Der frühere Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, Peter Gridling, nimmt seine ehemaligen Kollegen in Schutz.

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Wien – Der frühere Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), Peter Gridling, nimmt seine ehemaligen Kollegen im Zusammenhang mit dem Anschlag von Wien in Schutz. Im Interview mit der "Tiroler Tageszeitung" ortet er Skandalisierungen. Gridling hat nämlich Zweifel daran, dass die Justiz mit Festnahme reagiert hätte, hätte sie vom Munitionskaufversuch des späteren Attentäters in der Slowakei erfahren.

"Was hätte man der Justiz genau melden müssen? Einen nicht strafbaren Vorgang in der Slowakei? Eine neue vermutete Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation?", fragt Gridling und meint weiter: "Hätte dies gereicht, um die Bewährung zu beenden? Man kann viel skandalisieren." Er persönlich glaube nicht, dass die Justiz aufgrund der Anfangsinformation eine U-Haft verhängt hätte: "Vielleicht hätte sie einen Hausdurchsuchungsbefehl ausgestellt. Ob man da Waffe und Munition gefunden hätte, weiß ich nicht."

Justiz: Wäre Grund für U-Haft gewesen

Barbara Göth-Flemmich sah dies Anfang November anders. Da erklärte die Leiterin der Sektion Einzelstrafsachen im Justizministerium, dass die Justiz keinen Hinweis im Hinblick auf den versuchten Munitionskauf des Attentäters in der Slowakei erhalten habe. Wenn man darüber eine Meldung erhalten hätte, wäre das ein Grund gewesen, den Mann wieder in Haft zu nehmen, so Göth-Flemmich. Bei der erfolgten bedingten Entlassung sei nämlich vom Gericht vorgesehen worden, dass der 20-Jährige drei Jahre unter Beobachtung stehen soll. Nach der Entlassung sei das Innenministerium darüber informiert worden.

Grundsätzlich sagt Gridling, der erst vor wenigen Wochen endgültig den Ruhestand angetreten hat: "Ich finde, dass sich in dieser Angelegenheit zu viele Experten zu Wort melden, die kein oder nur begrenztes Wissen über die Vorgänge haben. Hier wird rasch mit Schuldzuweisungen operiert." Eine Untersuchung der Vorgänge begrüßt er immerhin.

Entschädigungsanträge

Der Terrorist hat bei seinem Anschlag am 2. November vier Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt. Laut Sozialministerium sind bisher zwei Entschädigungsanträge nach dem Verbrechensopfergesetz eingebracht worden. "Mit weiteren Anträgen ist aufgrund der erfolgten Aktivitäten bzw. Kontakte des Sozialministeriumservice zeitnah zu rechnen", hieß es.

Das Sozialministerium geht derzeit von 40 bis 50 unmittelbar Betroffenen aus. Dazu zählen Verletzte, Hinterbliebene von Getöteten, schockgeschädigte Angehörige bei Schwerverletzten und traumatisierte Tatzeugen. Die Antragsfristen nach dem Verbrechensopfergesetz betragen generell drei Jahre ab der Schädigung. "Für Anträge auf Psychotherapie gibt es keine Antragsfrist", betonte das Ministerium. Was an finanziellen Mitteln für die Entschädigung der Terroropfer nach dem Verbrechensopfergesetz aufzuwenden ist, lasse sich "derzeit noch nicht abschätzen".

Umfang der Hilfe wird geprüft

Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) betonte am Montag am Rand einer Pressekonferenz, hinsichtlich der Opferentschädigung arbeite man eng mit dem Innen- und dem Justizministerium zusammen. Ziel sei "eine möglichst gute, betroffenengerechte Lösung". Die Verbrechensopferhilfe Weißer Ring hatte am vergangenen Donnerstag für sämtliche Personen, die sich im Nahebereich des Terroranschlags befanden, vollen Zugang zu den Leistungen aus dem Verbrechensopfergesetz verlangt, was Kostenübernahme für Psychotherapie, Pauschalentschädigung für Schmerzensgeld sowie Verdienst- und Unterhaltsentgang inkludieren würde. Dieser Vorschlag, speziell die Einbeziehung von geschockten Opfern im örtlichen und zeitlichen Nahebezug, aber ohne unmittelbaren Kontakt zum Anschlag wird laut Sozialministerium derzeit geprüft.

Peschorn: Verbrechensopfergesetz als beste Option

Unterdessen forderte der Präsident der Finanzprokuratur, Wolfang Peschorn, im Ö1-"Morgenjournal" Betroffene dazu auf, Entschädigungsanträge nach dem Verbrechensopfergesetz einzubringen. Dieses biete eine rechtliche Grundlage, um rasch und umgehend Hilfe in Anspruch zu nehmen. "Der Staat hat die Verantwortung, dieses Leid zu mindern", betonte Peschorn.

Aus Peschorns Sicht ist diese Schiene für Betroffene aussichtsreicher als eine Amtshaftungsklage. Amtshaftung käme im Zusammenhang mit dem Terrorakt nur bei nachgewiesenem rechtswidrigem und schuldhaftem Verhalten von Organträgern, die der Republik Österreich zuzurechnen sind, infrage.

Eine solche Klage hat bereits der Wiener Rechtsanwalt Karl Newole angekündigt, der mehrere Hinterbliebene sowie Verletzte vertritt. Er begrüßte Peschorns Wortmeldung und bekräftigte, er werde auch Leistungen nach dem Verbrechensopfergesetz beantragen: "Die Geltendmachung von Ansprüchen nach dem Amtshaftungsgesetz wird aber erst dann nicht notwendig sein, wenn alle Opfer ausreichend entschädigt sind." Wichtig sei es, dass Opfer jetzt ihre Ansprüche stellen, "da Entschädigungen nicht automatisch erfolgen", wie Newole in einer Presseaussendung festhielt. (APA, red, 23.11.2020)