Der Berliner Tiergarten ist ein beliebtes Ziel für Spaziergeher.

Foto: EPA/HAYOUNG JEON

Aufrecht und gespannt sitzt der junge Mann am Dienstag im Sicherheitssaal 700 des Berliner Kriminalgerichts. "Ich werde Sie Herr S. nennen", sagt Olaf Arnoldi, der vorsitzende Richter vom Berliner Staatsschutzsenat, und der Zeuge nickt. Gemäß Paragraf 68, Absatz 3 der deutschen Strafprozessordnung hat er beantragt, dass weder sein Name noch sein Wohnort genannt werden. Denn es besteht "begründeter Verdacht zu der Besorgnis", dass damit sein Leben gefährdet werde.

Der Zeuge S. nämlich war es, der gemeinsam mit einem anderen jungen Mann für die Verhaftung des Angeklagten gesorgt hat – jenes Mannes, der laut Anklage der Bundesanwaltschaft im Auftrag Russlands am 23. August 2019 einen Georgier am helllichten Tag im sogenannten Kleinen Tiergarten mit drei Schüssen liquidiert hat. Und der jetzt mit unbeteiligtem Blick im gläsernen Sicherheitskasten des Saales sitzt.

Zufällige Zeugenschaft

"Erzählen Sie!", fordert der Richter nun, ein Jahr und drei Monate später, den Zeugen auf. "Was?",, fragt der. "Alles", antwortet Richter Arnoldi. S., Anfang 20, schildert, wie er am besagten Tag mit seinem Freund am Holsteiner Ufer im Stadtteil Moabit eine Wohnung angesehen hat. Kurz nach Mittag gingen die beiden hinaus und studierten auf den Stufen der nahegelegenen Hansabrücke Pläne der Wohnung. Eine Joggerin lief vorbei, ansonsten war niemand zu sehen.

"Aber dann kam ein Mann auf einem Fahrrad, der ist stehen geblieben und hat sich panisch umgesehen", erinnert sich S. "Komplett dunkel" sei er angezogen gewesen, eine Perücke mit schwarzen Haaren habe er getragen. Mitsamt dem Fahrrad sei er im Gebüsch an der Spree verschwunden. "In Berlin ist ja alles möglich", sagt S. Aber als der Mann dann das Fahrrad und andere Gegenstände in die Spree geworfen habe, "da waren wir doch skeptisch".

S. und sein Freund gingen also sicherheitshalber die Treppen etwas weiter hoch und riefen die Polizei.

Umgezogen im Gebüsch

Kaum war dies geschehen, da kam der Mann wieder "aus dem Busch" raus. Er trug nun, so der Zeuge, ein pink-weiß gestreiftes T-Shirt, kurze Hosen und hatte unter seinem Hut kaum Haare.

Als er sich entfernte, versuchten die beiden jungen Männer, ihm "unauffällig" zu folgen.

"Er hat sich oft umgedreht, war leicht panisch und hat hektische Bewegungen gemacht", beschreibt S. die Lage. Dann kam aber auch schon die Polizei das Holsteiner Ufer herangerast, was den Zeugen auch heute noch beeindruckt: "Es kam mir vor wie in einem Film. Der Wagen ist noch gefahren, aber die Tür sprang schon auf – und die Polizistin kam raus." Schnell schilderte S. den Polizisten, was geschehen war: "Da war ein Typ, der sein Fahrrad in die Spree warf."

Dann ging es schnell. Vier Polizisten verhafteten den Mann, ein Polizist sprang in die Spree, um das Fahrrad zu bergen.

Der Zeuge S. hat sogar eine Skizze gemalt, mit Büschen, der Treppe, kleine Wellen markieren den Fluss. Die Skizze wird auf eine Leinwand projiziert, danach folgen zwei Fotos vom Schauplatz. "Ja, super", sagt S. "Service", antwortet eine Anwältin der Nebenkläger, die das Foto mitgebracht hat.

Genaue Befragung

Doch als Robert Unger, der Verteidiger des Angeklagten, den Zeugen befragt, vergeht dessen Selbstsicherheit ein bisschen. Er ist sich nicht mehr sicher bei der Entfernung, er kann oder will auch nicht ausschließen, dass sich im Gebüsch noch eine weitere Person befunden hat. Und wo war jetzt die Wechselkleidung? In einem Rucksack? Im Gebüsch? "Intuitiv hätte ich einen Rucksack gesehen, aber aktiv habe ich keinen wahrgenommen", sagt der Zeuge. "So etwas gibt es nicht", meint der Anwalt, und seine Miene spricht Bände. Aber eines weiß der Zeuge sicher: Er hat gehört, wie das Fahrrad in die Spree geworfen wurde: "Der Sound war relativ laut."

Danach wird sein Kumpel D. befragt, auch dessen Name wird – aus denselben Gründen – nicht genannt. Er schildert das Geschehen im Großen und Ganzen genau so, inklusive des Geräuschs, als das Fahrrad in die Spree fiel: "Ich habe das Platschen gehört." (Birgit Baumann aus Berlin, 24.11.2020)