Die aufgetauchten Dokumente werfen einige Fragen auf.

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Dass Amazon gegenüber Gewerkschaften nicht sonderlich positiv eingestellt ist, ist ein Vorwurf, den sich der E-Commerce-Riese in den vergangenen Jahren immer wieder anhören musste. In Deutschland streitet man sich mit der Gewerkschaft Verdi nach wie vor darum, nach welchen Verträgen die Logistikmitarbeiter anzustellen sind. Immer wieder kommt es auch zu Streiks.

Interne Dokumente – "Vice" berichtet von zwei Dutzend Berichten und Mails – zeigen nun, dass Amazon in Europa beobachtet, wie aktiv die eigenen Mitarbeiter in Sachen Arbeitnehmerorganisation sind. Zudem verfolgt man genau nach, was Gewerkschaften und Umweltschutzgruppen auf sozialen Medien tun.

Umfangreiche Protokolle

Die Dokumente stammen aus dem vergangenen Jahr und legen nahe, dass vor allem in der besonders umsatzstarken Zeit zwischen dem sogenannten Black Friday Ende November und Weihnachten besonders genau hingesehen wird.

Das Global Security Operations Center, offiziell für die Sicherheit der Amazon-Standorte weltweit zuständig, lässt sich demnach über einschlägige Aktivitäten unterrichten. Wenn sich Mitarbeiter organisieren – etwa in Versammlungen, Streiks oder Flugblattaktionen –, werden Datum, Zeit und Ort exakt festgehalten. Dazu wird dokumentiert, wer die Versammlung gemeldet hat und wie viele Teilnehmer es gab. In manchen Fällen steht auch dabei, wie zahlreich die Teilnahme im Vergleich zu den von Amazon errechneten Erwartungen war. Erfasst werden auch andere Daten – etwa wenn Mitarbeiter mit bestimmten Arbeitsbedingungen unzufrieden sind oder Diebstähle.

Fake-Accounts auf Facebook

Über Facebook und Co behalten die Analysten zudem Umweltaktivisten und soziale Initiativen im Auge, darunter etwa die von Greta Thunberg initiierte Fridays-for-Future-Bewegung, die man offenbar als Bedrohung betrachtet. Auch die Gelbwesten-Kundgebungen in Frankreich und Solidaritätskundgebungen in Wien finden sich im Bestand der beobachteten Ereignisse. Begründet wird die Beobachtung damit, dass man "potenzielle Risiken oder Gefahren, die den Betrieb beeinträchtigen könnten, aufzeigen" möchte, um "den Kundenerwartungen gerecht zu werden".

Ein anonymer Insider berichtete "Vice", dass Mitarbeiter der Sicherheitsabteilung Fake-Accounts auf sozialen Medien anlegen, um dort die Aktivitäten von Mitarbeitern, die sich führend bei der Selbstorganisation betätigen, mitzuverfolgen.

Amazon soll außerdem die Dienste des Unternehmens Pinkerton in Anspruch nehmen. Dieses hat sich auf Detektivarbeit und Sicherheitsdienstleistungen spezialisiert. Das 1850 gegründete Unternehmen, das mittlerweile zur schwedischen Securitas gehört, gilt als Spezialist zur Untergrabung gewerkschaftlicher Initiativen und für das "Brechen" von Streiks.

Amazon weist Vorwürfe zurück

Die Zusammenarbeit mit Pinkerton hat Amazon bestätigt. Zu den internen Dokumenten erklärt man, dass man "wie jedes verantwortungsvolle Unternehmen" bemüht sei, einen gewissen Level an Sicherheit für Mitarbeiter, Gebäude und Inventar zu erhalten. Bei internen Untersuchungen arbeite man mit den jeweiligen lokalen Behörden zusammen. Zu behaupten, man würde "unüblich oder falsch" handeln, sei "unverantwortlich und inkorrekt". Das Anlegen von Fake-Konten auf sozialen Netzwerken verstoße zudem gegen interne Richtlinien.

Kritik kommt vom Gewerkschaftsverband Uni. Amazon würde nicht nur seine Marktmacht ausnutzen und deswegen von der EU verfolgt, sondern nun auch "Union Busting"-Taktiken aus den USA im 19. Jahrhundert nach Europa exportieren.

Die meisten US-Unternehmen, die in Europa erfolgreich sein wollen, würden sich daran anpassen, dass es dort starke Gewerkschaften gibt. Und diejenigen, die dies nicht getan hätten, seien wieder verschwunden – etwa Walmart und Toys"R"Us. Amazon sei hier bisher eine Ausnahme. Man müsse dem Konzern klarmachen, dass er damit nicht davonkommen werde. (red, 24.11.2020)