Diplom-Kommunikationswirtin Corinna Mühlhausen und Zukunftsforscher Daniel Dettling machen sich in ihrem Gastbeitrag Gedanken, wie die Gesundheitswelt der im Jahr 2020 Geborenen aussehen wird.

Das Jahr 2020 hat gezeigt: Österreich hat auch im Fall einer Pandemie eines der stärksten Gesundheitssysteme. Der Mix aus privater Vorsorge und öffentlicher Verantwortung und das kooperative Zusammenspiel von staatlichen und privaten Akteuren haben eine Gesundheitskatastrophe verhindert. Doch in welcher Gesundheitswelt werden die im Jahr 2020 Geborenen leben? Es sind mehrere miteinander verbundene Ps, welche die Gesundheitswelt von morgen definieren: Personalisierung und Patientendemokratie, Prävention und Public Health, neue Plattformen und Partnerschaften.

Eine Lehre aus der Corona-Zeit ist: Was in einem noch so entlegenen Ort der Welt passiert, kann unmittelbare Folgen für uns alle haben.
Foto: Getty Images / iStockphoto

Personalisierung und Patientendemokratie - Medizin wird bis 2050 zur präzisen und datenbasierten "Wissenschaft der Individualität", wie sie der US-Mediziner Eric Topol nennt. Es geht um die Verbindung von emotionaler, sozialer und künstlicher Intelligenz. Zu den Treibern werden der demografische, der gesellschaftliche und der digitale Wandel. Die Gesundheitswelt wird gleichberechtigt, individualisiert und altersübergreifend. "Patientendemokratie" wird zu ihrem neuen Leitbild. Lebensqualität wird wichtiger als Lebenserwartung. Das Investment des Einzelnen in seine Lebensqualität – die Optimierung von Körper, Geist und Seele – wird höher, die Bereitschaft zur Zuzahlung oder die Inanspruchnahme von Selbstzahlerleistungen größer sein. Digitale Werkzeuge wie Assistenzsysteme und Apps unterstützen die Patienten in ihrer Selbstständigkeit und fördern ihre Autonomie. Pflege findet dann in den eigenen vier Wänden statt.

Prävention und Public Health werden zum Mainstream. Krankheiten können mithilfe von Datenanalyse und Algorithmen frühzeitig erkannt und behandelt werden. Prävention betrifft in Zukunft alle Bereiche des Lebens. Gesundheitskompetenz wird zum Schlüsselbegriff, der Hausarzt zum Präventionsmediziner, der den Patienten begleitet und berät. Die Corona-Krise hat gezeigt: Die Förderung der öffentlichen Gesundheit (Public Health) wird zur größten Herausforderung. Prävention und Public Health sind zwei Seiten einer Medaille. Das eigene Wohlbefinden und das Wohlergehen des gesamten Planeten lassen sich nicht mehr voneinander trennen. Fragen wie Landwirtschaft, Ernährung, Umwelt und Artenvielfalt sowie soziale Kontakte erweitern den Gesundheitsbegriff. Gesundheit wird lokal und global.

Neue Plattformen und Partnerschaften - Zu Plattformen gesunder Ökosysteme werden die Städte. Das Konzept Stadt wandelt sich von der reinen Versorgungsumgebung zu einem Ort, der Gesundheit und Wohlbefinden aktiv fördert. Als "Healthy City"-Bewegung verpflichten sich immer mehr Städte, Gesundheit in alle wichtigen politischen Entscheidungsprozesse einzubringen. Wien und Paris werden auf den Gebieten Lebensqualität, Wohnen und Mobilität zu Vorbildern für die Metropolen weltweit.

Die Palette an Services ist enorm und reicht von Wohnungen für Senioren, die mit Sensoren ausgestattet werden, um Stürze zu erkennen, bis hin zu Tablets, mit deren Unterstützung Senioren mit ihren Freunden in Kontakt bleiben können. Was 2020 in Paris begann, hat sich 2050 weltweit durchgesetzt: das Modell der "15-Minuten-Stadt". Alle wichtigen Bedarfe wie Einkaufen, Kinderbetreuung, Arbeit, Ärzte, Kultur und Gastronomie sind heute für die Bürger innerhalb von 15 Minuten erreichbar. Um die alten und neuen Gesundheitsprobleme zu lösen, braucht es neue Partnerschaften zwischen Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesundheitssystem. Es geht um Partnerschaften, die weniger hierarchisch und stärker teamorientiert auf Augenhöhe miteinander agieren. Das Motto einer vernetzten und sektorenübergreifenden Gesundheitswelt heißt Teamplay.

Eine Risikogemeinschaft

Aus der Gesundheitskatastrophe des Jahres 2020 kann ein Gamechanger werden. Innovationssprünge und Veränderungen werden möglich, die vorher kaum denkbar waren. Gesundheit wird individuell und öffentlich, digital und vernetzt, präventiv und personalisiert, global und lokal, effizient und solidarisch. Eine medizinische Grundversorgung für jeden und überall braucht eine starke und solidarische Weltgesundheitsorganisation, eine stärker koordinierende europäische Gesundheitspolitik sowie effektiv funktionierende Regionen und Städte. Europa wird zur Gesundheitsunion. Zum zentralen Gesundheitswert wird Resilienz. Gemeint ist die Fähigkeit, plötzliche Schocks wie eine Pandemie oder eine Naturkatastrophe zu überstehen.

Die Corona-Pandemie stellt die bisher größte Bedrohung für die globale Gesundheit dar. Die Gefährlichkeit von Covid-19 war sein Übertragungsweg: in kleinen Tröpfchen fliegt das Virus durch die Luft. Wir sind längst eine "immunologische Risikogemeinschaft" (Peter Sloterdijk). Was in einem kleinen, entlegenen Ort der Welt passiert, hat unmittelbare Folgen für uns alle. Die globale Gesundheitswelt wird zum Dorf. Ihre Bewohner werden zum Kompetenzzentrum für das eigene und gemeinsame Wohlergehen und jenes des gesamten Systems Erde. (Daniel Dettling, Corinna Mühlhausen, 25.11.2020)