Die Sitzung wird Corona-bedingt im großen Festsaal des Rathauses abgehalten.

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Der künftige Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr von den Neos.

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Wien – Nicht nur der Ort war für die konstituierende Sitzung des Wiener Gemeinderats und Landtags ungewöhnlich. Statt im Sitzungssaal wurde diese am Dienstag im Festsaal des Rathauses abgehalten. Auch die Atmosphäre unter den großen Lustern war bemerkenswert: 100 Mandatarinnen und Mandatare in einem – zugegeben großen – Raum, dazu dutzende Mitarbeiter und Beobachter. Das ist in Lockdown-Zeiten mitten in der zweiten Corona-Welle ungewöhnlich und ging fast schon als Großevent durch. Auffallend war zudem, dass die Abgeordneten zwar auf dem Weg von und zu ihren Plätzen Schutzmasken trugen. Sitzend verzichtete aber der überwiegende Großteil der Politiker darauf.

Mit der ersten Koalition zwischen SPÖ und Neos wird jedenfalls ein neues politisches Kapitel in Wien aufgeschlagen. Michael Ludwig wurde bei der geheimen Wahl mit 60 Stimmen als Bürgermeister bestätigt. Das bedeutet, dass neben den 46 roten und acht pinken Gemeinderäten auch Vertreter der Opposition für Ludwig votiert haben müssen.

Michael Ludwig wurde mit 60 Stimmen zum Bürgermeister gewählt.
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Aus den Reihen der ÖVP hieß es, dass es "keinen Vertrauensvorschuss" für Ludwig gegeben habe. "Wir haben ihn nicht mitgewählt." Allerdings hat Wirtschaftskammer-Wien-Chef Walter Ruck per Aussendung Stadtchef Ludwig "sehr herzlich" zur Wahl gratuliert. Und in den Reihen der Türkisen sitzen auch Wirtschaftskämmerer. Die zusätzlichen Stimmen könnten aber auch vom ehemaligen grünen Stadtregierungspartner gekommen sein: Die Grünen haben es ihren Abgeordneten freigestellt, für oder gegen Ludwig zu stimmen.

In seiner Regierungserklärung legte Stadtchef Ludwig am Nachmittag die Vorhaben der neuen Regierung dar. Bei der Bewältigung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise soll etwa ein 600-Millionen-Euro-Investitionspaket helfen, mit dem etwa die Joboffensive für ältere Langzeitarbeitslose ausgebaut werden soll. Ludwig stimmte aber auch auf ein nötiges Durschreiten einer "langen Talsohle" ein.

Im Klimabereich sollen die CO2-Emissionen des Verkehrssektors bis 2030 um mehr als die Hälfte reduziert wrden. Und bei den verschränkten Ganztagsschulen werden bis zu zehn Standorte pro Jahr dazu kommen.

Von Bundespräsident Van der Bellen angelobt

Davor war Ludwig von Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Hofburg im Beisein von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) als Landeshauptmann von Wien angelobt worden. Die Sitzung im Rathaus war dafür kurz unterbrochen worden. Van der Bellen gratulierte Ludwig "sehr herzlich" und verwies auch auf die Wien-Wahl, "bei der Sie sich sehr gut geschlagen haben, wenn ich das so sagen darf".

Zur ersten rot-pinken Koalition auf Landesebene meinte der Bundespräsident: "Auch das wird interessant werden." Nach der offiziellen Gelöbnisformel setzten sich die beiden an den Tisch und leisteten die notwendigen Unterschriften. Zuvor wurden die Masken wieder aufgesetzt: "Setzen wir diese wunderbaren Dinger wieder auf", meinte Van der Bellen. Danach ging es für Ludwig wieder zurück in den Gemeinderat.

Am späten Vormittag wurde Ludwig von Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Hofburg im Beisein von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) als Landeshauptmann von Wien angelobt.
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SPÖ stellt 46 von 100 Gemeinderäten

Künftig stellt die SPÖ jedenfalls 46 von insgesamt 100 Mandatarinnen und Mandataren, zwei mehr als bisher. Die ÖVP kommt auf 22 Vertreter (plus 15), die Grünen auf 16 (plus sechs) und die Neos auf acht (bisher fünf). Die FPÖ verlor nicht weniger als 26 Abgeordnete und hat acht Vertreter im Gremium.

Der Festsaal im Rathaus.
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Hebein sagte "zum Abschied leise Servus"

Etwas Unruhe gab es in den Reihen der Grünen, als sich am Vormittag auch die scheidende Vizebürgermeisterin Birgit Hebein im Rahmen der Sitzung zu Wort meldete und zum Mikrofon schritt. Hebein sagte "zum Abschied leise Servus" – und verwies zuvor auf die Errungenschaften von zehn Jahren Rot-Grün. Von der Koalition würde auch in Zukunft die 365-Euro-Jahreskarte der Wiener Linien, das Wiener Mindestsicherungsmodell sowie die neue Bauordnung mit Fokus auf leistbares Wohnen bleiben. Im SPÖ-Neos-Pakt finden sich laut Hebein zudem auch viele Vorhaben von Rot-Grün wieder.

Die scheidende grüne Vizebürgermeisterin erinnerte in ihrer Abschiedsrede im Gemeinderat an die Errungenschaften von zehn Jahren Rot-Grün. Dem grünen Klub wünschte sie trotz der internen Querelen "alles Gute".
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Zu Stadtchef Ludwig sagte sie: "Tiefster Respekt." Und ihrem grünen Klub richtete sie "alles Gute" aus. Dieser werde "das sicher gut machen".

Hebein war am vergangenen Montag vom grünen Klub in keine Führungsposition gewählt worden. Sie kündigte daraufhin an, ihr Gemeinderatsmandat nicht anzunehmen, und deutete auch eine frühere Übergabe des gewählten Amts als Parteichefin der Grünen an. Die Amtsperiode als Parteichefin sollte eigentlich bis Ende 2021 laufen. Zum Abschluss, bevor sie "leise Servus" sagte, meinte die gebürtige Kärntnerin zudem: "Ja, auch wenn man vom Dorf, vom Land, aus einfachen Verhältnissen kommt, kann man in Wien Vizebürgermeisterin werden."

Die neue Stadtregierung.
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Czernohorszky holt bestes Ergebnis der rot-pinken Stadträte

Gewählt wurden im Gemeinderat auch die Stadträte. Das SPÖ-Regierungsteam blieb personell unverändert. Von den rot-pinken Regierungsmitgliedern schaffte Jürgen Czernohorszky, der neuerdings das Umweltressort betreut, mit 66 Stimmen das beste Ergebnis. 54 Stimmen – und damit wohl nur jene aus den Reihen der SPÖ und der Neos – erhielten die neue Verkehrsstadträtin Ulli Sima sowie Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr von den Neos, der zum Bildungsstadtrat gewählt wurde. Kathrin Gaál (SPÖ) erhielt bei ihrer Wahl zur neuen Vizebürgermeisterin gleich 86 Stimmen.

ÖVP (zwei), Grüne (zwei) und FPÖ stellen fünf nicht amtsführende Stadträte ohne Ressort.

Grafik: APA

FPÖ entsendet Hübner in den Bundesrat

Am Rande der Sitzung wurde bekannt, dass die Wiener FPÖ den Juristen und Ex-Nationalratsmandatar Johannes Hübner in den Bundesrat entsenden wird. Hübner hatte 2017 wegen antisemitischer Anspielungen bei einem Vortrag auf eine Kandidatur für die Nationalratswahl verzichtet. Die Grünen kritisierten Hübners Entsendung. (David Krutzler, 24.11.2020)