Der Erfolg der Ex-Grünen-Chefin Eva Glawischnig-Piesczek gegen Facebook schlägt international Wellen.

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Persönlichkeitsrechtsverletzungen in sozialen Netzwerken (insbesondere die allgemein bekannte Hate-Speech) erleben in den letzten Jahren Hochkonjunktur. Der Causa Glawischnig-Piesczek vs. Facebook kommt dabei eine tragende Rolle zu – beschäftigt sie doch seit rund vier Jahren die heimischen Gerichte, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) und den rechtlichen Diskurs.

Die dazu jüngst ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) schlägt hohe Wellen. Grund des Anstoßes ist der weltweite Wirkungsanspruch der Unterlassungsverpflichtung, die dem Tech-Giganten hinsichtlich des Abrufbarhaltens der persönlichkeitsverletzenden Inhalte auferlegt wurde. Darin ließe sich nichts weniger als eine Triebfeder für zukünftige Zensuren durch despotische Machthaber erkennen, meinen besorgte Verfechter der Meinungsfreiheit im Internet.

Polemische Zuspitzungen verhindern allerdings den Blick auf eine weitere, nicht minder symbolträchtige Perspektive der Entscheidung. Ganz abstrakt vorweg: Der OGH nimmt es mit dem Schutz von Persönlichkeitsrechten im Internet sehr ernst, auch wenn manche Konturen noch unscharf bleiben.

Hintergrund der Entscheidung

In Österreich darf man über andere keine Tatsachen verbreiten, die den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen des anderen gefährden und deren Unwahrheit der Verbreitende kannte oder kennen musste. Diese Regel findet sich in § 1330 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) und beruht auf der Entscheidung des österreichischen Gesetzgebers, Personen in ihrer Ehre und damit in ihrer Persönlichkeit zu schützen. Eine andere auf Facebook als "miese Volksverräterin", "korrupte[n] Trampel" und Mitglied einer "Faschistenpartei" zu bezeichnen, kann gegen ebendiese Vorschrift verstoßen.

Da man bei unter einem Decknamen abgegebenen Postings auf den unmittelbaren Störer der geschützten Persönlichkeitsinteressen nicht einwirken kann, bleibt nur die Facebook Ireland Ltd. (die Europa-Dependance der US-amerikanischen Facebook Inc.), die man um das Löschen der rechtswidrigen Inhalte ersuchen kann. Um der Diffamierung weltweit ein Ende zu setzen, begehrte die Klägerin deshalb (im Jahr 2016) nicht nur die Löschung des einzelnen Beitrags, sondern auch sämtlicher wortgleicher oder sinngleicher Beiträge von Facebook.

Nachfrage beim EuGH

Das angerufene österreichische Gericht und die ihm folgenden Instanzen mussten sich zwei zentrale Fragen stellen: (1) Kann man Facebook dazu verpflichten, nicht nur wortgleiche – durch algorithmische Filter leicht automatisiert auffindbare – Beiträge, sondern auch sinngleiche Beiträge zu entfernen, und (2) kann man Facebook dazu verpflichten, diese Entfernungen mit weltweiter Wirkung vorzunehmen?

Die erste Frage musste der in letzter Instanz berufene OGH aufgrund der gebotenen Auslegung der europäischen E-Commerce-Richtlinie an den EuGH richten. Die zweite Frage wurde sicherheitshalber gleich mitgestellt.

Der EuGH entschied, dass Social-Media-Betreiber als Host-Provider, die fremden Inhalten bloß eine Plattform bieten, grundsätzlich dazu verpflichtet werden können, sinngleiche Äußerungen zu löschen. Allerdings darf die vom Host-Provider geforderte Überwachung nicht überstrapaziert werden – bedeutend ist, dass die gerichtlich festgelegten Kriterien der Unterlassungsverpflichtung das Auffinden der sinngleichen Inhalte durch automatisierte Techniken ermöglichen.

Die zweite Frage, nämlich jene, ob österreichische Gerichte das Löschen mit weltweiter Wirkung verfügen dürfen, wurde vom EuGH recht lapidar damit beantwortet, dass dies unter der Bedingung des Einklangs mit dem einschlägigen internationalen Recht möglich sei – die E-Commerce-Richtlinie sieht keine Beschränkung auf das nationale Territorium vor.

Die OGH-Entscheidung

Nachdem der EuGH die E-Commerce-Richtlinie ausgelegt hatte, fällte der OGH nun seine Entscheidung und sprach aus, dass Facebook neben der vorliegenden Diffamierung auch weltweit sinngleiche Beiträge zu löschen hat.

Das Erkennen von Sinngleichheit ist aber technisch schwer umzusetzen – künstliche Intelligenz allein erweist sich bei der Operationalisierung solcher Vergleiche, die auch stark kontextabhängig sind, leider noch nicht als ausreichend, weshalb der EuGH auch eine besonders präzise Formulierung solcher gerichtlicher Verfügungen gefordert hatte. Die fehlenden technischen Möglichkeiten für Facebook zur Erkennung sinngleicher Beiträge ließen den OGH aber unbeeindruckt – vielmehr genüge es, dass die Sinngleichheit auf den ersten laienhaften Blick erkennbar sei. Inwiefern ein laienhafter Blick eine weniger autonome Beurteilung sämtlicher hochgeladenen Inhalte bedeutet als der Blick eines Experten, bleibt fraglich.

Die weltweite Reichweite der Unterlassungsverpflichtung wurde demgegenüber primär verfahrensrechtlich begründet – Facebook hatte in der letzten Instanz die Einschränkung auf Österreich schlicht nicht mehr gefordert.

Auswirkungen und Symbolik

Was bedeutet diese Entscheidung nun für Facebook und von Hate-Speech Betroffene? Der OGH hat sich – wie vom EuGH teilweise vorgegeben – beim gebotenen Ausgleich zwischen dem Interesse der Klägerin am Beenden der Diffamierung und dem Interesse des Providers, keine unverhältnismäßigen Überwachungsmaßnahmen vornehmen zu müssen, eindeutig positioniert. Im Umgang mit Hate-Speech wird deutlich mehr Engagement von Facebook eingefordert.

Betrachtet man die – wohl mit der US-amerikanischen Herkunft erklärbare – Moderationspraxis von Facebook, in der die Meinungsfreiheit gegenüber anderen Grundrechten überhöht wird, ist das zum effektiven Schutz der Betroffenen auch notwendig. Zu bezweifeln ist aber, dass das Aufspüren sämtlicher sinngleicher Inhalte durch laienhafte Blicke ohne – mangels geeigneter technischer Hilfsmittel gleichsam utopische wie unzulässige – allgemeine Überwachung zu bewerkstelligen ist.

Unwahrscheinliche Vollstreckung

Die Besorgnis rund um die territoriale Reichweite einer solchen Verfügung erweist sich allerdings als unbegründet. Die Puddingprobe für einen weltweiten Wirkungsanspruch liegt nämlich in der Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung. Dafür bedarf es eines entsprechenden Rechtsrahmens, der innerhalb der EU besteht. Das heißt, die besprochene österreichische Entscheidung könnte etwa in Irland, am europäischen Sitz von Facebook, vollstreckt werden.

Sollte aber ein ausländischer Despot Facebook nach seinem Gutdünken durch weltweit wirksame Unterlassungsverfügungen umgestalten wollen, wird man diesen – notfalls aufgrund eines jedenfalls zulässigen Verweises auf einen Verstoß gegen fundamentale Werthaltungen der eigenen Rechtsordnung (sogenannter "ordre public") – die Vollstreckung versagen.

Sollte der Despot Facebook auf eigene Faust zur weltweiten Befolgung seiner Verfügungen zwingen wollen, werden andere Staaten auf völkerrechtlicher Basis einschreiten müssen, um dem Einhalt zu gebieten. Aber darauf hat die österreichische Entscheidung keinerlei Einfluss – und in ihrer Abwägung unterschiedlicher Interessen schon gar keine Vorbildfunktion für Despoten. (Michael Otti & Nikolas Raunigg, 24.11.2020)