Im Gastkommentar repliziert Neos-Politiker Helmut Brandstätter auf Judith Pühringer ("Aber rot sind sie nicht. Drei Thesen zur SPÖ-Neos-Koalition").

Kreatives Backen in der Politik: ÖVP-Klubobmann August Wöginger mit einem roten Punschkrapfen für Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger.
Foto: APA / Herbert Neubauer

Die Quereinsteiger in die Politik haben es nicht leicht. Sie müssen die informellen Strukturen einer Partei erst erkennen und ihren eigenen Platz finden. Aber berufliche Erfahrung in anderen Bereichen kann Selbstsicherheit geben, die über diese Mängel hinweghilft. Umso erstaunlicher war der Gastkommentar von Judith Pühringer, die sich als Expertin für den Arbeitsmarkt und in Funktionen der Zivilgesellschaft einen Namen gemacht hat. Ihre Enttäuschung darüber, dass die Grünen in Wien nicht mehr regieren, jetzt, wo doch sie im Gemeinderat sitzt, verarbeitete sie mit Formulierungen, die einer gebildeten Frau und ehemaligen Jungscharführerin nicht würdig sind.

Dass sie Punschkrapfen weniger rosarot sieht, sondern ihnen die Farbe braun zuordnet, tut ihr inzwischen hoffentlich leid. Die internen Debatten zum Absägen der Parteichefin müssen anstrengend gewesen sein. Inhaltlich völlig daneben war ihre Analyse des pinken Bildungsbegriffs: "Bildung ist im Neoliberalismus ein zentraler Baustein der Verwertungslogik für die Wirtschaft." Es ginge SPÖ und Neos um das "Zurechtschleifen für den Arbeitsmarkt". Diese Passagen klingen noch absurder, wenn man in der vergangenen Woche im Nationalrat verfolgen musste, wie die Grünen sich von der ÖVP zurechtbiegen ließen, um die Schließung unserer Schulen zu argumentieren. Selbst ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann war gegen diese Maßnahme, und er warnte vor einem weiteren Aufgehen der Bildungsschere.

Breite Bildung

Bildung wird in Österreich noch immer in erster Linie vererbt, und die Grünen haben das in ihren zehn Jahren in Wien nicht verbessert. Im Bund folgen die Grünen hilflos einer ÖVP, die sich um das Funktionieren der Schulen nicht gekümmert hat und der sozialer Ausgleich nie wichtig war. Dagegen tritt jetzt ein junger Mann mit einem klaren Programm an, und ausgerechnet dieser Christoph Wiederkehr muss sich sagen lassen, er wolle nur deshalb bessere Bildungseinrichtungen, um junge Leute in einen "Verwertungsprozess" zu bringen.

Pühringer unterlässt es leider auch, zwischen Ausbildung und Bildung zu unterscheiden. Gerade sie, die auch im Ausland studiert hat, sollte wissen, dass solche Aufenthalte nicht nur zu mehr Erkenntnis und Wissen führen, sondern auch helfen, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten. Der digitale Strukturwandel, der durch Corona noch beschleunigt wird, führt zu höherer Arbeitslosigkeit und dem Bedarf, neue Dinge zu erlernen. Vor allem aber auch, sich in einer Welt zurechtzufinden, die noch viel mehr von künstlicher Intelligenz und lernenden Maschinen bestimmt sein wird. Damit umzugehen wird viel Flexibilität durch breite Bildung für jeden Menschen verlangen. Die Neos haben sich diesem Ziel verschrieben, führen wir doch eine Debatte darüber, wie wir das gemeinsam erreichen können.

Türkis-grüne Treue

Das Bild einer Gesellschaft zeigt sich auch dadurch, wie sie mit Schwächeren umgeht. Die Neos-Abgeordnete Fiona Fiedler hat zuletzt einen Antrag eingebracht, die Schulgesetze an die UN-Behindertenrechtskonvention anzupassen. Wer sich schwerer tut, soll künftig die Chance haben, die Schule bis zu drei Jahre länger zu besuchen. Der Antrag wurde von ÖVP und Grünen "vertagt", also de facto abgelehnt, angeblich aus Kostengründen. Klingt ziemlich "neoliberal", liebe Grüne. Ich weiß, dass die grüne Abgeordnete Heike Grebien uns gerne zugestimmt hätte. Aber hier mussten die Grünen ebenso sitzen bleiben wie bei allen Anträgen, die Frauen und Kinder aus dem Schlamm von Moria befreien sollten. Auch die LGBTQ-Community war enttäuscht, als die Grünen kürzlich gemeinsam mit der ÖVP einen Antrag abgelehnt haben, der üble Diskriminierungen in Ungarn verurteilte. Gegen einen Freund der ÖVP dürfen sie nicht stimmen.

Treue zur ÖVP ist wichtiger als Treue zu den eigenen Werten. Was immer der Anstand wählen würde, über die Grünen müsste er im Moment nicht lange grübeln. Das zeigt sich übrigens auch beim Thema Sicherungshaft. Klubchefin Sigi Maurer wollte darüber "diskutieren", Michel Reimon schloss sie dann doch aus. Aber der Druck der ÖVP wird bleiben. So wie das Kanzleramt Druck auf Frauenorganisationen ausübt, die Kritik an der Ministerin üben. Das hat die ZiB 1 berichtet – und die Grünen schauen zu, wie im Land immer mehr autoritäre Strukturen aufgebaut werden, mit Angst und mit Druck.

Es muss sich auch niemand Sorgen machen, dass sich die Stadtregierung nicht um das Klima kümmern wird. Es wird ein Klimabudget mit klaren Zielen geben, auch zur Reduktion der Treibhausgase.

Sinnloser Titel

Zum Schluss noch eine kleine Bemerkung, die nichts mit Neid, aber sehr viel mit Konsequenz zu tun hat. Wiederkehr hat vor der Wahl klargemacht, er werde das Amt des nicht amtsführenden Stadtrats nicht annehmen, weil das ein Titel ist, der zwar Geld, aber sonst nichts bringt. Pühringer und Peter Kraus werden diesen sinnlosen Titel führen und die entsprechende Gage kassieren. Die Grünen könnten aber auch die Neos im Nationalrat dabei unterstützen, die Verfassung zu ändern, und zwar den Artikel 117 Absatz 5. Das wäre das Ende dieser in Österreich einmaligen, besonders sinnlosen Posten.

Die Herausforderungen der kommenden Jahre werden wir nicht mit alten Ideologien oder uralten Polemiken bewältigen. Sondern mit einem Zusammenhalt der Gesellschaft, über den wir heftig diskutieren und auch streiten sollten. Dafür brauchen wir Parteien und Politiker und Politikerinnen, die ohne Druck von oben und ohne Angst agieren. Alle, die ernsthaft eine offene Gesellschaft mit Chancen für alle anstreben, sollten sich zusammentun. Mit einer Partei, die andere Meinungen konsequent unterdrückt, funktioniert das nicht, wie die Grünen gerade erleben. Ihre Kritik sollte dort ansetzen. (Helmut Brandstätter, 24.11.2020)