Fast genau ein Jahr, nachdem die von ihr geleitete Regierung durch ein Misstrauensvotum gestürzt worden war, gewann Maia Sandu am 15. November die zweite und entscheidende Runde der Präsidentschaftswahl in der Republik Moldau mit 58 Prozent der Stimmen gegen den Amtsinhaber Igor Dondon.

Sandu, geboren 1972, studierte Betriebswirtschaft und internationale Beziehungen. Sie war unter anderem zwei Jahre als Beraterin an der Weltbank tätig und zeichnete sich durch ihre erfolgreiche Arbeit als Bildungsministerin der Republik Moldau in den Jahren 2012 bis 2015 aus. In dieser Arbeit und während ihrer gesamten politischen Tätigkeit erwarb sie sich öffentliches Ansehen aufgrund ihres Auftretens gegen die im Land verbreitete Korruption. Den Wahlsieg in der Präsidentschaftswahl in diesem Jahr verdankt sie der Unterstützung durch die jüngere und städtische Wählerschaft. Von den 265.000 Auslandsmoldauern, die sich an der Wahl beteiligten – 16 Prozent der Wahlbeteiligten – stimmten über 90 Prozent für sie. Wichtig war offenbar aber auch ihr Auftreten gegen eine einseitige geopolitische Ausrichtung des Landes im Wahlkampf. In einem Interview in der ukrainischen Online-Zeitung "Evropäskaja Prawda" vom 20. November sagte sie dazu:

„Ohne Bedeutung ist, ob ein Mensch nach Osten oder nach Westen schaut, ob er Rumänisch oder Russisch spricht – weder die einen noch die anderen sehen es gerne, wenn sie getäuscht werden darüber, dass man sie belügt und ausraubt. Jeder Mensch möchte geachtet werden, jeder braucht wirtschaftliche Chancen. Man möchte die Möglichkeit haben, ein Unternehmen zu eröffnen und dabei zu wissen, dass die Steuern, die man zahlt, nicht Teil eines Korruptionsnetzwerks werden. Und auch die Situation wird abgelehnt, dass es Unternehmen gibt, die nur deshalb keine Steuern zahlen müssen, weil sie durch ein ‚politisches Dach‘ geschützt werden“.

Sandu ist eine erfahrene Politikerin, die sich gegen die im Land existierenden Parteienblöcke, die sozialistische Partei, die als prorussisch gilt, und der Demokratischen Partei (PDM), die als prowestlich gilt und von einem mächtigen Oligarchen, Vladimir Plahotniuc, dominiert wird, durchgesetzt hat. In den letzten Jahren hatten sich diese beiden Machtblöcke wiederholt gegeneinander regiert, beim Misstrauensvotum gegen Sandu im November 2019 hatten sie zusammengearbeitet. Sandu hatte 2015 eine eigene Partei gegründet, die 2019 in einem Wahlbündnis zweitstärkste Kraft im Parlament wurde.

Sandu spricht sich vor allem gegen die Korruption in Moldau aus.
Foto: EPA/DUMITRU DORU

Das Profil von Maia Sandu

Im bereits zitierten ausführlichen Interview hat sie ihre Position zu wichtigen innen- und außenpolitischen Fragen ihres Landes dargelegt. Sie wolle den Handel mit den EU-Staaten ebenso wie mit Russland ausbauen, Handelshindernisse – auch solche, die mit dem Assoziierungsabkommen des Landes mit der EU entstanden seien – sollen abgebaut werden. Russland sei nach wie vor ein wichtiger Partner, auch weil viele Bürgerinnen und Bürger ihres Landes dort arbeiteten. Für jene müssten dort allerdings würdige Arbeitsbedingungen und ein ausreichender sozialer Schutz gewährt werden, solange jedenfalls bis bei ihnen zu Hause keine annehmbaren wirtschaftlichen Bedingungen geschaffen worden seien.

Aufhorchen ließ mich ihre Aussage zum Mythos der proeuropäischen Orientierung einiger Regierungen des Landes (darunter der PDM), der auch durch unseren Medien verbreitet worden ist: „Bei vielen hat sich der Eindruck verfestigt, dass Demokratie ein Synonym für Korruption und Armut ist. Politiker nannten sich proeuropäisch, aber tatsächlich haben sie die Menschen ausgeraubt und den Staat äußerst uneffektiv geführt.“ Und als ihre schwierige Aufgabe formulierte sie, der Glauben an die Demokratie und an den Staat in der Bevölkerung müsse wiederhergestellt werden. „Das ist das allerwichtigste.“

In dem Interview wurden noch viele weitere Themen berührt, angefangen mit der erforderlichen Aktivierung der Beziehungen mit dem Nachbar Ukraine, denen ihr Vorgänger kaum Beachtung geschenkt hatte. Diese sind nicht ohne Probleme, auch wenn Sandu die Zugehörigkeit der Krim zur Ukraine eindeutig anerkennt. Dazu gehört der Konflikt über den Ausbau von Wasserkraftwerken am Dnister, wodurch die Republik Moldau Wasserprobleme bekommen hat. Einen breiten Raum nahm auch die Lage um Transnistrien ein. Hier verwies sie darauf, dass vom Schmuggel nach Transnistrien, also der Aufrechterhaltung des Status quo, viele verdienen, auch moldauische Politiker. Bezüglich der Interessen des in den Konflikt involvierten Russland setzt sie auf Verhandlungen. Militärische Mittel zu seiner Lösung nach dem Beispiel des Konflikts um Nagorny Karabach schließt sie aus.

Die größten Aufgabengebiete für Sandu

Mit Sandu hat nach langer Zeit offenbar das erste Mal eine Person das Präsidentenamt inne, die tatsächlich an den Problemen der Bevölkerung ihres Landes interessiert ist. Vor ihr liegt allerdings ein langer Weg, auf dem zuerst innenpolitische Hindernisse aus dem Weg geräumt werden müssen. Das Parlament wird in seiner jetzigen Zusammensetzung viele ihrer Maßnahmen zu blockieren versuchen. Die innere Spaltung der Gesellschaft zu mindern wird ebenfalls schwierig werden. Die gegensätzlichen geopolitischen Orientierungen haben sich über lange Zeit, gepflegt durch die Medien und instrumentalisiert durch politische Parteien, stabil herausgebildet. Am längsten aber wird es dauern, die durch die Transformation entstandene Armut breiter Bevölkerungsschichten, die wirtschaftliche Hoffnungslosigkeit und den daraus erwachsenen Trend zur Auswanderung zu überwinden. Eine Demokratie ist nur dann auf Dauer stabil, wenn die Bevölkerung durch eine angemessene Beteiligung an den Resultaten der wirtschaftlichen Entwicklung so abgesichert ist, dass nicht große Gruppen ständig um ihr soziales Überleben kämpfen müssen. Eine aktive politische Partizipation kann sich nur auf der Grundlage angemessener sozialer Teilhabe entwickeln. (Dieter Segert. 30.11.2020)

Dieter Segert war von 2005 bis 2017 Universitätsprofessor für Transformationsprozesse in Mittel-, Südost- und Osteuropa am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

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