz typische Reaktion weißer Menschen, wenn ihnen Rassismus vorgeworfen wird. Was "nicht so gemeint" war, ist aber deshalb nicht automatisch akzeptabel. "Wenn ich dir mit meinem Auto über den Fuß rolle und dir diesen dabei breche", führt die Autorin Tupoka Ogette in "Exit Racism" als drastisches Beispiel an, "verändert sich der Grad deiner Fußverletzung dann gemessen daran, ob ich es bewusst oder unbewusst gemacht habe? Sicherlich nicht." Die Intention ist vielleicht für die Person, die etwas Rassistisches sagt, relevant, aber für Betroffene sind die Folgen zunächst gleich. Es sind nicht "nur" Worte, für Betroffene haben sie konkrete und direkte Folgen. Mit der ständigen Wiederholung werden sie an den Unterschied zwischen ihnen und der Mehrheitsgesellschaft erinnert, und ihnen wird verdeutlicht, nicht dazuzugehören. Wichtig wäre, nicht auf dem eigenen Standpunkt des "Nicht so gemeint" zu bestehen, sondern Stimme und Argumente Marginalisierter ernst zu nehmen.

Das war doch nicht rassistisch

"Rassismus ist mir fremd", schrieb Lopatka, ihm rassistische Entgleisungen vorzuhalten entbehre "jeder Grundlage" und sei "unfair". Damit stellte der ÖVP-Abgeordnete den Vorwurf an sich infrage, anstatt auf ihn einzugehen. Rassisten sind aber nun mal nicht nur jene, die es zugeben oder die mit Glatze und Springerstiefeln "Ausländer raus" rufen. Wir sind alle rassistisch sozialisiert: Rassismus ist in unserer Geschichte, unserem Alltag, unserer Sprache so verankert, dass wir gar nicht anders können, als rassistische Denkmuster zu entwickeln. "Nur weil man sich nie bewusst Gedanken über Herkunft, Hautfarbe und Identität gemacht hat, läuft man nicht vorurteilsfrei durch die Gegend", schreibt die Autorin Alice Hasters. "Man bemerkt bloß nicht, dass man diese Vorurteile hat."

Es reicht also nicht, zu sagen, dass man Rassismus ablehnt. Man muss sich aktiv mit Rassismus und dessen Wirkungsweisen auseinandersetzen – und diese auch im eigenen Verhalten reflektieren, anstatt reflexartig abzublocken.

Entschuldigung, wenn ...

In weiterer Folge tut es Lopatka tatsächlich leid, aber nur, "sollte sich Kollegin Yılmaz persönlich verletzt fühlen". Die Schuld wird damit indirekt Yılmaz gegeben, die sich ja auch einfach nicht "verletzt fühlen" könnte. Und Rassismus wird damit auf ein "Gefühl" reduziert, als ob es sich dabei nicht um Fakten handeln könne. Immer wieder wird Betroffenen vorgeworfen, sie seien zu emotional oder sensibel bei dem Thema, sollten sich doch nicht so hineinsteigern, es gebe doch wichtigere Probleme. Dabei hat es nichts mit überbordender Sensibilität zu tun, Rassismus zu kritisieren oder darauf emotional zu reagieren. Es ist klar, dass eine Person, die Rassismus nicht (täglich) erlebt, andere Erfahrungen macht und diese deshalb nicht nachvollziehen kann. Das bedeutet aber nicht, dass Rassismus nicht real oder Diskussionen darüber übertrieben sind, sondern nur, dass die weiße Mehrheitsgesellschaft ihn nicht sieht, selbst nicht wahrnehmen muss, weil er für sie selbst kein Problem darstellt.

Mittlerweile sind diese bewusst und unbewusst eingesetzten Derailing-Strategien (und noch einige mehr) bekannt, es gibt zahlreiche Bücher zu dem Thema (siehe unten). Dennoch beschäftigen sich damit immer noch nur wenige weiße Menschen. Wenn Marginalisierte sich Zeit und Energie nehmen, ihnen zu erklären, was an bestimmten Aussagen problematisch ist und welche Reaktion angemessen wäre, folgt meist der Derailing-Teufelskreis. Dabei bräuchte es in den meisten Fällen lediglich eines: eine ernstgemeinte Entschuldigung ohne Wenn und Aber. (Noura Maan, 23.11.2020)