Verurteilte Terroristen sollen in speziellen Bereichen in Unterbringung gebracht werden

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Norbert Nedopil ist einer der erfahrensten Gutachter im deutschsprachigen Raum.

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Wer sich mit der Frage der forensischen Psychiatrie beschäftigt, bekommt von jedem Gesprächspartner einen Tipp: Man solle doch mit Norbert Nedopil reden. Denn niemand kenne sich im deutschsprachigen Raum so gut mit diesem Themengebiet aus wie Nedopil, der von 1992 bis 2016 die Abteilung für Forensische Psychiatrie an Ludwig-Maximilians-Universität München geleitet hat. Nedopil verfasst Gutachten über Neonazi Beate Zschäpe von der Terrorgruppe NSU, über Pädokriminelle und Serienmörder.

DER STANDARD erreichte den mittlerweile emeritierten Professor am Telefon, um die heikelste Frage nach dem Wiener Terroranschlag zu stellen: Kann man gefährliche Islamisten einsperren?

Wenn der "Gefährder" unbescholten sei, sei das mit seinem Verständnis von Grundrechten prinzipiell nicht vereinbar, antwortet Nedopil. Anders sei das, wenn dieser bereits verurteilt wurde und bei diesem Spruch schon eine mögliche Unterbringung nach dem Strafvollzug ausgesprochen wurde, ergänzt der Psychiater. Das von der türkis-grünen Regierung vorgeschlagene Modell hält Nedopil also grundsätzlich für akzeptabel.

"Behandlung" ist essenziell

Allerdings gibt es Einschränkungen: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und das deutsche Verfassungsgericht haben präzise Einschränkungen für eine präventive Unterbringung ausgesprochen. Diese sei nur möglich, wenn der Täter dort behandelt wird. Dieser Punkt ist wichtig, da die deutsche Sicherungsverwahrung beziehungsweise der österreichische Maßnahmenvollzug bislang vor allem geistig abnorme Rechtsbrecher betreffen. Es gibt zwar auch einen Paragrafen für mehrfach verurteilte Rückfallstäter, der ist in Österreich de facto aber totes Recht.

Sind Jihadisten geistig abnorm? Muss man nicht psychisch krank sein, um vier zufällig ausgewählte, unschuldige Menschen in der Wiener Innenstadt zu töten? Der entscheidende Faktor ist für Nedopil die Frage, ob der Täter sein Weltbild anderen vermitteln kann.

Der Fanatiker teile sein Denksystem mit vielen anderen Menschen, die ihn beispielsweise als Märtyrer betrachten. Eine Geisteskrankheit sei hingegen nicht an andere vermittelbar. Man nehme beispielsweise den Briefbombenterroristen Franz Fuchs, den Nedopil begutachtet hat: Dieser wäre wohl in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gekommen, wenn er sich nicht in Haft selbst ermordet hätte. Fuchs sei schon abnorm gewesen, bevor er sich in die fiktive Bajuwarische Befreiungsarmee hineinfantasiert habe, so Nedopil.

Allerdings könne auch die Deradikalisierung als eine Form der Behandlung gelten, sagt der Psychiater. Die Bundesregierung plant ohnehin, Jihadisten nicht als geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen, sondern einen eigenen Paragrafen für verurteilte und noch radikalisierte Terroristen zu schaffen, über die die Unterbringung dann gerichtlich verhängt wird.

Aber wie prüft man während der Unterbringung, ob der Islamist noch gefährlich ist? Immerhin betrachten Instrumente zur Messung der Radikalisierung großteils Faktoren, die im Maßnahmenvollzug wegfallen: etwa den Besuch von radikalen Moscheen, den Freundeskreis oder stabile Wohn- und Arbeitsverhältnisse. "Bei Sexualstraftätern kann man in Unterbringung ja auch vieles nicht prüfen", erklärt Nedopil. Entscheidend sei, dass Kriminalität "ein Bedürfnis der Betroffenen erfüllt". Wenn jemand auf Kränkungen mit Gewalt reagieren muss, dann sei das auch in Haft so – mit beschränkten Möglichkeiten, also zugeknallten Türen oder Verbalaggressionen statt Mord und Totschlag. Diesem könne man dann beibringen, anders zu reagieren – und engmaschig prüfen, ob das gelinge.

Verantwortung tragen

Die heimische Regierung plant, Entscheidungen über die Freilassung von Tätern im Maßnahmenvollzug auf eine Fallkonferenz zu übertragen. Während der berühmte Gutachter Reinhard Haller diesen Vorschlag lobt, sieht Nedopil – der schon mit Haller gemeinsam gearbeitet hat – das kritisch: "Es muss festgelegt werden, wer die Verantwortung trägt."

Aber sorge das nicht dafür, dass Gutachter konservativ sind, um das Risiko einer Fehleinschätzung zu minimieren? "Wenn Einschätzungen zum Schutz des Gutachters erfolgen, dann ist ohnehin etwas falsch", antwortet Nedopil. Jedem müsse klar sein, dass die Unterbringung im Maßnahmenvollzug ein "starker Grundrechtseingriff" sei. Aber: "Ich kann mir vorstellen, dass man mit religiösen, psychologischen, psychosozialen Mitteln eingreifen kann", sagt Nedopil – auch bei fanatisierten Islamisten.

Derzeit erarbeitet das Justizministerium eine Gesetzesnovelle, um die Unterbringung verurteilter Terroristen juristisch zu ermöglichen. Das dürfte neben einem strafrechtlichen Verbot des "politischen Islam" der legistisch schwierigste Punkt des Antiterrorpakets werden. Die Idee einer "Präventivhaft" geistert seit Jahren durch die ÖVP, angedacht wurde sie einst auch vom blauen Innenminister Herbert Kickl. Sie hätte aber auch auf unbescholtene Asylwerber abzielen sollen – verfassungsrechtlich wäre das kaum machbar gewesen, und wenn, dann nur für kurze Zeit. Die Grünen blockierten diesen Vorschlag. (Fabian Schmid, 24.11.2020)