Im Saal 106 des Wiener Landesgerichts für Strafsachen muss Richter Stefan Renner eine diffizile Rechtsfrage lösen: Ist man für einen Berauschten verantwortlich?

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Wien – Peter K. wurde nur 35 Jahre alt. Der Anwalt stürzte am 14. August 2018 von der Dachterrasse seiner Wohnung 23 Meter in die Tiefe. Eine Tragödie für seine Familie, seine Freunde, seine Bekannten. Doch einer seiner Freunde muss sich nun vor Richter Stefan Renner verantworten: Staatsanwältin Caroline Czedik-Eysenberg wirft dem 37-jährigen Z. vor, gemeinsam mit dem später Verstorbenen LSD konsumiert und sich nicht um ihn gekümmert zu haben, als es diesem schlechter ging. Die Anklage lautet auf "Imstichlassen eines Verletzten", Z., selbst Anwalt, drohen bis zu drei Jahre Haft.

Die Geschichte spielt in den sogenannten besseren Kreisen Wiens. Neben Juristen spielen auch Mediziner, Analysten, Consulter, Venture-Capital-Investoren und Künstler eine Rolle. Der auch in Bret Easton Ellis' Roman "American Psycho" schön dargestellte Grundsatz "Work hard, play hard" traf auf K. offensichtlich zu, sagt der Angeklagte. "Es war immer Party. Er war aber auch sehr beliebt und bekannt dafür", schildert Z., der sich nicht schuldig bekennt.

Staatsanwaltschaft wandelte Anklage um

Seine Verteidiger Zaid Rauf und Philipp Haller sehen das naturgemäß auch so, wie Rauf in seinem Eröffnungsplädoyer erklärt. Gegen seinen Mandanten werde "im Akt eine bestimmte Stimmung gemacht", argumentiert er. Denn zunächst sei Z. von der Anklagebehörde fahrlässige Tötung vorgeworfen worden. Ohne neue Tatsachen sei dann plötzlich auf das Imstichlassen eines Verletzten umgestellt worden – das aber ein Vorsatzdelikt sei.

Und überhaupt sei die Anklage an den Haaren herbeigezogen, denn K. habe am Vorfallstag mit dem Angeklagten gefeiert, die Stimmung sei gut gewesen. Von einer Party am Cobenzl habe sich K. dann plötzlich verabschiedet und sei heimgefahren. Z. habe ihn sogar noch dreimal angerufen, ob es ihm gutgehe – das letzte Mal wenige Minuten, bevor er in den Tod stürzte. Legt man diesen Ablauf zugrunde, müssten auch beispielsweise bei einem Unfall nach gemeinsamem Alkoholkonsum alle angeklagt werden, die noch im Wirtshaus sitzen geblieben sind.

Angeklagter Z. macht einen mäßig sympathischen Eindruck. Er hört sich selbst gerne reden, stellt Richter Renner Fragen und unterbricht einen Zeugen. Ein Dialog mit Renner klingt daher etwas überraschend: "Wissen Sie, was die Krux an LSD ist, Herr Rat?" – "Ich weiß es nicht, aber Sie können es mir gerne sagen." – "Es macht extrem selbstbezogen."

"Intensive Freundschaft, getragen von Feiertätigkeit"

Der Angeklagte hat K. jedenfalls 2005 während des Studiums kennengelernt. "Es war eine intensive Freundschaft, getragen von Feiertätigkeit." 2012 ging Z. zur Fortbildung ins Ausland. "Dort habe ich im November 2013 meine nunmehrige Exfrau geheiratet, die Freundschaft mit Peter flachte ab." Aber nicht lange: 2016 ließ Z. sich scheiden und eröffnete in Wien eine Kanzlei: "Es war joie de vivre, dass wir in Wien immer sehr intensiv gefeiert haben."

Er selbst habe mit 17 oder 18 den ersten Joint geraucht, ab der Studienzeit Kokain konsumiert und ab 2007 mehrmals LSD. Opfer K. habe nach Angaben des Angeklagten 15 Jahre lang fast täglich Joints geraucht und über Jahre zwei bis viermal im Monat Kokain konsumiert. Mit LSD habe K. aber keine Erfahrungen gehabt.

Der Angeklagte schon, er beschreibt das Resultat so: "Ich habe das als schönen Rausch, als edlen Rausch angesehen. Nicht nur ständig zugedröhnt sein, das ging mir auf die Nerven." Er schreibe unter dem Einfluss der Chemikalie Poesie, stelle philosophische Betrachtungen an und fühle sich verbunden mit Natur und Universum.

"Hervorragende Stimmung"

Am Vorfallstag hat Z. mit K. und anderen zunächst zwei Lokale besucht, dann fuhren die beiden zu Z. und nahmen das LSD, später bestiegen sie ein Taxi, um zur Feier am Cobenzl zu gelangen. "Es war eine hervorragende Stimmung im Taxi, wir haben mit dem Fahrer gescherzt", beteuert der Angeklagte. Auch bei der Party sei K. gut drauf gewesen, er habe mit einer Gruppe junger Frauen gescherzt und an einem Joint gezogen.

"Dann haben sie sich angefangen zu necken", erinnert sich Z. vor Gericht. K., dessen Verlobung wenige Wochen davor in die Brüche gegangen ist, sei sich offenbar vorgeführt vorgekommen. Man habe sich von "den Mädchen" entfernt, als K. plötzlich ein ebenso von Z. bereits in der Wohnung zur Verfügung gestelltes angstlösendes und beruhigendes Medikament schluckte. Es sei üblich, damit den LSD-Rausch zu steuern, erklärt der Angeklagte dem Richter.

Abrupter Aufbruch

Damals habe K. jedenfalls plötzlich gesagt, er habe sein Handy verloren – und außerdem wolle er heim. Z. suchte zunächst nach dem Mobiltelefon. Als er zurückkam, sah er noch, wie K. ein Taxi bestieg. Um 23.38 Uhr habe er K. dann zum ersten Mal angerufen, der habe ihm erklärt, er sei gut heimgekommen sitze auf dem Sofa und rauche. Er habe auch vorgeschlagen, Z. solle "die Mädchen" und zwei Bekannte mitnehmen und bei ihm weiterfeiern.

Auch bei einem zweiten Telefonat wenige Minuten später habe er sich keine Sorgen gemacht, obwohl K. offenbar mit seiner Exverlobten telefonieren wollte, schildert der Angeklagte. Beim dritten Anruf um 23.50 Uhr habe K. genervt geklungen, es könne sogar sein, dass dieser aufgelegt habe. Genau könne er sich aber nicht mehr erinnern, da die Droge bei ihm selbst da die volle Wirkung entfaltete.

Er habe nie daran gedacht, dass K. etwas passieren könnte, beteuert der Angeklagte. "Er ist ja nicht auf einen Kran geklettert oder auf der A2 gegangen. An die Dachterrasse habe ich nicht einen Moment lang gedacht", begründet er, warum er sich keine Sorgen machte und nicht nachfuhr.

Angeklagter "in bedauernswertem Zustand"

Der Vater des Toten schildert als Zeuge, zu einem Treffen von Hinterbliebenen am nächsten Tag sei Z. "in sehr bedauernswertem Zustand" gekommen. Er habe sich Vorwürfe gemacht und erzählt, dass man gemeinsam LSD konsumiert habe. Der Zeuge habe sich sogar gesorgt, dass Z. sich etwas antun könnte.

Ihm gegenüber habe der Angeklagte ein oder zwei Tage später erwähnt, er habe die gleiche Dosis wie K. konsumiert – den handschriftlichen Aufzeichnungen des Vaters zufolge sprach Z. von 180 Mikrogramm. Dieser bestreitet das, es sei deutlich weniger gewesen, er habe gesagt 100, vielleicht 80 Mikrogramm. Relevant ist das, da laut Literatur speziell bei unerfahrenen Nutzern ab einer Dosis von 150 Mikrogramm Halluzinationen und erhebliche Wahrnehmungseinschränkungen vorkommen können.

Ein Urteil wird für Donnerstag erwartet. (Michael Möseneder, 24.11.2020)