Die Homöopathie ist gut 200 Jahre auf dem Markt, ohne jemals eine plausible Erklärung für den behaupteten Wirkmechanismus erbracht zu haben. Die 200 Jahre verstrichen auch, ohne dass die Homöopathie jemals einen belastbaren Nachweis für eine Wirkung erbringen konnte. Homöopathie heilt so gut wie ein in der Donau versenkter Traktorreifen, sofern man an die Heilkraft von versenkten Reifen glaubt. Aber warum nicht einen neuen Versuch starten mit Zuckerkugeln? Zum Beispiel auf einer Intensivstation für Covid-Patienten, das wäre doch ein wunderbares Feld zum Experimentieren, oder?

In den "Vorarlberger Nachrichten" wurde einem entsprechenden Aufruf Platz eingeräumt: In dem recht pathetischen Plädoyer für den Homöo-Pokus heißt es: "Lasst die Homöopathen auf die Intensivstationen." Wir könnten dabei nur gewinnen, die "Zusammenarbeit von Schulmedizinern und Homöopathen" würden dazu beitragen, die Aufenthaltsdauer der Patienten auf den Intensivstationen zu verkürzen. By the way: Das mag stimmen, allerdings würden sich die Betten wohl deswegen leeren, weil die Patienten mit einem Zettel am Zeh die Station verlassen.  

Der Aufruf stammt von der ehemaligen, diplomierten Krankenschwester und Buchautorin ("Warten auf das Wunschkind") Petra Pellini-Forcher. Es ist zwar nur eine Leserbrief, aber er illustriert in wunderbar transparenter Weise die Geländegewinne der irrationalen Streitmächte. 

Die Forderung nach Homöopathen auf Intensivstationen ist purer Zynismus gegenüber Kranken, Ärzten und Pflegern. Dass ein renommiertes Blatt wie die "Vorarlberger Nachrichten" dieser Meinung auch nur irgendeinen Platz einräumt, ist kein Zeichen von Meinungsvielfalt, es spiegelt eine fatale, in die Irre führende "False Balance" wider. Die Forderung, Homöopathie in Intensivstationen eine Chance zu geben ist ähnlich seriös wie die Forderung, endlich mal eine Expedition an den Rand der Erde loszuschicken, um die These der "Flachen Erde" einer ernsthaften Evaluierung zu unterziehen.  

Homöopathie ist unter Druck und verliert alle Hemmungen

Der Homöopathie-Voodoo weitet seine Kampfzone gehörig aus. In den letzten Jahrzehnten gab es in Mitteleuropa eine Art unausgesprochenen Waffenstillstand zwischen dem Homöopathie und Medizin. Die Zuckerkugeln waren immer ein Angebot für jene, denen "nur ein Schas druckt." Und nachdem uns oft einer druckt, war das für die Zuckerkugel-Marketer ein sehr lukratives und kaum hinterfragtes Segment.

Seit einigen Jahren dreht sich der Wind, Homöopathie wird zunehmend kritisch beäugt. Das beste Beispiel: Die deutschen Grünen haben sich gegen Kassenleistungen für Methoden, "die wissenschaftlich nicht bewiesen sind", ausgesprochen. Damit ist natürlich in erster Linie die Homöopathie gemeint. Das ist ein bemerkenswerter Paradigmenwechsel. Die Grünen galten lange Zeit als inoffizielle Schutzmacht von Impfgegnern, der Homöopathie und vielerlei esoterischer Medizinexperimente. Nun werden in vielen Ländern Europa die Privilegien der Homöopathie von nüchternen Politikern und Gesundheitsexperten in Ministerien und Kabinetten unter die Lupe genommen. 

Die Homöopathie-Akteure reagieren mit einer Offensive. Just während der Corona-Epidemie lancierten einflussreiche Akteure die Mär, dass die Zuckerkugeln bei einer Virenerkrankung etwas zur Heilung beitragen könnten. Ein deutscher Homöopathieverband forderte Ärzte offensiv dazu auf, Covid-Patienten mit Homöopathika zu behandeln und die Erfolge zu protokollieren.

Auf den Intensivstationen in ganz Europa kämpfen Ärzte um das Leben der Covid-Patienten.
Foto: ANDREAS SOLARO / AFP

Absurder Esoterik-Kongress als Referenz

Keinen Genierer kennt man bei den Referenzen, die man für den erwünschten Zauber anführt. Der Beitrag in den "Vorarlberger Nachrichten" nimmt konkret auf den Vortrag der Homöopathin Petra Fröhlich auf dem Kongress "United to Heal" Bezug. Die Beschreibung der Esoterik-Sause: "Hier erfährst du den homöopathischen Zeitgeist von über 20 erfahrenen Homöopathen. Welche Pflanzen, natürlichen und homöopathischen Arzneien haben sich im letzten halben Jahr bewährt?" In der Ankündigung für Fröhlichs Referat liest man: "Warum die Homöopathie in die Krankenhäuser muss und enorm viel Leid verhindern kann." Unter den Referenten bei dem Kongress finden wir auch: Den indischen Homöopath A.U. Ramakrishnan und den Schweizer Arzt Dario Spinedi. Beide behaupten unter anderem, Krebs mit Homöopathie heilen zu können. Weiters im Line-up: Der Guru Kurt Tepperwein, der seine Karriere als Autor mit Ratschlägen für ein tolles und gewinnsicheres Roulettesystem begann. Mit anderen Worten: Der Kongress hat mit Medizin und Heilung so viel zu tun wie die Sautrogregatta im Ennsstausee.  

Zurück zu dem besagten Leserbrief, er endet so: "Ich hoffe mir rasch davon zu hören, dass unsere Ärzte auf Intensivstationen ihre homöopathischen Kollegen beiziehen, um gemeinsam zu wirken. Es ist an der Zeit." (Christian Kreil, 30.11.2020)

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