Seit vergangener Woche gibt es in Österreich keine öffentlichen Gottesdienste mehr. Kein sonntäglicher Kirchgang, kein Sabbat, kein Freitagsgebet. Das ist ein empfindlicher Schlag für alle Gläubigen, aber ganz besonders für die muslimischen. Seit dem Terroranschlag steht deren ganze Community unter Druck. Wenn Corona-bedingt nun auch die Moscheen zu sind, macht es deren Lage nicht leichter.

Gewiss, nur der "politische Islam" steht im Visier der Behörden, nicht die hierzulande lebenden Muslime als solche. "Politischer Islam" heißt nach gängiger Auffassung so viel wie Radikalismus, Hass gegen die westliche Demokratie, Terrorismus. Im Gegensatz zum "guten", weil unpolitischen Islam.

Wegen dem Lockdown finden auch im Wiener Stephansdom keine öffentlichen Gottesdienste mehr statt.
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Die meisten Experten sind da freilich skeptisch. Auch bezüglich der Fokussierung auf die Muslimbrüderschaft. Auf diese vor hundert Jahren als antikolonialistische Bewegung in Ägypten gegründet, berufen sich heute sowohl terroristische wie nichtterroristische Gruppierungen. Eine wirklich saubere Trennlinie zwischen Religion und Politik lässt sich jedenfalls schwer ziehen. Kein Wunder, dass alles, was sich in den Moscheen abspielt, in den Augen vieler Österreicher suspekt ist.

Aber viele Migranten – nicht nur muslimische – brauchen ihre Gotteshäuser dringend. Dringender als Einheimische – öffentliche, gemeinschaftliche Religionsausübung ist eben nicht nur ein Zeichen persönlicher Frömmigkeit, sondern auch ein Stück Identität, ein Stück Heimat, ein Stück Geborgenheit und ein Stück erweiterte Familie bei Glaubensgenossen, Landsleuten, Freunden. Irgendwo will man sich im fremden Land zu Hause fühlen können, die eigene Sprache und die eigenen Bräuche pflegen, ohne scheele Blicke fürchten zu müssen.

Respektvolle Anerkennung

Hat das auch etwas mit Politik zu tun? Ein wenig schon. Wo Menschen zusammenkommen, die gemeinsame Anschauungen und gemeinsame Ziele haben, ist die Politik nicht weit. "Politischer Katholizismus" beispielsweise bedeutet in manchen Kreisen, etwa in Polen, Antiaufklärung, Antitoleranz, Verfolgung von Homosexuellen und Abtreibungswilligen. In anderen, etwa bei den lateinamerikanischen Befreiungstheologen und einst bei den französischen Arbeiterpriestern, bedeutet der Begriff "politischer Katholizismus" Solidarität mit den Schwachen, Antikapitalismus, Kampf gegen Unterdrückung.

Wer seinen Glauben ernst nimmt, wird ihn unweigerlich auch auf sein politisches Handeln anwenden. Und das kann in die eine wie in die andere Richtung ausschlagen. Verständlich, dass manche – etwa in Frankreich – meinen, eine Gesellschaft ohne organisierte Religion wäre besser für das Zusammenleben der Menschen.

Die österreichische Tradition, mit ihren Wurzeln in der multikulturellen und multireligiösen Donaumonarchie, ist anders. Sie setzt auf respektvolle Anerkennung der diversen Religionsgemeinschaften, auch in ihrer gesellschaftlichen und politischen Ausprägung, solange diese gesetzeskonform ist.

Der Lockdown der Gotteshäuser ist jedenfalls eine kaum weniger große Herausforderung für viele in unserer Gesellschaft als der Lockdown der Schulen. Hoffentlich meistern wir die eine wie die andere. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 25.11.2020)