Ende Oktober kündigte Christoph Badelt an, seine Funktion als Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) nach dem Auslaufen seines aktuellen Vertrags im September 2021 niederzulegen. Das Wifo ist eines der zentralen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute und für die Medien eine wichtige Anlaufstelle bei Fragen zur österreichischen Wirtschaftsentwicklung. Nicht zuletzt deshalb war Christoph Badelt im letzten halben, vom Coronavirus geprägten Jahr dutzende Male in Print- und Onlinemedien, im Radio und Fernsehen zu lesen, zu hören und zu sehen. Die Anzahl der Menschen, die er dabei erreicht, und damit auch seine Vorbildwirkung – insbesondere für angehende Ökonominnen und Ökonomen – ist enorm.

Christoph Badelt legt seine Funktion als Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) zurück. Wird eine Ökonomin folgen?
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Man stelle sich vor, diese Funktion würde künftig von einer Expertin erfüllt. Die untenstehende Tabelle zeigt, dass das Wifo seit der Gründung im Jahr 1927 ausschließlich unter männlicher Leitung stand. Welche Veränderungen würden sich für die von Männern dominierte Wirtschaftsforschung ergeben? Und welche Auswirkungen hätte das auf die Geschlechterbalance in der Wirtschaftswissenschaft?

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Mind the gap: Männliche Wirtschaftsforschung vs. weibliche Wissenschaftsassistenz

Die Zahlen zeigen ein eindeutiges Bild: In der Wirtschaftsforschung sind Frauen stark unterrepräsentiert, mit einer – wie so oft – wachsenden Diskrepanz entlang der Karriereleiter. Laut Personalliste des Wifo-Jahresberichts aus dem Jahr 2019 repräsentierten Frauen 79 Prozent der wissenschaftlichen Assistenz im Vergleich zu 29 Prozent des wissenschaftlichen Personals. Das Wifo ist hier aber keinesfalls als besonderes Negativbeispiel an den Pranger zu stellen. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch für andere österreichische und internationale Forschungsinstitute und Universitäten. Die Problematik wird regelmäßig medial aufgegriffen; beispielsweise machte Margit Schratzenstaller (2016 bis 2019 stellvertretende Leiterin des Wifo) im Kontext des jährlichen Ökonominnen- und Ökonomenrankings darauf aufmerksam, warum Ökonominnen in der Minderheit sind.

Kurz vor der Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises – der bislang mit Elinor Ostrom (2009) und Esther Duflo (2019) erst an zwei Ökonominnen von insgesamt 86 Preisträgerinnen und Preisträgern vergeben wurde – flammten Diskussionen zur unbewussten Diskriminierung von Frauen in der Volkswirtschaftslehre, sowohl durch Männer als auch durch Frauen, erneut auf. Einige Zahlen: In Deutschland und in den USA sind 35 Prozent der Studierenden in der Volkswirtschaftslehre weiblich; gleichzeitig liegt der Anteil der Professorinnen bei lediglich 15 Prozent. In Österreich liegt beispielsweise der Frauenanteil am Department Volkswirtschaft der Wirtschaftsuniversität Wien bei 51 Prozent, der Frauenanteil unter den Professorinnen und Professoren nur bei 13 Prozent. Der Professorinnenanteil an der Universität Wien im Bereich der Volkswirtschaft liegt zumindest bei 25 Prozent.

Für einen europäischen Ländervergleich stehen keine einheitlichen Statistiken zur Verfügung. Aus diesem Grund gab der Ausschuss für Frauen in der Volkswirtschaft Women in Economics (WinE) der European Economic Association (EEA) eine Studie in Auftrag, welche die Frauenanteile in Wirtschaftsforschungseinrichtungen über Web-Scraping erhob.

Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen 33 Prozent aller Forschenden an europäischen Institutionen repräsentieren. Der Anteil sinkt auf 24 Prozent, wenn nur ProfessorInnenstellen berücksichtigt werden. Österreich liegt mit Anteilen von 35 Prozent an allen Wirtschaftsforschenden und 26 Prozent der ProfessorInnen im europäischen Mittelfeld. Die Autorinnen und Autoren verweisen zudem darauf, dass in prestigeträchtigeren Forschungseinrichtungen in Europa der Frauenanteil geringer ist als in weniger anerkannten Institutionen.

Frauen in der Volkswirtschaftslehre bereichern die Disziplin – auf allen Ebenen

Wenn eine Wissenschaftsdisziplin vorwiegend von Männern geprägt und gedacht wird, führt dies zu einseitiger Wissensproduktion und einer verzerrten intellektuellen Entwicklung des Fachgebiets. So wird die Volkswirtschaftslehre einem wichtigen Aspekt ihres Studienobjekts – einer heterogenen Gesellschaft – nicht gerecht. Damit geht eine einseitige Politikberatung einher, die Bedürfnisse und Forderungen von großen Gesellschaftsgruppen ungenügend berücksichtigt oder gar ausblendet. Studien zeigen, dass sich die Meinungen von Ökonominnen und Ökonomen in Bereichen wie staatliche Interventionen, Besteuerung von Konsum und Eigentum oder Bedingungen in Freihandelsverträgen wesentlich unterscheiden.

Es wurde beispielsweise gezeigt, dass es für Ökonominnen im Durchschnitt weniger wahrscheinlich ist als für Ökonomen, Marktlösungen gegenüber staatlichen Interventionen (insbesondere im Bereich des Kündigungsschutzes von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern) zu präferieren. Die zweitgrößten Diskrepanzen dieser Erhebung zeigten sich im Bereich wirtschaftlicher Maßnahmen für den Umweltschutz (zum Beispiel niedrigere Mehrwertsteuersätze auf umweltfreundliche Produkte, Steuern auf Kohlendioxidemissionen), für welche sich Ökonominnen mit höherer Wahrscheinlichkeit aussprachen. Die Studienautorinnen und -autoren folgern, dass die Diskrepanz der Meinungen von Ökonominnen und Ökonomen unter anderem einer der Aspekte sein kann, warum der Aufholprozess des Frauenanteils in den Wirtschaftswissenschaften in den letzten Jahren weniger stark ausgeprägt war als in den Mint-Fächern (Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften und Technik). Diese Vielfalt an Meinungen sollte jedoch als Bereicherung des Forschungsfeldes gesehen werden, auch wenn das Aufbrechen von bestehenden Strukturen als unbequem empfunden werden kann.

Etablieren von Role-Models

Vielschichtige Ansätze, um die Kluft zu schließen und die gläserne Decke zu durchbrechen, werden diskutiert: von Mentoring über Karriereprogramme für Wissenschafterinnen, Förderung von Interdisziplinarität und Frauenquoten bis hin zur langfristigen Überarbeitung sozialer Normen der Arbeitsverteilung. Aber auch das Sichtbarmachen von Ökonominnen – das Etablieren von Role-Models – kann Änderungen herbeiführen.

Frauen in Spitzenpositionen haben eine wichtige Vorbildwirkung und können so zukünftige Generationen von Ökonominnen (aber natürlich auch Ökonomen) inspirieren. Die empirische Evidenz spricht dafür: Eine Feldstudie, durchgeführt an einer US-amerikanischen Universität, untersucht den Einfluss von Erzählungen über die eigene Studienerfahrung von zwei Ökonomik-Absolventinnen in Eingangslehrveranstaltungen auf den weiteren Studienverlauf von Studentinnen. Im Vergleich zur Kontrollgruppe, die diese Erfahrungen nicht präsentiert bekommen hat, führt allein diese wenig aufwendige Maßnahme zu einer Verdoppelung der Anzahl von Frauen, die Volkswirtschaftslehre später als Hauptfach wählten. Zu einem ähnlichem Ergebnis kommt eine randomisierte Kontrollstudie, die den Effekt von zweitägigen Workshops mit weiblichen Senior Economists auf den akademischen Werdegang von Jungökonominnen untersucht. Dieses Angebot erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen eine akademische Karriere einschlugen und in der Folge eine Tenured oder Tenure-Track-Stelle in einer der Top-50 gerankten Institutionen innehatten.

Die gläserne Decke soll brechen ...

Einige große Institutionen haben diese Ergebnisse aufgegriffen und gehen mit gutem Vorbild voran. Erstmals soll seit der Gründung im Jahr 1995 die Welthandelsorganisation (WTO) von einer Frau geleitet werden. Die WTO nahm dies auch zum Anlass, um eine Serie namens "Women Pioneers at the WTO" zu initiieren. Im Jahr 2019 startete das Centre for Economic Policy Research die Women in Economics Initiative.

Zum Aufbrechen der erhärteten Strukturen bedarf es jedoch nicht nur der gezielten Förderung von Ökonominnen auf unteren und mittleren Ebenen, sondern auch des Willens, für die Top-Positionen in der Disziplin qualifizierte Frauen zu gewinnen. Wer behauptet, es gibt nicht genug gut qualifizierte Ökonominnen, hat nicht ernsthaft nach ihnen gesucht. Mit Expertinnen wie Gita Gopinath, seit 2019 erste Chefökonomin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, seit 2019 erste Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Beata Javorcik, seit 2019 Chefökonomin der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), und Carmen Reinhart, seit Juni 2020 Chefökonomin der Weltbank, wurde der Vorbilderpool auf dem internationalen Parkett in jüngster Vergangenheit wesentlich bereichert. Auf nationaler Ebene hinkt man hier noch hinterher.

... auch in Österreich

In Österreich entstand daher im Jahr 2003 die VrauWL zur Förderung und Stärkung von Frauen in einer männlich dominierten Wissenschaft, für die es an der Zeit ist, auf allen Ebenen für Frauen geöffnet zu werden. Die vielfältigen Aktivitäten der VrauWL reichen von Mentoringprogrammen zu Veranstaltungen, für die Ökonominnen in Top-Positionen als Role-Models für den Nachwuchs fungieren.

Die Nachbesetzung der Leitungsposition am Wifo im Herbst 2021 rückt damit ins Rampenlicht. Eine Frau an der Spitze des größten Wirtschaftsforschungsinstituts in Österreich könnte dem langsamen Fortschritt hin zu einer fairen und ausgewogenen Repräsentation von Frauen in der Volkswirtschaft neuen Schwung verleihen. It's about time! (Julia Grübler, Pia Heckl, 24.11.2020)