Der japanische Staat unterstützte die Wirtschaft im weltweiten Vergleich besonders kräftig.

Foto: Imago Images / Yoshio Tsunoda

Auch in Japan hat sich die Schere zwischen den Aktienkursen und dem Zustand der Wirtschaft heuer weit geöffnet. Die bekannten Aktienbarometer Nikkei 225 und der Topix mit mehr als 2.000 Unternehmen erholten sich sehr schnell von dem scharfen Einbruch im Frühjahr und kehrten im Jahresverlauf auf den Stand von vor dem Ausbruch von Covid-19 zurück.

Der Mothers-Index für Start-ups kletterte auf ein Zweijahreshoch. Währenddessen schrumpfte die Wirtschaft im zweiten Quartal so stark wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr und kam nur langsam aus der Talsohle heraus.

Doch die Entkoppelung von Konjunktur und Kursen lässt sich erklären. Der japanische Staat unterstützte die Wirtschaft im weltweiten Vergleich besonders kräftig. Die Regierung legte Hilfsprogramme im Volumen von 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf.

Unter anderem erhielt jeder Bürger umgerechnet 820 Euro auf sein Konto überwiesen. Auch die Zentralbank ließ sich nicht lumpen und weitete ihre Bilanzsumme um 20 Prozent aus, obwohl sie schon fast die Hälfte der Staatsschulden aufgekauft hat.

Ohne echten Lockdown

Zugleich kam Japan ohne einen echten Lockdown durch das Corona-Jahr, weil die Seuche rund zehnmal weniger Todesopfer als in Österreich forderte. Über die Ursachen sind sich selbst die Japaner nicht ganz einig. Eine wichtige Rolle spielte die Cluster-Strategie, bei der gezielt Verdachtsfälle getestet und deren Kontakte isoliert werden.

Bild nicht mehr verfügbar.

Auch in Japan war die Pandemie heuer großes Thema. Einen echten harten Lockdown gab es aber nicht.
Foto: Reuters / Franck Robichon

Die Unterbringung von positiv Getesteten in Hotels hat wahrscheinlich geholfen, die Zahl der Infektionen stärker zu beschränken als in Europa. Das Tragen von Masken außerhalb der eigenen vier Wände wurde zur Bürgerpflicht, ohne dass Strafen angedroht werden mussten.

Auch Chinas schnelle Rückkehr auf den Wachstumspfad hat die japanischen Aktienkurse gestützt. China ist der wichtigste Handelspartner von Japan. Besonders Autos, elektronische Bauteile für Smartphones sowie Werkzeugmaschinen exportiert Nippon ins Reich der Mitte.

Toyota und Honda meldeten monatliche Produktionsrekorde, weil die Chinesen viel mehr Autos kauften als im Vorjahr. Das Wachstum der chinesischen Wirtschaft hatte Japan bereits nach der Finanzkrise aus dem Tal der Tränen gezogen. In diesem Jahr wiederholte sich die Geschichte.

Unerwarteter Rücktritt

Eine andere Überraschung überstanden japanische Aktien unbeschadet. Nach fast acht Amtsjahren trat Premierminister Shinzo Abe im September aus gesundheitlichen Gründen völlig unerwartet zurück. Sein Abgang weckte die Sorgen vieler Investoren, dass die Wirtschaftspolitik der Abenomics zu Ende gehen würde.

Dabei kurbelten eine ultralockere Geldpolitik und hohe Staatsausgaben die japanische Wirtschaft an. Im Schnitt wuchs das Bruttoinlandsprodukt zwischen 2012 und 2020 zwar nur um ein Prozent, aber die Unternehmensgewinne stiegen vor allem dank der Abwertung des Yen auf historische Höchststände, was wiederum auch die Aktienkurse antrieb.

Doch ebenso unerwartet kürte die regierende Liberaldemokratische Partei den langjährigen Kabinettschefsekretär Yoshihide Suga zum Nachfolger von Abe. Die bisherige Nummer zwei hinter Abe versprach, die Abenomics-Politik fortzusetzen. Zudem packt Suga Strukturreformen an, um die sein Vorgänger einen großen Bogen machte. Der neue Regierungschef forciert die Digitalisierung der Bürokratie und schwenkt in der Klimapolitik um.

Digitalisierung in der Verwaltung

Japans Verwaltung und Unternehmen sollen die Tradition, Papierdokumente zu faxen und zu stempeln, gegen digitale Unterschriften eintauschen. Verwaltungsreformminister Taro Kono meldete schon im Oktober den Vollzug: 99,4 Prozent aller Dokumente brauchen künftig keine Stempel mehr. Dadurch dürften sowohl die Produktivität als auch die Investitionen in digitale Technologien zunehmen.

Auch die angekündigte Energiewende nahm der Finanzmarkt als Wachstumsimpuls wahr. Japan will nun bis 2050 klimaneutral werden, also unterm Strich kein Kohlendioxid erzeugen. Daher werden künftig mehr Offshore-Windparks errichtet und mehr Anlagen zum Einfangen und Speichern von Kohlendioxid gebaut.

Japan will nun bis 2050 klimaneutral werden, also unterm Strich kein Kohlendioxid erzeugen.
Foto: APA / dpa / Uwe Anspach

Der US-Investor Warren Buffett elektrisierte die Börse in Tokio heuer wie kein anderer, als er für 5,3 Milliarden Euro von allen fünf Handelshäusern jeweils fünf Prozent erwarb. Bis zu 14 Prozent sprangen die Aktien von Mitsubishi Corp., Mitsui & Co., Sumitomo, Itochu und Marubeni nach oben.

Die Investitionen entsprachen ganz seinem Anlagestil, unterbewertete Aktien mit hohem Cashflow zu bevorzugen. Vor allem sind Japans Handelshäuser wahre Champions der "Old Economy". Sie produzieren Stahl, transportieren Fracht, betreiben Supermarktketten, handeln mit Rohstoffen und erzeugen Strom aus Windkraft. Solche traditionellen Geschäfte liebt Buffett.

Den Titel "Aktie des Jahres" hat die Softbank von Masayoshi Son verdient. Der Absturz der Tech-Aktien bescherte dem Investor in Tech-Start-ups den höchsten Jahresverlust seiner Geschichte. Aber Son konterte mit dem bisher größten Verkauf von Vermögenswerten, darunter Anteile an T-Mobile und Alibaba, und trieb den Kurs mit seinem größten Aktienrückkauf auf neue Rekordhöhen. (Martin Fritz aus Tokio, Magazin "Portfolio", 21.12.2020)