Bei einer jener "Querdenken"-Demonstrationen in Deutschland, wo Tausende das verbreiten, was sie im Zusammenhang mit Corona für "Querdenken" halten, trat eine junge Frau aufs Podium und sagte: "Ja, hallo, ich bin Jana aus Kassel, und ich fühle mich wie Sophie Scholl, da ich seit Monaten aktiv im Widerstand bin, Reden halte, auf Demos gehe, Flyer verteile." Daraufhin trat ein jungen Mann, ein Ordner, auf sie zu und sagte, er höre sich diesen Schwachsinn nicht mehr an, das sei eine Verharmlosung des Holocaust. Da war die junge Frau kurz erschüttert, blieb aber bei ihrem Wahn.

Teilnehmer einer Querdenken-Demo in Deutschland.
Foto: imago /Future Image/Christoph Hardt

Zehntausende empfinden wie sie, betrachten sich als Widerständler gegen ein Unrechtsregime. Verrückt. Aber gefährlich. Denn was die "Querdenker" und "Corona-Leugner" da als "Diktatur" empfinden, ist die liberale Demokratie, der Rechtsstaat. Und noch jede radikale Täterbewegung rechtfertigte sich damit, dass sie Opfer sei.

Die Studentin Sophie Scholl verstreute im Februar 1943 in der Aula der Uni München gemeinsam mit ihrem Bruder Hans Flugblätter gegen das mörderische Hitler-Regime. Sie wurden vom Pedell verraten und verhaftet. Im Verhör, dessen Protokolle erhalten sind, wurde sie vom vernehmenden Gestapo-Beamten zum Schluss gefragt, ob sie "nicht doch ihr Vorgehen gerade in der jetzigen Phase des Krieges als ein Verbrechen gegenüber der Gemeinschaft, insbesondere aber unseren im Osten schwer und hart kämpfenden Truppen" betrachte. Darauf antwortete die 22-Jährige, sie habe es für das Volk getan. Sie bereue nicht und wolle die Folgen tragen.

Wahnwitzige Gleichsetzung

Die Folgen waren eine Verurteilung zum Tode, vollstreckt noch am selben Tag durch das Fallbeil. Sophie Scholl und ihr Kreis, die "Weiße Rose", zahlten den ultimativen Preis. Jana aus Kassel glaubt, sie sei wie Sophie Scholl, weil sie in einer liberalen Demokratie völlig ungehindert ihren aberwitzigen Unsinn verbreiten darf. Ein gefährlicher Opfermythos. Ihm erliegt offenbar auch der österreichische Politologe Farid Hafez (Uni Salzburg), der eine gewisse Bekanntheit dadurch erlangt hat, dass er in seinem "Islamophobie-Report" jegliche kritische Auseinandersetzung mit dem (politischen) Islam als antiislamische Hetze brandmarkt.

Hafez war Objekt einer Untersuchung im Rahmen der großen Polizeirazzia gegen die Muslimbrüder. Da die Razzia am selben Tag wie die "Kristallnacht" (besser: "Novemberpogrom") der Nazis 1938 erfolgte, schrieb Hafez, damit untergrabe die Bundesregierung "die Glaubwürdigkeit ihres Kristallnacht-Gedenkens".

Und wieder diese wahnwitzige Gleichsetzung mit der NS-Verfolgung. Im Novemberpogrom wurden 1400 Synagogen sowie tausende jüdische Geschäfte zerstört und hunderte Juden umgebracht. Es war eine Vorbereitungshandlung für Späteres. Farid Hafez wurde sein Handy beschlagnahmt.

Ob die Razzia gegen die Muslimbrüder in Österreich nicht ein Reinfall wird, ist noch die Frage. Aber sowohl die eher unbedarfte Jana aus Kassel und ihre Gesinnungsfreunde als auch der Akademiker Farid Hafez und seine Gesinnungsfreunde wollen mit solchen NS-Vergleichen jede Kritik am eigenen Tun delegitimieren. Und das ist ein Opfermythos, der den Keim der eigenen Radikalisierung in sich trägt. (Hans Rauscher, 24.11.2020)