Eine russische Anti-Minen-Einheit auf der Straße zwischen Stepanakert und Goris.

Foto: Stanislav Krasilnikov via www.imago-images.de

Die "Beziehungen zwischen der Türkei und Russland basieren auf gemeinsamen Interessen und gegenseitiger Achtung", versicherte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu bei einer Parlamentsanhörung am Dienstag. Eine diplomatische Höflichkeitsfloskel, die in Moskau angesichts der jüngsten Eskalation des Bergkarabach-Konflikts nicht jeder Politiker unterschreiben würde.

Russland sieht einen gehörigen Teil der Verantwortung für den jüngsten Ausbruch des Krieges um die zwischen Armenien und Aserbaidschan umstrittene Region bei der Türkei, die ihren Schützling Aserbaidschan nicht nur mit Militärtechnik – speziell Drohnen – sowie mit Militärberatern und syrischen Freischärlern versorgt hat, sondern deren politische Führung sich auch als Einpeitscher betätigte. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte Baku mehr als einmal seiner vollen Unterstützung versichert und das militärische Vorgehen begrüßt.

Spannungen bleiben

Selbst nach Unterzeichnung des von Moskau vermittelten Waffenstillstands zwischen Baku und Eriwan bleiben die Spannungen. So ist in dem Abkommen nur eine russische Truppe zur Sicherung des Friedens vereinbart. Die Türkei drängt aber vehement auf mehr Einfluss im Kaukasus und besteht auf eigenen Truppen in der Region.

Eine gemeinsame Friedenstruppe hat der Kreml bereits abgelehnt. Er gehe davon aus, dass es sich um eine rein russische Mission handle, betonte Wladimir Putins Sprecher Dmitri Peskow: "Die Kooperation mit türkischen Militärs läuft im Rahmen des Beobachterzentrums, das auf aserbaidschanischem Boden stationiert ist", sagte er.

Peskow zufolge ist das Beobachterzentrum russisch-türkisch, das Mandat der Beobachter allerdings begrenzt. Ankara interpretiert das anders und will unabhängig vom bilateralen Beobachtungspunkt einen weiteren Punkt unmittelbar in Bergkarabach errichten.

Die Türken seien nicht als Friedenstruppe eingeladen worden, "weil die Türkei Initiator der Eskalation des Konflikts war und Aserbaidschan in die Richtung gedrängt hat", sagt Wiktor Nadein-Rajewski, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der staatlichen Russischen Akademie der Wissenschaften.

Schwere Belastungsprobe

Laut Nadein-Rajewski zielte Ankara auf die vollständige Besetzung Bergkarabachs und auf dauerhaften beherrschenden Einfluss in Aserbaidschan. Tatsächlich beschweren sich inoffiziell Militärs in Baku schon darüber, dass die Befehle nun in Ankara gegeben würden.

Erdoğan hat sich vom Parlament bereits die Entsendung türkischer Truppen in die Krisenregion genehmigen lassen. Aserbaidschans autoritärer Staatschef Ilham Alijew hat ebenfalls zugestimmt. Somit kann Russland die Entsendung kaum verhindern, solange sie auf aserbaidschanischem Gebiet stattfindet.

Die Beziehungen dürften damit auf eine schwere Belastungsprobe gestellt werden. Russland sieht den Südkaukasus als eigenes Interessengebiet und hat kein Interesse an einer Ausbreitung des türkischen Machtbereichs in der Region. (André Ballin aus Moskau, 25.11.2020)