Die Abstände zwischen Meteoritensuchern sind zwar Corona-regelkonform, aber nicht Corona-bedingt: Sie dienen der Abdeckung einer möglichst großen Fläche.
Foto: NHM / Ludovic Ferrière

"I have climbed the highest mountains, I have run through the fields … but I still haven’t found what I’m looking for", singt Bono von U2. Für das Programm einer Handvoll Menschen am vergangenen Wochenende ist dies der passende Soundtrack: Ludovic Ferrière, der Kurator der Meteoritensammlung des Naturhistorischen Museums in Wien, blies zur Meteoritenjagd.

Am frühen Donnerstagmorgen hatte ein Bolide ein Spektakel an den mitteleuropäischen Nachthimmel gezaubert. Der Meteoroid drang um 4.46 Uhr und 47 Sekunden in die Erdatmosphäre ein und wurde trotz der nachtschlafenden Zeit von vielen Menschen gesehen. Auch zahlreiche Spezialkameras zeichneten die Flugbahn des außerirdischen Objekts auf.

Der Bolide zog eine kilometerlange Leuchtspur über den mitteleuropäischen Nachthimmel.
Foto: Hermann K. / fireballs.imo.net

Während die einzige österreichische Kamera des Fripon-Netzwerks (Fireball Recovery and Interplanetary Observation Network) auf dem Dach des NHM in dieser Nacht wegen der Wolkendecke über Wien nichts aufzeichnen kann, empfängt die Radioantenne ein fast eineinhalb Minuten andauerndes Echosignal des Boliden.

Die Radioantenne der NHM verzeichnete ein fast eineinhalb Minuten andauerndes Signal.
Foto: FRIPON / NHMW

Im Wesentlichen handelt es sich bei einem Boliden um eine übergroße Sternschnuppe – ein rares Event, doch die gesammelten Daten lassen Rückschlüsse auf ein Jahrhundertereignis zu: einen multiplen Meteoritenfall. Nur sieben verschiedene Meteorite sind bisher auf österreichischem Boden gefunden worden, bei vier handelt es sich um einen beobachteten Fall.

Dicker Brocken

Der Eindringling hatte beim Eintritt in die Atmosphäre eine Masse von satten 270 Kilogramm, die rasch fragmentiert wurden und für ein kilometerlanges, fast eine halbe Minute dauerndes Leuchtereignis sorgten. Der überwiegende Teil der ursprünglichen Masse ist verdampft, doch einzelne Stücke von wenigen Gramm bis möglicherweise vier Kilogramm müssen es Berechnungen zufolge bis zur Erdoberfläche geschafft haben. Das Astronomische Institut der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik veröffentlichte Daten über die wahrscheinliche Verteilung der gefallenen Meteorite. Zusätzlich wissenschaftlich relevant macht den Fall die Tatsache, dass die Daten eine Berechnung der ursprünglichen Umlaufbahn des Objekts ermöglichen. Auch ein möglicher Zusammenhang mit den Leoniden lässt sich zunächst noch nicht ausschließen. Diese hatten ihren Höhepunkt in der Nacht auf den 17. November und werden mit dem Kometen Tempel-Tuttle in Verbindung gebracht.

Für den Impaktforscher Ferrière bedeutet dies akuten Handlungsbedarf. Frisch gefallene Meteorite sind ein wertvolles und aufschlussreiches Material für die Forschung, da es noch kaum Veränderungen durch irdische Einflüsse erfahren hat. Darüber hinaus ist bei Funden mit dem Auftauchen professioneller internationaler Meteoritenjäger zu rechnen – die Meteorite würden damit in privaten Sammlungen landen und wären für die Forschung verloren. Und Meteorite, die nicht rasch geborgen werden, halten der heimischen Witterung nicht lange stand oder verschwinden für immer im Boden. Ferrière organisierte daher spontan Suchteams, um im möglichen Fundgebiet auf Basis der verfügbaren Daten eine systematische Suche zu starten. Am Samstag machten sich also der Impaktforscher, die Politikwissenschafterin Anna Wrobel, der Künstler Florian Raditsch, der Bilder von Meteoriten in seinem Portfolio führt, und ein Außenpolitikjournalist mit Faible für Wissenschaft auf den Weg in die Obersteiermark.

Ludovic Ferrière auf der Suche nach dem Stein aus dem All.
Foto: Michael Vosatka

Riesiges Gebiet

Die sensationelle Nachricht vom wahrscheinlichen Meteoritenfall ist jedoch zugleich auch die schlechte: Das Gebiet erstreckt sich von Lunz am See in einem fünfzig Kilometer langen und zwischen eineinhalb bis fünf Kilometer breiten Korridor bis nach Kindberg im Mürztal – wobei auch leichte Abweichungen nach Ost und West durchaus möglich sind. Das fundträchtige Gebiet ist darüber hinaus nur wenig besiedelt, bewaldet und gebirgig.

Der Bolide drang in einem flachen Winkel und verhältnismäßig langsam in die Erdatmosphäre ein. Das Resultat ist ein extrem langgezogenes potentielles Streufeld.
Illustr.: Astronomisches Institut der ASCR, Hintergrundkarte: Google Earth

Die daher ohnedies mäßigen Aussichten auf einen Fund werden durch einen weiteren Faktor noch reduziert: In der Nacht auf Samstag hat es geschneit, der gefrorene Boden ist mit einer Schneedecke verhüllt. Zwar handelt es sich nur um ein bis zwei Zentimeter, doch das reicht aus, um die Spuren frischer Einschläge im Boden zu bedecken. Ferrière schafft es dennoch, die Motivation des Teams aufrechtzuhalten.

Ein Stein schaut unter der frischen Schneedecke hervor. Ein größeres Meteoritenbruchstück könnte vielleicht entdeckt werden, kleinere sind bei diesen Bedingungen unauffindbar.
Foto: Michael Vosatka

Die Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen ist trotzdem aussichtsreicher: Die Meteorite können in dem zig Quadratkilometer umfassenden Fundgebiet überall sein. Im Wald, im Gestrüpp, in Bächen und auch in den im landwirtschaftlichen Gebiet reichlich vorhandenen Heu- und Misthaufen braucht man eine Nachschau aufgrund der Sinnlosigkeit erst gar nicht zu halten. Der Forscher wählt als Suchgebiet einen Flecken mit zahlreichen mehr oder weniger steilen Wiesen östlich von Turnau.

Die Wiesen bieten in Anbetracht der Umstände die besten Suchbedingungen.
Foto: Michael Vosatka

Hier, im Räuschinggraben, probieren wir unser Glück. Auf einer Fläche entlang eines Baches gehen wir in fixen Abständen zueinander mit dem Blick über den Boden schweifend das Gebiet ab. Wir suchen nach Stellen mit frisch aufgewühlter Erde und nach Brocken mit schwarzer, samtschimmernder Oberfläche. Davon finden wir reichlich: Das Feld wurde offensichtlich erst kürzlich gedüngt.

Suchbild: wo ist der Meteorit?
Foto: Michael Vosatka

Auch auf einer Forststraße, im Wald und auf steilen Wiesen werden wir nicht fündig. Immerhin, auf den Wiesen gibt es reichlich frische Löcher im Boden zu untersuchen: Sie stammen jedoch ausnahmslos von den Hufen der Kühe.

Auf einer Forststraße kann ein Meteorit nicht so tief in den Boden eindringen wie auf einer Wiese. Fündig werden wir dennoch nicht.
Foto: Michael Vosatka

Auch am Sonntag muss Ferrière mit anderen Begleitern unverrichteter Dinge wieder abziehen: Andernorts waren die Schneedecken noch dicker. Der Kurator hofft nun auf die Mithilfe der Bevölkerung: Schon am Wochenende zeigte er Einheimischen einen vergleichbaren Meteoriten, damit sie wissen, wonach sie Ausschau halten sollen. Falls jemand einen ungewöhnlichen Stein mit schwarzer Kruste und hellem Inneren gefunden hat, bittet Ferrière um Information über die Webseite des NHM. (Michael Vosatka, 24.11.2020)

Eine bestimmte Art von Steinschlag ist manchmal wünschenswert.
Foto: Jean-Guillaume Feignon