Sie sind auf der Suche nach einem würdigen Geburtstagspräsent für einen Ihrer Liebsten? Nach etwas, das in dieser verrückten Zeit Trost bringt und doch den gewissen Pep nicht vermissen lässt? Es soll nach den Entrümpelungsorgien der vergangenen Wochen nicht neuerlichen Krempel produzieren, sondern richtig Freude machen?

Was würde sich da besser eignen als etwas fürs Gemüt? Ein Kochkurs vielleicht? Man könnte ja in lukullischen Genüssen schwelgend das Urlaubsfeeling nach Hause holen, wenn schon die Reise in die Ferne pandemiebedingt ins Wasser fällt. Oder vielleicht eine unterhaltsame Unterweisung in die Kunst, wie Mann oder Frau ein erheiterndes Video fabriziert? Zum Lachen hat man derzeit ohnehin nicht allzu viel.

Ausweg für Kreative

Es sind kreative Seelen, die derlei Dienste anbieten. Seit die Corona-bedingten Auftrittsverbote Künstlern, Fotografen, Schauspielern und anderen die Existenzgrundlage zu entziehen droht, erfreuen sich verschiedenste Online-Plattformen regen Zuspruchs. Sie heißen Patreon, Etsy, Twitch oder Teachable und locken mit der Aussicht, virtuell Fuß zu fassen.

Patreon meldete zwischen März und Juli des Vorjahres über 100.000 neue Nutzer. Im August 2020 ging die Plattform mit einem deutschen Angebot auf den Markt. Die Do-it-yourself-Plattform Etsy verzeichnete in den ersten drei Monaten 2020 115.000 neue Verkäufer. Teachable, eine Plattform, auf der Menschen Onlinekurse verkaufen, freute sich im Juli über einen ersten Quartalsumsatz von mehr als zehn Millionen US-Dollar.

"Mit meiner Kunst komme ich nicht so einfach in eine Galerie." Malerin Lioba Brückner
Foto: Lioba Brückner

Lioba Brückner bietet auf Patreon Tutorials an – sie malt Frauenbilder mit einem Hauch von Dekadenz. In einem Stil zwischen Symbolismus und Expressionismus. Mit der Selbstvermarktung begonnen hat die junge deutsche Künstlerin nicht aus der Corona-Not, aber ebenfalls aus einem Mangel. "Mit meiner Kunst komme ich nicht so einfach in eine Galerie", sagt sie.

Deswegen hat sie Instagram und Facebook ausprobiert. Für sie sei klar gewesen, "dass ich mit meiner Kunst Geld verdienen will". Zwischen 3000 und 4000 Euro lukriert sie derzeit monatlich. "Das funktioniert", sagt Brückner. Auf Patreon bieten vor allem Kreative ihren "Patrons", also Fans und Förderern, Kunstwerke, Lernvideos, Coversongs oder exklusive Einblicke an, für die es sich lohnen könnte, Geld auszugeben.

Der Deal lautet: Der eine abonniert die Dienste, der andere überlegt sich verschiedene Abomodelle – zwischen fünf, 25 oder mehr Euro monatlich. Künstler können neben dem zu bezahlenden Modell auch Geld für einzelne Werke verlangen.

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Kochkurse oder Gitarrenunterricht – die persönliche Leidenschaft ist das eine, die Sache zum Beruf zu machen das andere.
Foto: Getty Images / Hinterhaus Productions

Es gibt einen Begriff für diese Art des Wirtschaftens: Hustle-Economy. Heiß sie willkommen, die Ökonomie des geschäftigen Treibens, denn sie löst die Gig-Economy ab, behauptet das Magazin One Zero. Schlag aus deiner Kreativität Profit und mach damit Karriere, rät auch das Ratgeberbuch Hustle Economy, in dem Autoren, Gründer, Spieleerfinder und andere Kreative, die genau auf diese Weise ihr Geld verdienen, zu Wort kommen.

Es braucht Impulsgeber

Um erfolgreich mitzuspielen, müsse man aber ein Macher, ein Impulsgeber sein. Umtriebig, stets am Ball, immer ganz vorne dabei.

Oder andersrum. Zuerst unten, dann oben. Wie Amber Briggle etwa, die sich in Texas ein Massagestudio aufgebaut hat, wie das Magazin One Zero berichtete – und dieses von der One-Woman-Show zu einem Miniimperium ausgebaut hat. Als der texanische Gouverneur Greg Abott einen landesweiten Lockdown im März des Vorjahres verordnete, sei ihr Lebenswerk vor dem Aus gestanden, gibt Briggle dort zu Protokoll. Eine ganze Woche lang hätte sie heulend verbracht, doch dann habe sie ein Berater gefragt, ob sie je Patreon in Betracht gezogen habe.

Einst bot die Plattform in der Hauptsache Youtubern und Podcast-Produzenten eine Heimstätte. In der Krise wurde sie in den USA zu einer Art Sicherheitsnetz für Tausende von Lehrern, Kassierinnen, Köchen und Friseuren, die ihre Jobs verloren haben. Auch Briggle zog sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf.

Es klingt zu schön, um wahr zu sein. Die viel gescholtene Gig-Economy hat ein Ablaufdatum, schlussfolgert One Zero. Wer braucht all die im Internet angebotenen Verrichtungen wie Adressverzeichnisse erstellen, für Kartendienste alle Tankstellen der Stadt fotografieren, all den Kleinkram, den jemand nicht selbst machen möchte, diese oft schlecht bezahlten Minijobs, wenn man doch kraft seiner mit Leidenschaft betriebenen Fähigkeiten seinen Lebensunterhalt verdienen kann? Das Tagelöhnertum der Internetwirtschaft, das digitale Prekariat, es könnte zu Ende sein, noch ehe es richtig begonnen hat. Oder nicht?

Kaum fassbares Phänomen

In Europa sollen es etwa geschätzte zehn Prozent sein, die ernsthaft in der Gig-Economy beschäftigt sind, in den USA fast ein Drittel. Konkrete Zahlen sucht man vergeblich, es gibt sie schlicht nicht, auch an einer einheitlichen Definition, was genau darunterfällt, mangelt es.

Hierzulande sind es am ehesten die Fahrradboten, die der Plattformökonomie als eine Ausprägung der Gig-Economy zugerechnet werden. Von den Groscherljobs via Internet leben zu müssen, das dürfte hierzulande eher eine Randerscheinung sein. Genauer wissen wird man es im kommenden Jahr. Die Digitalexperten der Arbeiterkammer Wien wollen entsprechende Daten erheben.

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Plattformen wie Patreon wurden in manchen Ländern zu regelrechten Zufluchtsorten für Kreative.
Foto: Getty Images / Klaus Vedfelt

Christian Berger und Fridolin Herkommer von der Arbeiterkammer in Wien finden dennoch, dass es genug Gründe gibt, die Hustle-Economy sehr ernst zu nehmen: die aktuellen Wachstumsraten der Digitalwirtschaft, die gesellschaftlichen Entwicklungen und die frei werdende Zeit, die durch die Covid-19-Krise von vielen wohl oder übel zu Hause verbracht werden muss. Und zuletzt wohl die Notwendigkeit für viele, "alternative Möglichkeiten zur materiellen Existenzsicherung zu finden".

Reichweite erhöhen

Letzteres wird durch die Corona-bedingte Wirtschaftskrise wohl befeuert werden. Doch es gibt auch andere Motive, einen der digitalen Hoffnungsträger zu entern. "Man arbeitet halt mehr, aber man ist sein eigener Herr", sagt etwa Petra Matzinger. Die Wienerin verkauft unter dem Label Pedori Vienna Lederplaner auf Etsy, dem mächtigen US-Gegenstück zum deutschen E-Commerce-Portal Dawanda, auf dem bis 2018 vom selbstdesignten Schmuck bis zu handgemachten Taschen Diverses angeboten wurde.

Dann stellte das Portal den Betrieb ein. Zu düster die Zukunftsaussichten. In der Internetökonomie kommen nur die finanziell Potenten und Hochprofessionellen durch, lautet die Lehre.

Etsy sei professioneller, sagt Matzinger. Sie hatte nicht vor, ihr Hobby zum Beruf zu machen. Anfangs hat sie noch als Abteilungsleiterin in einem Unternehmen gearbeitet. Mittlerweile verschickt sie ihre Lederplaner in Länder, wo sie erst schauen muss, "ob es dort überhaupt einen Versand hin gibt". Sie könne mittlerweile gut davon leben, allerdings habe sie ihren Mann als Back-up, mit einem sicheren Job.

Die Plattformökonomie erhöht Skalierbarkeit und Reichweite für Dienstleistungen und andere Kreativleistungen für Kunden und Konsumenten. Die Segnungen des weltweiten Online-Ein- und Verkaufs wissen wohl viele zu schätzen.

Unter den Anbietern würden einige Stars den Durchbruch schaffen, werfen die AK-Experten Berger und Herkommer ein, nicht aber "die vielen, die versuchen, über die Runden zu kommen". Das sieht auch die Künstlerin Lioba Brückner so. Sie wisse, dass es nur ganz wenige schaffen, aber "man darf nicht aufgeben".

Lisa Polt hat sich mit ihrer Familie auch auf Amazon einen kleinen Mikrokosmos für Waren aus Filz und Schafwolle aufgebaut.
Foto: privat

Mach dein Hobby zum Beruf

Berger und Herkommer ordnen die Hustle-Economy der Gig-Economy zu, "da es kleinteilige, freiberuflich erbrachte Tätigkeiten sind, die aufgrund von Algorithmen vermittelt werden. Plattformen, die Datenverarbeitung und Geschäftsbedingungen weitgehend autonom regeln, oft auch Preise und Konditionen diktieren."

Neu sei das Phänomen nicht, sondern "eine Ausprägung des schon weitaus länger beobachtbaren, hochgradig problematischen Strukturwandels des modernen Kapitalismus".

1990 hätten die französischen Sozialwissenschafter Luc Boltanski und Ève Chiapello in Der neue Geist des Kapitalismus aufbereitet, wie "sich die Subjektivierung durch Arbeit bzw. von Arbeitnehmern seit den 1970er-Jahren" dahingehend verändert habe, dass diese sich "über Flexibilität und Kreativität mit neuen, oft prekären, aber scheinbar selbstbestimmten, schöpferischen Arbeitsformen identifizieren". Nach dem Motto: "Mach dein Hobby zum Beruf" – "do what you love".

Lisa Polts Lebensgefährte Florian Maderebner und dessen Mutter Petra machen genau das. Die beiden Marketing-Experten haben mit Filzpackerl einen Mikrokosmos rund um Schafwolle und Filze aufgebaut, eine Leidenschaft der ausgebildeten Pädagogin Petra.

Physisch in Seewalchen am Attersee – online auf einer lokalen Plattform und beim US-Riesen Amazon. Dort sei die Reichweite größer, aber auch die Konkurrenz, sagt Polt. Mit Sorglospaketen und allem drumherum laufe das Familienbusiness.

Für den Fall, dass es einmal nicht so ist, hat die Künstlerin Lioba Brückner einen Plan B: es bei der US-Crowdfunding-Plattform Kickstarter probieren oder ein Comic herausgeben. "Etwas Kreatives jedenfalls." (Regina Bruckner, Magazin "Portfolio", 3.12.2020)