Spielen, lernen, füreinander da sein. Gemeinsam statt einsam. Unter diesem Motto gelingt es, leerstehende Wohnungen zu vermieten und Kindern zu helfen

Foto: Sabine Engels

Kurz nach 14 Uhr ist in der Tauschbar im Duisburger Stadtteil Marxloh schon einiges los. Jana (sechs) und Massa (sieben) haben händeweise bunte Blätter herbeigeschleppt und wollen sie jetzt auf Papier kleben. Im Nebenzimmer übt der achtjährige Yasin "multiplizieren mit 1000, 10.000 und 100.000".

"Ich komme gerne hierher, da hat immer jemand für mich Zeit", sagt er. Auch die beiden kleinen Mädchen lächeln beim Blick auf ihre Betreuerin zufrieden.

Auf den ersten Blick ist es eine Szene, die sich in Deutschland jeden Tag in vielen Städten abspielen könnte. Kinder aus finanziell schwachen Familien kommen in einer Einrichtung zusammen, sie lernen dort, man spielt mit ihnen, es gibt auch etwas zu essen.

Doch hinter der Tauschbar in Duisburg steckt ein besonderes Konzept. Das Motto lautet: Wir zahlen nicht, wir tauschen. "Im Prinzip haben wir aus zwei negativen Umständen der Stadt etwas Positives gemacht", beschreibt Christine Bleks, die Gründerin und Vorstandsvorsitzende des mehrfach preisgekrönten Vereins "Tausche Bildung für Wohnen".

Wer kann, zieht weg

Duisburg-Marxloh mit seinen rund 21.000 Einwohnern ist über die Grenzen der Stadt, des Ruhrgebiets und auch des Landes Nordrhein-Westfalen bekannt. Es zählt zu den ärmsten Stadtteilen in Deutschland, und das hat mit dem Niedergang der Stahlindustrie zu tun.

Vor dem Zweiten Weltkrieg herrschte hier Wohlstand. Heute jedoch begibt sich, wer vom Hauptbahnhof an den Türmen des Thyssen-Krupp-Werks nach Marxloh fährt, in die Welt der Wettbüros, Handyläden und Ein-Euro-Shops. Viele Häuser sind verkommen, in Parks stehen ausgediente Waschmaschinen und anderes Gerümpel. Wer kann, zieht weg. Wer bleibt, hat oftmals kein Geld.

Doch es gibt etwas, was Marxloh zur Genüge hat: leerstehende Wohnungen. Einige davon überlassen Wohnungsbaugesellschaften – wie auch in Gelsenkirchen, wo es ebenfalls eine Tauschbar gibt – dem Verein. Die Betreuer der Kinder dürfen mietfrei, in Wohngemeinschaften, darin wohnen.

Sichtbar vor Ort bleiben

"Alle Beteiligten haben einen Vorteil", sagt Bleks. Die Wohnungsbaugesellschaften sind froh, dass Leerstand gemindert wird und sie verlässliche Mieter bekommen. Die jungen Bildungspaten, die nach der Matura aus ganz Deutschland kommen, müssen keine Wohnung suchen. "Und", so Bleks, "es hilft auch dem Stadtteil selbst."

Denn während an anderen Brennpunkten Lehrer und Sozialarbeiter oftmals nach Dienstschluss nach Hause in ein besseres Wohnviertel fahren, bleiben die Bildungspaten in Marxloh vor Ort sichtbar. Man trifft sie beim Einkauf, auf der Straße.

Bleks: "Das macht uns glaubwürdig und steigert die Akzeptanz unseres Projekts." Das schöne Gründerzeithaus mit dem großen Garten, in dem die Kinder zusammenkommen, hat die Kirche zur Verfügung gestellt. Sie hätte es finanziell nicht halten können, dafür renovierte der Verein das Gebäude.

Tiefer Sinn

Mehr als 560 Kinder wurden seit Gründung des Vereins im Jahr 2012 von rund 40 Bildungspaten betreut. Eine von ihnen ist die 19-jährige Ronja, die aus Baden-Württemberg stammt. "Dass mir hier eine Wohnung zur Verfügung gestellt wird, ist schon sehr angenehm", sagt sie. Natürlich hätte sie auch selbst eine erste eigene Bleibe suchen können. Aber: "Wenn man gerade aus dem Elternhaus auszieht, hilft das schon sehr, gleich eine Wohnung zur Verfügung gestellt zu bekommen."

"Wir sprechen hier auch ein bisschen von einem ,Auszug light‘, man muss sich nicht gleich auf dem freien Wohnungsmarkt behaupten", erklärt Bildungspatin Judith (18), die aus Potsdam stammt. Sie absolviert in der Tauschbar ihr Freiwilliges Soziales Jahr und will später eventuell Stadtplanung studieren.

Die Sozialunternehmerin Bleks, die nun ein Social-Franchising-Konzept erarbeitet und das Konzept in weiteren Städten etablieren möchte, sieht im Tauschen generell einen tiefen Sinn: "Es ist etwas anderes als zu kaufen. Zu geben ist etwas zutiefst Menschliches und Befriedigendes."

Sie erinnert daran, dass schon kleine Kinder ohne Anweisung zu tauschen beginnen, und sagt: "Man muss auch als Erwachsener nicht alles in Geld aufwiegen. Jeder von uns kann etwas geben und dafür etwas bekommen." (Birgit Baumann, Magazin "Portfolio", 3.12.2020)