Weihnachten und Amazon? Eine Kombination, der die Corona-Pandemie durchaus behagt. In Frankreich wünscht man sich jedoch ein Weihnachtsfest ohne den Handelsriesen.

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Kulturministerin Roselyne Bachelot wurde einmal deutlich: "Ja, Amazon stopft sich voll. Es ist an uns, sie nicht noch zusätzlich zu mästen." Die harten Worte einer politisch gemäßigten Vertreterin der Macron-Regierung sprechen Bände über die Stimmung in Frankreich. Buchhändler, Kleiderverkäufer, aber auch Künstler, Autoren und sogar die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo werfen dem amerikanischen Onlinehändler vor, er reiße das Weihnachtsgeschäft an sich und treibe in der aktuellen Covid-Krise den Einzelhandel noch ganz in den Ruin.

Als Reaktion fordert eine Petition die Franzosen zu "Weihnachten ohne Amazon" auf. Der Erklärtext vermeidet das Wort Boykott, bezeichnet die Bestellplattform aber unverhohlen als "digitalen Wegelagerer". Auch Grünen-Politiker, Gewerkschafter und Nichtregierungsorganisationen haben den Aufruf unterzeichnet. "Es ist nicht nur ein Appell, nicht mehr auf Amazon zu bestellen, sondern eine positive Petition zugunsten der lokalen Kleinhändler und eines nachhaltigen Onlinehandels", heißt es in dem Text, der auch eine spezielle Besteuerung von Amazon verlangt.

Selbst Schuld

Die vehementen Worte hat sich der Online-Anbieter zum Teil selbst zuzuschreiben. Sein Frankreich-Chef Frédéric Duval posaunte mitten in der Corona-Rezession, er habe in diesem Jahr 40 bis 50 Prozent Umsatz zugelegt. Damit weckte er den Zorn von Detailhändlern, die katastrophale Verkaufseinbrüche erleiden. Viele hatten auf das rettende Weihnachtsgeschäft gesetzt, doch die zweite Corona-Welle schmälerte diese Hoffnungen rasch wieder.

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Behördliche Schließungen machen dem Handel in Paris auch in der zweiten Corona-Welle wieder zu schaffen.
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Die Regierung brachte die kleinen Händler zusätzlich auf die Palme, als sie Ende Oktober einen neuen, teilweisen Lockdown verkündete, diesen aber mit unverständlichen Maßnahmen begleitete. So dürfen nur noch Läden mit "unentbehrlichen" Produkten offen halten. Blumen und Bücher fallen zum Beispiel nicht darunter, Zeitungen und Alkoholika aber schon. Supermärkte bleiben geöffnet, da sie "unentbehrliche" Lebensmittel und Hygieneartikel anbieten; kleine Buchhandlungen mussten aber ihre Rollläden herunterlassen.

Online statt im Geschäft

Premierminister Jean Castex sah den Widersinn dieser Maßnahmen ein. Auf den Rat seines "Wissenschaftsrates" erlaubte er aber nicht etwa den kleinen Läden, Kunden – auch nur im Einzelempfang – zu bedienen. Vielmehr untersagte er den Großverteilern den Verkauf von Büchern, Pflanzen oder "entbehrlichen" Kleidungsstücken (Unterwäsche bleibt im Verkauf). So finden sich die Einkaufenden heute im Supermarkt vor teilweise geschlossenen Regalen wieder. Viele kehren kopfschüttelnd nach Hause zurück und bestellen dort auf Amazon das gewünschte Produkt.

Diese paradoxale, wenn nicht absurde Situation umgehen findige Buch- und Kleiderhändler mit dem Prinzip "Call & Collect" (Anrufen und Abholen): Sie nehmen telefonische oder digitale Bestellungen entgegen und erfüllen sie vor dem eigentlich geschlossenen Ladentor.

Die Menschen tummeln sich nicht im Amazon-Sitz in New York, sondern im Onlineshop des Handelsriesen.
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Black Friday

Viele Franzosen unterstützen solche lokalen Initiativen zur Rettung des Kleinhandels, doch das Gros der Aufträge entfällt weiterhin auf den Amazon-Konzern, der den Onlinehandel in Frankreich mit sieben riesigen Verteilzentren und 22 Prozent Marktanteil dominiert. Und im französischen Weihnachtsgeschäft wollte das Unternehmen des Milliardärs Jeff Bezos noch bedeutend stärker abräumen. Ein Mittel dafür ist ihm die aus den USA importierte Operation Black Friday. Der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire versuchte sie vergeblich zu verhindern. Er hat zwar keine Handhabe dafür, aber nach intensiven Verhandlungen immerhin erreicht, dass die Schnäppchenaktion um eine Woche vom 27. November auf den 4. Dezember verschoben wird.

Die Wirkung könnte beträchtlicher sein, als es auf den ersten Blick scheint – denn Präsident Emmanuel Macron will den Lockdown noch diese Woche stufenweise zurückfahren: mit der Folge, dass die Einkäufe am 4. Dezember wieder physisch möglich sein dürften. Damit wären die Franzosen nicht mehr gezwungen, ihre Weihnachtseinkäufe an dem landesweit massiv befolgten Black Friday nur über Amazon abzuwickeln. (Stefan Brändle aus Paris, 24.11.2020)