Intensivmediziner können oft lange nicht vorhersagen, ob ein Covid-19-Patient überleben wird.

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Rund 700 an Covid-19 erkrankte Menschen werden in Österreich aktuell auf Intensivstationen behandelt. "Bei insgesamt 2000 Intensivbetten ist das aktuell eine kritische Auslastung. Für das Personal bedeutet das eine hohe Belastung," so Klaus Markstaller, Leiter der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie am AKH Wien.

Zwar sei das Land, was die Infrastruktur anbelangt, hervorragend vorbereitet, dennoch breite sich das Virus nun schneller aus als im Frühling. Gründe dafür seien die Lockerungen im Sommer, der Umstand, dass sich nun wieder mehr Menschen in Innenräumen aufhalten, und eine gewisse Grundprävalenz, also dass das Virus in der Bevölkerung nun weiter verbreitet sei. Markstaller vermutet für die nächsten Wochen eine Verschärfung der Situation auf den Intensivstationen: "Wir hoffen aber, dass durch die sinkenden Infektionszahlen auch die Aufnahmen in den Spitälern wieder nach unten gehen werden", so der Experte weiter.

Was die Mortalitätszahlen betrifft, steht Österreich vergleichsweise gut da. Aktuell liegt die Sterblichkeit von Intensivpatienten bei 20 bis 30 Prozent. In der Schweiz etwa versterben doppelt so viele Menschen wie hierzulande. Das sei nur durch die Anzahl der verfügbaren Intensivbetten erklärbar, sagt Markstaller, denn in beiden Ländern sei das ökonomische und medizinische Niveau sehr hoch.

Auch Junge betroffen

Anders als oft behauptet wird, sind laut Markstaller nicht nur ältere Menschen oder jene mit Vorerkrankungen von schweren Verläufen betroffen: "Durchaus sind es auch Patientinnen und Patienten, die jung sind und mitten im Leben stehen." Das bestätigt auch Walter Hasibeder, Leiter der Abteilung für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin am Krankenhaus St. Vinzenz in Zams. Zahlen der Tiroler Krankenhäuser aus dem Frühjahr zeigen, dass von den hundert Patienten, die intensivmedizinisch betreut wurden, 50 Prozent jünger als 64 waren. "Das Argument, dass die Betroffenen schon vor Covid-19 sehr alt oder krank waren, lässt sich damit nicht halten", so Hasibeder.

Obwohl viel publiziert wird, sei man weit davon entfernt, die Krankheit zu verstehen. "Immer wieder gibt es neue Facetten, mit denen wir nicht rechnen. Oder es treten Verschlechterungen bei Patienten auf, die schon auf dem Weg der Besserung waren. Bei Covid-19 ist nichts vorhersehbar", so Hasibeder. Für die Pflege, für Ärztinnen und Ärzte sowie für Angehörige sei das eine sehr belastende Situation. "Wir können oft wochenlang nicht sagen, wie die Erkrankung eines Patienten verlaufen wird und ob er oder sie es überstehen wird."

Nur ein kleiner Anteil der Infizierten, etwa fünf Prozent, erkrankt schwer und entwickelt ein akutes Lungenversagen, drei Prozent müssen intensivmedizinisch betreut werden. Allerdings müssen die Patienten sehr lange auf Intensivstationen behandelt und beatmet werden. "Normalerweise sehen wir als Intensivmediziner bei schweren Infektionen nach zwei bis drei Tagen, dass der Patient sich gut entwickelt, und können vorhersagen, ob er es überleben wird. Bei Covid-19 ist das ganz anders", so Hasibeder. Beatmungspflichtige Patienten, das wisse man von der ersten Welle im Frühling, bleiben im Schnitt 33 Tage auf Intensivstationen und 18 Tage werden sie beatmet. Zum Vergleich: Für gewöhnlich, etwa bei Patienten mit septischem Schock oder Organversagen, beträgt die Aufenthaltsdauer neun und die Zeit der Beatmung vier Tage.

Kleine Fortschritte

In puncto Behandlung sei im Sommer zu Unrecht Entwarnung gegeben worden. Zwar gebe es Fortschritte in der Therapie, groß seien sie jedoch nicht, sagt der Tiroler Intensivmediziner und gibt einen kurzen Überblick. Aktuell wird in der ersten Woche auf nichtinvasive Beatmung gesetzt, bevor auf invasive umgestiegen wird. "Davon profitieren die Patienten. Wenn man aber zu lange wartet, nimmt die Sterblichkeit wieder zu."

Außerdem gebe es ein zunehmendes Verständnis für die Rolle der Blutgerinnung, dieses habe in der ersten Welle noch gefehlt, und viele Betroffene hätten daher Lungenembolien oder Schlaganfälle erlitten. Nun sei damit begonnen worden, Patienten eine Blutverdünnung zu verabreichen, laut einer Studie müssten sie dann seltener intubiert werden, auch das Sterberisiko sinke um 20 Prozent.

Bei der Behandlung mit Dexamethason seien die "Effekte in der Klinik nicht immer so sichtbar wie in den Studien", so Hasibeder. Zu Remdesivir, der Therapie mit Rekonvaleszenten-Plasma oder mono- sowie polyklonalen Antikörpern, gebe es laut dem Experten bisher keine ausreichenden Belege für positive Effekte.

Noch keine Triage

Geht es um die zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu Covid-19, seien Intensivmediziner in Österreich, laut Hasibeder, auf dem neuesten Stand: "Es gibt laufend Literaturbesprechungen, aktuelles Wissen wird in Richtlinien übernommen." Bereits im März sei ein erstes Papier zur Entscheidungsfindung bei knappen Ressourcen veröffentlicht worden, das nun überarbeitet wurde.

"So schnell werden wir aber nicht in eine Triage-Situation kommen", sagt Hasibeder. Wenn es eng werde, müsse man in die Aufwachräume ausweichen und Personal umschichten. "Etwa aus der Anästhesie, denn der Fachbereich ist gelebte Intensivmedizin im OP." Insofern ist auch Hasibeder zuversichtlich: "Wenn jetzt die Infektionszahlen hinuntergehen, werden wir diese Sache ganz sicher stemmen." (Bernadette Redl, 24.11.2020)