Seit zehn Jahren spielt Markus Meyer den Dorian Gray im Wiener Akademietheater.

Foto: Reinhard Werner

Im Herbst stand Schauspieler Markus Meyer zum 200. Mal als Dorian Gray auf der Bühne des Wiener Akademietheaters. Seit über zehn Jahren wird dort Oscar Wildes Geschichte über jenen Mann aufgeführt, der einen Pakt mit dem Teufel schließt: Ein Gemälde altert an seiner statt, er selbst bleibt jung und schön.

Wie vergänglich die Jugend in Wahrheit ist, bekommen Models besonders stark zu spüren. Man weiß von Anfang an, dass der Beruf zeitlich begrenzt ist. Cordula Reyer hat die Zeit genützt, in den 1980er- und 1990er-Jahren eine internationale Karriere hingelegt, war auf allen wichtigen Magazincovers und Laufstegen zu sehen.

Meyer und Reyer verbindet nicht nur eine gewisse Expertise in Altersfragen, sondern auch eine Freundschaft. Die beiden plaudern über die Schönheit der Jugend, Gelassenheit durch Lebenserfahrung und die Vorzüge des Älterwerdens.

Als internationales Topmodel war Cordula Reyer auf allen wichtigen Covers und Laufstegen zu sehen. Sie stand auch oft vor der Linse von Modefotografin Elfie Semotan. Etwa 1986 ...
Foto: Courtesy Semotan Studio. © Elfie Semotan bzw. Elfie Semotan/MADAME Magazin

Cordula Reyer: Markus, wie alt bist du eigentlich?

Markus Meyer: 49.

Reyer: Ah, du bist noch jung. Fast zehn Jahre jünger als ich.

Meyer: Ich fühle mich aber manchmal auch schon älter.

Reyer: Was heißt "auch schon" (gemeinsames Gelächter)? Wann denn?

Meyer: Wenn ich merke, wie ich an meiner Meinung haften bleibe. Mein Blick auf das Theater beispielsweise: Beim Theater geht’s doch ums Verwandeln und nicht nur um Typen. Oder wenn ich dafür plädiere, dass man doch mal wieder "Kabale und Liebe" aufführen sollte und ich dann höre, dieses Stück könne man heutzutage doch gar nicht mehr spielen. Dann frage ich mich: Warum nicht? Und denke mir, vielleicht bin ich schon zu alt oder nicht modern genug.

Reyer: Hattest du irgendwann das Gefühl, du warst modern?

Meyer: Nein, ich hab mich schon immer eher den älteren Kollegen und Kolleginnen nahe gefühlt. Mit ihrer Lebenserfahrung, Sicht auf den Beruf und Behandlung von Sprache. Das hat mir immer mehr getaugt als dieses Junge, Schnoddrige, merkwürdig Wilde. Ich bin eher altmodisch, was Theater anbelangt und wie ich den Beruf sehe.

Reyer: Seit zehn Jahren spielst du am Burgtheater Oscar Wildes Romanfigur Dorian Gray. Er ist schnoddrig. Er geht über seine Grenzen und schließt einen Pakt mit dem Teufel.

Meyer: Er überschreitet eine Grenze, indem er sich wünscht, dass sein Gemälde altern soll an seiner statt. Sein Wunsch geht in Erfüllung. Und natürlich ist das für die heutige Zeit ganz aktuell. Wir denken doch alle, wir müssen immer jung bleiben.

Reyer: Ich fühle mich tatsächlich oft jünger, als ich mich mit 24 Jahren fühlte. Da ist es komisch, wenn man sieht, dass der Körper altert. Das erstaunt und verwirrt. Man hofft, dass es vielleicht wieder aufhört.

Meyer: Genau. Man ist nicht mehr so beweglich, schneller erschöpft. Manchmal kommen mir die Jungen aber auch so vor. Wenn ich als Lehrender an der Musik-und-Kunst-Privatuniversität Wien mit meinen Studierenden arbeite, frage ich mich ab und zu, warum da so wenig Feuer ist, warum die nicht für diesen tollen Beruf brennen. Ich unterrichte eine Generation, die mit Handy und allen möglichen elektronischen Spielereien aufgewachsen ist. Diese jungen Menschen setzen sich mit ihrem Körper und ihrer Fantasie ganz anders – auf gewisse Weise reduzierter – auseinander, als ich das in meiner Jugend gemacht habe.

Reyer: In "Dorian Gray" geht es um die Ängste eines Mannes, der seine Schönheit verliert. Dieses Thema wird doch eher uns Frauen zugeschrieben. Hat man als Mann Angst, seine Schönheit und Jugend zu verlieren?

Meyer: Ich denke schon. Bei Oscar Wilde war es jedenfalls ein zentrales Thema seines Lebens.

Reyer: Glaubst du, dass homosexuelle Männer anders auf das Alter schauen?

Meyer: Vielleicht. Als Homosexueller setzt man sich generell mit seinem Körper und seiner Sexualität anders auseinander, als dies ein heterosexueller Mann tut, auf eine existenziellere Art und Weise, weil man sich irgendwann mit der Frage konfrontiert: "Warum bin ich anders als die sogenannte Norm?" Das weiß ich aus eigener Erfahrung.

Reyer: Aber als Künstler muss man sich doch eh keine Sorgen um die Norm-Gedanken machen, oder?

... und 2020.
Foto: Courtesy Semotan Studio. © Elfie Semotan bzw. Elfie Semotan/MADAME Magazin

Meyer: Viele in der Film- und Sportbranche verheimlichen noch immer ihre Sexualität, weil diese nicht zu dem "Bild" passt, das die Gesellschaft von ihnen hat. Stell dir mal vor, ein Fußballer sagt: "Ich bin schwul", und der trifft das Tor nicht. Dann heißt es doch sofort: "Die schwule Sau hat das Tor nicht getroffen."

Reyer: Wie wichtig ist das Thema Schönheit für dich?

Meyer: Ich achte immer darauf, dass ich gepflegt bin. Als schön habe ich mich selbst nie bezeichnet, und ich habe mein Aussehen nie eingesetzt, um ein gewünschtes Ziel zu erreichen. Es kommt vor, dass du für bestimmte Rollen wegen deines vermeintlich besseren Aussehens erst gar nicht in Betracht gezogen wirst, zum Beispiel für einen Kriminellen. Ich war es dann irgendwann leid, im Film und Fernsehen vornehmlich den jungen, attraktiven und erfolgreichen Mann oder Schwiegersohn zu spielen. Das war für mich zu viel Klischee.

Reyer: Der Anfangsmonolog, den Regisseur Bastian Kraft zur 200. Vorstellung von "Dorian Gray" schrieb, hätte von mir sein können: "Kennen Sie dieses Gefühl ...? Wenn Sie ein altes Foto von sich selbst sehen und plötzlich denken: Wahnsinn! Dieser Mensch dort, das war ich! So jung war ich mal! Der Mensch, der mir aus diesem Bild entgegenblickt, war ich, zu einem bestimmten Zeitpunkt meines Lebens. Und dieser Zeitpunkt ... ist vergangen." Wie jung und schön ich war, war mir gar nicht so bewusst, auch wenn ich ein erfolgreiches Model war. Ich weiß, das klingt wie ein Widerspruch oder nach Koketterie. Ich hatte zu viele persönliche Probleme. Damals war mein Gesicht glatt und meine Seele faltig. Heute ist das umgekehrt. Insofern: Besser nur selten in den Spiegel schauen, denn das Bild geht nicht Hand in Hand mit meinem Gefühl. Mit dem Alter bin ich viel gelassener geworden, ich habe nicht mehr so viele Ängste. Meine Erfahrungen haben mich stärker gemacht.

Meyer: Vor zehn Jahren mit Ende dreißig, da hatte der Satz in dem Stück "Vergeht denn die Zeit so schnell?" nicht so viel Tiefe für mich wie heute. Damals habe ich diesen Satz unbekümmerter gesagt. Heute spreche ich ihn mit mehr Lebenserfahrung gefüllt, gelebter. In den Jahren habe ich viel erreicht, aber es ist auch Trauriges passiert: Meine Mutter hatte einen Schlaganfall, Freunde von mir sind krank geworden.

Reyer: Sicher besitzen auch andere Sätze aus dem Theaterstück eine besondere Bedeutung für dich?

Meyer: "Das Bewusstsein seiner eigenen Schönheit überkam ihn wie eine Offenbarung, und ebenso schlagartig wurde ihm die ganze Wahrheit der Worte Lord Henrys bewusst: Es würde der Tag kommen, an dem sein Gesicht runzelig und eingefallen sein würde, seine Augen trüb, seine Lippen bleich, sein Haar ergraut. Er würde alt, hässlich und abstoßend werden." Das spreche ich heute auch anders aus als vor zehn Jahren. Wenn ich in den Spiegel schaue und mir denke: "Na servas, heute schaust du wirklich aus wie 49", dann kommen mir diese Worte in den Sinn. Trotzdem frage ich mich immer wieder: Was heißt denn überhaupt "schön"?

Reyer: Rein auf das Aussehen bezogen wird oft die Jugend als schön empfunden. Ich schaue meinen Neffen und meine Nichte an, beide Teenager, und diese Jugend, die Schönheit der Jugend, haut mich um. Sie erstaunen mich. Die Augen, das Lachen, die Haut. Dieses Pure. Es ist bezaubernd. Diese Generation kommt mir auch so viel selbstbewusster und mutiger vor, als es meine Generation war.

Meyer: Ja, aber das Alter kann auch schön sein: Gesichter, in denen die Weisheit und das Leben zu sehen sind.

Reyer: Schön ist auch, wenn der Geist jung bleibt. Wenn jemand neugierig ist, sich für Dinge und Sachen einsetzt und begeistert. Aber die Jugend ist so schön, weil alles noch vor ihr liegt.

Meyer: Die Zeit, ja. Die Jungen haben mehr Zeit vor sich. Das stimmt, aber sie dürfen auch länger scheitern und hoffentlich aus ihrem Scheitern lernen.

Reyer: Das Bewusstsein, manche Dinge nicht mehr rückgängig machen zu können, finde ich schwierig am Älterwerden. Reue ist ein schreckliches Gefühl. Vor allem geliebten Menschen gegenüber.

Meyer: Ich frage mich: Was genau habe ich eigentlich die letzten Jahre im Theater gemacht? Was will ich noch machen? Ich würde gerne Ibsen, Strindberg und Tschechow spielen. Ich bin heute an einem Punkt, mit fast fünfzig, da würde ich gerne auch einmal Vaterfiguren spielen. Ich hoffe, dass man mir die Chance dafür gibt. Man bekommt oft nicht die Rollen, die man möchte, in denen man sich selbst sieht, weil das Bild der Figur und das Bild, das die Besetzungsverantwortlichen von einem haben, nicht zusammenpassen. Es fehlt an Mut, Fantasie, Vertrauen. Das ist schade.

Reyer: Für mich war dieses Alter, in dem du jetzt bist, zwischen 45 und 55, sicherlich das schwierigste Alter. Man ist nicht mehr jung, man ist nicht alt. Mein Sohn war schon erwachsen. Mein Modelleben war – bis auf ein paar Jobs im Jahr – vorbei. "Double Whammy" nennt man diesen Doppelschlag im Englischen. Da muss man sich zurückziehen und innerlich neu ordnen. Für mich war es andererseits einfacher, weil ja mein Job eine zeitliche Limitation hat. Das weiß man von Anfang an. Als Schauspieler stelle ich mir das schwieriger vor. Der Wunsch, dass dein Bild statt deiner altert, wie nachvollziehbar ist das für dich?

Meyer: Ja! Das Bild soll mal altern, und ich will jetzt mal so bleiben und so weiterleben und die Zeit festhalten. Das ist schon sehr verführerisch.

Reyer: Sehr verführerisch!

Meyer: Auf der anderen Seite, wenn du das dann weiterspinnst – will man unsterblich sein? Alle anderen Menschen, mit denen du Zeit verbracht hast, werden alt und sterben. Nein, man würde schrecklich traurig und einsam werden. (Cordula Reyer, RONDO, 16.1.2021)