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Trug des Kaisers Rock: Georg Trakl, der als Militärakzessist im Herbst 1914 in Galizien landete und angesichts der Gräuel der Schlacht von Gródek jeglichen Lebensmut verlor.

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Als Verfasser bittschuldiger Briefe schreckte Georg Trakl (1887–1914) vor kuriosen Anliegen keineswegs zurück. Aus dem Juni 1914 ist ein Schriftstück erhalten, das aus der Briefsammlung der neuen, ebenso umfassenden wie leserfreundlichen Trakl-Werkausgabe ("Dichtungen und Briefe") bizarr heraussticht.

Darin erlaubt sich der "ergebenst Gefertigte" eine "höfliche Anfrage" an das königlich-niederländische Kolonialamt. Trakl begehrt förmlich zu wissen, ob die Niederländer denn Verwendung hätten für einen Apotheker, der in ihren Kolonien Sanitätsdienst leistet. Es scheint indes fraglich, ob Trakl, der Sprachschöpfer "traurig rauschender Rohre" in "stillen Weihern", imstande gewesen wäre, seiner ohnehin hermetischen Dichtungslandschaft die eine oder andere Kokospalme einzupflanzen.

Für den Salzburger Trakl war der pharmazeutische Beruf eher nur Ausflucht gewesen. Seine wechselnden Anstellungen als Apotheker wurden von ihm als Zumutung erlebt, ermöglichten ihm jedoch den Zugang zu Rauschmitteln aller Art. Die In-eins-Setzung von Betäubung und Betörung macht denn auch bis heute die Faszination von Trakls quantitativ überschaubarem Werk aus.

Aus einem Repertoire von ebenso anschaulichen wie sinnfälligen Signalwörtern entstanden Gedichte, deren Musikalität bis heute beispiellos ist. Die Faszination von Trakls Lyrik beruht auf der Suggestivkraft ihrer streng kalkulierten Lautfolgen. Dieses gleichsam ermüdete, von tiefer Resignation erfüllte Sprechen bringt Saiten zum Klingen, an die sonst kein alltagstauglicher Finger rührt.

Herbst und Verfall

"Es wohnt in Brot und Wein ein sanftes Schweigen": Wie in Trance blendet Trakl Versatzstücke der christlichen Überlieferung in ruhiggestellte Landschaften ein. Herbst und Verfall kennzeichnen diese eiskalte, je nach Stimmung rosige, silberne, häufig blaue, manchmal auch nur braunstichige Welt. Sie wirkt paradoxerweise abgeriegelt, gegen zudringliche Blicke wie durch einen Wall von beschwörenden Worten geschützt.

Dennoch eignen sich Trakls Gespinste aus wiederkehrenden Formeln und Setzungen hervorragend als Zufluchtsstätten für Übersensibilisierte und Alltagsmüde: für alle, die von der Zivilisation an Herz und Nieren geschädigt sind. Durch ihre chiffrierte Farbgebung muten sie zudem wie Stätten eines endgültigen, mit Gott und seiner Schöpfung versöhnten Exils an: "Vielen ist der Tisch bereitet / Und das Haus ist wohlbestellt." So heißt es in der zweiten Fassung von "Ein Winterabend", eines einfachen, dreistrophigen Gedichts in vierhebigen Versen (gebildet aus Trochäen).

Kein Wunder, dass nicht nur Fachmannschaften von Trakl-Exegeten an das Geheimnis dieses Giganten zu rühren versuchten. Unter ihnen Metaphysiker, christliche Theologen, Philosophen des Seins in unförmigen Holzpantoffeln, wie Martin Heidegger.

Diese beispiellos wortgewaltige Weltschmerzpoesie bildete von Beginn an ein Faszinosum für widerspenstige Pubertierende. Dissonant gellt allen Feinhörigen eine unsühnbare Schuld ins Ohr: Georg Trakl war seiner jüngeren Schwester Grete mehr als nur in Geschwisterliebe zugetan.

Der Schatten der Schwester

Grete, die es als ordnungsgemäß ausgebildete Pianistin nur fast bis zur Konzertreife brachte, blieb ihrem Bruder über alle Krisen hinweg bis zum Schluss verbunden. Und für Georg, den ruhelosen Wanderer zwischen Salzburg, Wien und Innsbruck, muss in besonderem Maße gelten, was der unglückliche Kleist über sich angemerkt hat: Ihm sei auf Erden nicht zu helfen gewesen. Trakl beging 1914, vom Grauen des Krieges überwältigt, als Militärpharmazeut an der galizischen Front Selbstmord durch Einnahme einer Überdosis Kokain. Die Umstände dieses Todes sind, überliefert durch Ludwig von Ficker, noch vor der Kulisse des Schlachthauses Weltkrieg herzzerreißend.

An Unterstützungsversuchen gegenüber Trakl hat es zu dessen Lebzeiten nicht gemangelt. Erhard Buschbeck assistierte dem Freund nach Kräften, Brenner-Herausgeber von Ficker sah über alle Eskapaden Trakls, der zu erratischem Verhalten neigte, hinweg und half mit bei der Verbreitung seines immer tollkühner werdenden, von Metrum und Strophenbau sich allmählich lösenden Werks. Es gibt späte Trakl-Texte, die aus den Bezirken absoluter Wortmusik zu uns herüberreichen. In ihnen tritt die "bleiche Gestalt der Schwester" aus "verwesender Bläue" heraus. Ihr Mund spricht: "Stich schwarzer Dorn".

Hans Weichselbaums famose Werkausgabe ermöglicht die vertiefende Rekonstruktion einer Gipfelleistung deutschsprachiger Poesie. Aufbauend auf der mehr als 50 Jahre alten, historisch-kritischen Trakl-Ausgabe von Killy/Szklenar fügt er ein paar Trouvaillen hinzu: so ein mit "Hölderlin" betiteltes Gedicht, das sich auf dem Vorsatzblatt eines antiquarischen Buches erst 2016 gefunden hat. Seine zweite Strophe lautet: "So ward ein edles Haupt verdüstert / In seiner Schönheit Glanz und Trauer / Von Wahnsinn, den ein frommer Schauer / Am Abend durch die Kräuter flüstert." Doch gibt es Formen der Untröstlichkeit, für die ist hienieden kein Kraut gewachsen. (Ronald Pohl, 24.11.2020)