In Österreich gibt es in Bezug auf Corona nur zwei Extreme: Entweder man nimmt die Bürger an die kurze Leine oder gewährt ihnen Freilauf. Dazwischen existieren wenig Abstufungen. Das spricht nicht gerade für die vielfach beschworene Eigenverantwortung. Nach den Lockerungen, die den ersten Lockdown im Mai ablösten, war es dann auch gleich aus mit der notwendigen Distanz – weshalb das Land im November wieder dichtmachte.

Würstelstand in der Wiener Innenstadt.
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Warum schafft es Österreich nicht, einen Modus Vivendi zu finden, der die epidemiologische Gefahr ernst nimmt, ohne Schulen, Wirtschaft und Gesellschaft komplett einzufrieren? Warum senkt beispielsweise die Schweiz die Infektionen rapid, ohne derart drastische Grundrechtsbeschränkungen erlassen zu müssen? Und warum kam es in Deutschland erst gar nicht zu einer derart starken Ausbreitung wie bei uns?

Kurze Rückblende: Vor allem der Kanzler setzte schon zu Beginn der Pandemie auf Schocktherapie und ebnete damit den Weg für den ersten Lockdown. Bald stellte sich heraus, dass sich die verordneten Ausgangsbeschränkungen diametral von der Regierungskommunikation unterscheiden. Prompt hob der Verfassungsgerichtshof die Ausgangsbeschränkungen auf – es waren halt doch keine juristischen Spitzfindigkeiten, wie Sebastian Kurz gemeint hatte.

Wer nun aber meint, dass die schwere Schlappe zu einer Rückbesinnung auf Rechtsstaatlichkeit führte, irrt. Die eigene Unfähigkeit – sowohl im Bund als auch in den Ländern (von Corona-Ampel-Chaos über Test- bis Contact-Tracing-Versagen) – wird am laufenden Band mit zweifelhaften bis schier gesetzeswidrigen Regelungen übertüncht. Soeben hat die Datenschutzbehörde festgestellt, dass die Wirte gar keine sensiblen Angaben von Gästen einfordern durften, wie es ihnen der Wiener Bürgermeister und die Wirtschaftskammer angeschafft haben. Dazwischen wurden andere Bestimmungen gehoben. Auch die Anfang November in Kraft getretenen nächtlichen Ausgangsbeschränkungen stehen auf dünnem Eis, dürfen sie doch nur als Ultima Ratio verhängt werden. Wenn gleichzeitig Geschäfte offen bleiben, ist das ein Widerspruch.

Die negativen Folgen dieser Fehltritte wiegen schwer. Wer ständig das Recht biegt, beeinträchtigt das Vertrauen in die Demokratie. Und untergräbt damit genau jene Eigenverantwortung, die im Kampf gegen Corona so wichtig wäre. (Andreas Schnauder, 23.11.2020)