"Um ehrlich zu sein, es ist nicht besonders lustig", seufzt Lisa Herbelot. Die Geschichtsstudentin aus Nanterre in Frankreich kam im September für ein Erasmussemester an die Universität Wien. So wie hunderte andere Austauschstudierende, die es jährlich in die Hauptstadt zieht, wollte Herbelot ihr Deutsch verbessern, neue Leute kennenlernen und die Kultur der Stadt erleben.

Doch dieses Jahr ist alles anders. Seit Anfang November ist Österreich wieder im Lockdown, seit dieser Woche gelten wie im Frühjahr strenge Regeln. Für die Studierenden bedeutet das, dass sie alle Kurse online fortsetzen müssen. Viele haben ihr Auslandssemester daher gar nicht erst angetreten. Die Uni Wien verzeichnet dieses Wintersemester um 40 Prozent weniger Austauschstudierende als im Wintersemester 2019, an der Wirtschaftsuniversität ist nur ein Viertel der üblichen Zahl gekommen. An der Technischen Uni Wien hingegen gibt es einen relativ geringen Rückgang von 30 Prozent im Vergleich zu den Zeiten vor der Pandemie.

"Im Grunde haben wir alle damit gerechnet, dass ein Lockdown kommen würde", erzählt Isabella Bessano aus Bologna. "Dass wir im Oktober trotzdem noch auf die Uni konnten, war wunderbar. Das hatte ich das letzte Mal im März." Die 23-jährige Jus-Studentin ist daher froh, in Wien zu sein, denn der österreichische Lockdown ist immer noch deutlich sanfter als der, den sie im Frühling in Italien erlebt hatte: "Immerhin dürfen wir das Haus verlassen."

Einsamkeit

Auch für James O’Donnell sind die Pandemiemaßnahmen bisher keine allzu große Einschränkung. "Das Arbeitspensum in meinem Geschichtsstudium ist so hoch, dass ich sowieso nicht viel fortgegangen wäre", sagt der 19-jährige Brite. "Wir sind alle in der gleichen Situation, und das verbindet uns", fügt Bessano hinzu. Sie vermisst die Clubs und Partys, die normalerweise zu Erasmusaufenthalten dazugehören, kein bisschen.

Einzig das Kulturangebot der Hauptstadt geht den Studierenden ein wenig ab. Und, dass man schwieriger Leute kennenlernt: "Ein bisschen einsam fühle ich mich schon", gibt Herbelot zu.

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Endlich da – und dann Lockdown. Wer zum Studieren nach Wien gekommen ist, verbringt auch viel Zeit in einer ausgestorbenen Stadt.
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Die Gründe, warum sich die Studierenden trotzdem für ein Erasmussemester in Wien entschieden haben, sind vielfältig. Für die Italienerin Bessano, die sich in ihrem letzten Studienjahr befindet, war es die letzte Möglichkeit, ins Ausland zu gehen. Und als sich die Französin Herbelot beworben hat, sei Covid-19 noch fern gewesen. "Ich hatte immer die Hoffnung, dass es schon nicht so schlimm werden würde", erinnert sie sich.

Lehrveranstaltungen im Heimatland

Bislang stufen auch die Universitäten die Lage nicht als schlimm ein. Eine generelle Empfehlung zur Heimreise gibt es nicht – man überlasse die Entscheidung den Studierenden, heißt es zum Beispiel an der WU. In den meisten Fällen könnten die Lehrveranstaltungen auch aus dem Heimatland absolviert werden. Wie viele dieses Angebot in Anspruch nehmen werden, sei allerdings noch unklar.

Am schwersten hätten es in Pandemiezeiten jene Universitäten, deren Programme sich gezielt an internationale Studierende richten, sagt Liviu Matei, Vizerektor der Central European University in Wien. "Die größte Herausforderung war die Beschaffung der Visa für unsere Studierenden." Für viele Studierende aus Drittstaaten wurde der Aufenthaltstitel wegen der Pandemie zur Zitterpartie.

So auch für Yana Krastina. Sie wollte eigentlich Ende September nach Wien kommen, um an der Diplomatischen Akademie ihren Master zu beginnen. Doch Belarussen mussten damals in Moskau ein österreichisches Visum beantragen – für die Studentin eine Unmöglichkeit, da die Grenzen zwischen Belarus und Russland aufgrund der Pandemie geschlossen waren. Zu ihrem Glück wurde die Regelung Ende September geändert, und Krastina konnte ihr Visum in Minsk beantragen. Mit drei Wochen Verspätung reiste sie dann nach Wien. Zu ihrem Pech folgte aber prompt der Lockdown. "Jetzt bin ich zwar hier, aber die Kurse sind online", bedauert die 21-Jährige. Österreich sei ein teures Land für Belarussen: "Sollten die Kurse online bleiben, überlege ich, wieder nach Hause zu fahren, um Geld zu sparen."

Sorge um Gesundheit

Mit den anhaltend hohen Corona-Fallzahlen wächst unter den Studierenden auch die Sorge um die eigene Gesundheit. "Das Virus schleicht umher, es kann wirklich jeden treffen", erzählt die deutsche Masterstudentin Lara Siebrecht. Sie selbst hat es erlebt: Die 23-Jährige hat sich mit Covid-19 Infiziert, die Erkrankung verlief ungefährlich. Wo sie sich angesteckt haben könnte, weiß sie nicht – denn alle ihre Kontaktpersonen wurden negativ getestet.

"Die Hilflosigkeit ist schwer zu ertragen, denn man ist zu hundert Prozent auf andere angewiesen", sagt Siebrecht. Zum Glück bekomme sie in ihrem Studierendenheim viel Unterstützung von ihren Zimmernachbarn. Am schlimmsten aber sei die Angst, selbst jemanden anzustecken. Deshalb ist sie froh, nicht bei ihrer Familie in Potsdam zu sein, für die das Virus möglicherweise gefährlicher wäre. Und auch für viele andere ist das ein Grund, ihren Auslandsaufenthalt nicht zu unterbrechen und stattdessen auf sinkende Fallzahlen zu hoffen.

An der Diplomatischen Akademie versucht man derweil, die schwierigen Zeiten mit einer Portion Humor zu bewältigen: "Covido ergo Zoom" hängt in Anlehnung an René Descartes’ Sinnspruch in großen Lettern an der Tür der Studienprogrammleitung. (Tobias Mayr, 24.11.2020)