In Polen wählen immer mehr junge Leute rechts. LGBT-Aktivistinnen setzen sich bei einer Demonstration gegen den Hass zur Wehr: "Und jetzt wir! – Eine Generation schlägt Alarm", Dienstag, 21.45 Uhr, Arte.


Foto: Susanne Erler / Basis Berlin Filmproduktion

Über die langfristigen Folgen von Covid-19 für die Gesellschaft lässt sich derzeit vortrefflich spekulieren. Werden wir näher zusammenrücken, weil das Virus auf unseresgleichen zurückwirft? Oder wird es zu mehr Zwiespalt und Ungleichheit kommen, weil in der Phase der Krise vergessen wurde, demokratische Rechte zu verteidigen? Die genauen Auswirkungen kann bis dato niemand abschätzen, sicher ist aber, dass junge Menschen die jetzt eingeschlagenen Wege im Verhältnis am massivsten treffen werden. Trotzdem werden junge Menschen am häufigsten kritisiert, besonders oft für ihre Gleichgültigkeit dem Virus gegenüber.

Das ewige Lamento

Das ewige Lamento der Alten – wir haben es in den Ohren, es begann meistens mit "Die Jugend von heute" und endete mit einem "Früher war alles besser" – ist in anderer Tonlage wieder salonfähig geworden. Das ist nur ein Grund, warum man dieses Höllenvirus einfach nur abgrundtief verabscheuen kann.

Entweder das, oder man versucht, genauer hinzuschauen. Wie zum Beispiel die Arte-Journalistin Aline Abboud in der 90-minütigen Dokumentation Und jetzt wir! Eine Generation schlägt Alarm, heute, Dienstag, um 21.45 Uhr. Abboud macht sich auf eine Fahrt durch Frankreich, Polen und Deutschland und trifft junge Aktivistinnen.

Ku’damm blockieren

Dabei wird vor allem deutlich, dass Corona nicht das allein bestimmende Thema ist. "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut", ruft eine Aktivistin bei einer Demo in Berlin. Die Proteste zum Klimawandel sind auch nach Corona nicht verstummt. Das Bild von leidenschaftlich demonstrierenden Menschen hat sich nur insofern geändert, als die Teilnehmer jetzt Mund-Nasen-Schutz tragen. Die skandierten Parolen sind dieselben.

Franziska Henisch und Elia Mula organisieren über den deutschen Jugendrat der Generationen Stiftung Kampagnen und Aktionen. Sie verheizten symbolträchtig vor dem Kanzleramt die Jugend, blockierten den Ku’damm für SUVs und spannten öffentlich dutzende rote "Generationenrettungsschirme" in der Corona-Rettungskrise auf. Es gehe darum, die eigene Jugend mitzugestalten, sagt Henisch. "Die Klimakrise ist eine Krise der Menschenrechte", sagt Mula. "An welchem Platz kann ich mich so einbringen, dass ich am ehesten die Welt rette?", fragt sich der junge Mann. Die Klimakrise sei eine "unfassbare Menschenrechtskrise".

Auf eine nicht minder idealistische Jugendliche trifft Abboud in Paris. Mathilde Imers größtes Anliegen ist Bürgerbeteiligung. Mit ihrem Bürgerkonvent widmet sie sich der Frage, wie es gelingt, Frankreichs Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent sozial gerecht zu reduzieren.

Anderes Bild in Polen

In Polen zeigt sich ein anderes Bild: Unter der rechtspopulistischen Regierung wählen immer mehr Jugendliche konservativ. Abboud filmt Nationalisten bei einer Demonstration gegen EU und Minderheiten. Auf der anderen Seite der Straße flattern die Regenbogenfahnen. Bei Veranstaltungen hält Staatspräsident Andrzej Duda Hassreden gegen Homosexuelle.

Weitere, das Spektrum abdeckende Stimmen holt Abboud beim Treffen mit Priscilla Ludosky, Mitbegründerin der Gelbwesten-Bewegung, ein, sowie mit Assa Traoré, die sich für Black Lives Matter in Frankreich engagiert.

Der Film ist Teil eines Schwerpunkts bei Arte über die Wahrnehmung junger Menschen von Umwelt- und Klimafragen, aber auch zur Zukunft der Gesellschaften, der Wirtschaft und der Demokratie im 21. Jahrhundert. Dazu führte der Kultursender 2020 eine Umfrage zur Zukunft der modernen Gesellschaft durch. Mehr als 400.000 Menschen nahmen daran teil. Die Ergebnisse sollen Ende November veröffentlicht werden.

Vier Abende

An vier Abenden sollen Filme junger Dokumentarfilmer den Themenkreis erfassen. Nach Und jetzt wir! zeigt Findet uns das Glück? am 25. November um 21.45 Uhr junge Leute zwischen 25 und 30, die versuchen, sich in einer Gesellschaft zurechtzufinden, mit der sie sich nicht identifizieren können. Am selben Tag um 23.10 Uhr führt Nos amours – Unsere Lieben quer durch Europa, um die Liebescodes der heutigen Jugend zu entschlüsseln.

70 Jahre Jugendrevolte erzählt am 26. und 27. November anhand von Archivmaterial, wie seit den 1950er-Jahren junge Generationen radikale, provokante Kunstformen erfanden, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen und sich ihren Platz in einer Welt der Alten zu verschaffen. Die Jahrhundertschlacht begleitet am 27. November um 21.45 Uhr deutsche und französische Klimaschützer und dokumentiert zwei Jahre deren Wut, Enthusiasmus und Angst.

Alle Filme des Schwerpunkts sind ebenfalls online abrufbar. Im Fernsehen wird Arte mit diesem Programm vermutlich nicht sehr viele Jugendliche erreichen – die schauen längst nur wenig lineares Fernsehen nach Schema. Wer was wo und wann schaut, ist aber letztlich ohnedies unwichtig. Es geht um das große Ganze. (Doris Priesching, 24.11.2020)