Eine Aufnahme von der Wiener Gruppe Sofortmaßnahmen im Contact-Tracing-Einsatz.

Foto: Christian Fischer

Testen. Tracen – also Kontakte von Infizierten nachverfolgen. Und Isolieren. Das Trennen von möglichen Infektionsketten gilt neben Kontaktreduktion, Mindestabstand und Schutzmasken als eine der wichtigsten Maßnahmen, um Corona-Wellen gar nicht erst entstehen zu lassen. Der Aufbau einer Infrastruktur für Contact-Tracing wurde aber in den Sommermonaten in Österreich verschlafen. Das massive Infektionsgeschehen führte zu teils mehr als 9.000 Neuinfektionen pro Tag und in manchen Bundesländern zum Zusammenbruch des Contact-Tracings. Die Bundesregierung reagierte mit einem neuerlichen harten Lockdown.

Um eine dritte Welle zu verhindern, muss laut Experten erneut der volle Fokus auf Testen, Tracen und Isolieren gelegt werden. Wie berichtet will Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) mit Antigen-Massentests im Dezember einen umfassenden Überblick über das Infektionsgeschehen nach dem Lockdown erhalten. Aber nicht nur die Organisation der Corona-Screenings wird eine Herausforderung, sondern auch das nachfolgende Contact-Tracing von erwarteten einigen tausend positiv Getesteten innerhalb kurzer Zeit. Gesundheitsminister Rudolf Anschober von den Grünen meinte, dass es kein verpflichtendes Contact-Tracing geben könne. Für den Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) ist ein lückenloses Nachverfolgen von Kontaktpersonen positiv getesteter Personen illusorisch.

Fatale Folgen durch Panne bei Contact-Tracing in Großbritannien

Aufschluss darüber, wie wichtig die Rolle ist, die Contact-Tracing in der Pandemiebekämpfung einnimmt, zeigt ausgerechnet eine Panne. Zwischen dem 25. September und dem 2. Oktober wurden in Großbritannien etwa 16.000 positive Corona-Fälle verschlampt. Weil die dortige Gesundheitsbehörde Probleme mit Excel hatte – Medien berichten, dass man eine veraltete Software mit Zeilenlimit verwendet hatte, die überschüssige Zeilen automatisch löscht –, wurden tausende Betroffenen nicht rechtzeitig über Risikokontakte informiert. Eine Studie der britischen Warwick-Universität zeigt nun die fatalen Folgen: 125.000 zusätzliche Infektionen und mehr als 1.500 Todesfälle mit Covid-Bezug wurden durch die Panne ausgelöst, errechneten die Forscher.

Aufschluss darüber, wie wenig Contact-Tracing in Österreich in den vergangenen Wochen funktioniert hat, geben aktuelle Clusteranalysen. Der Anteil jener Fälle, deren Quelle man klären konnte, ist rapide gesunken. Noch Anfang Oktober waren das fast drei Viertel aller Fälle. Gut einen Monat später war es nicht einmal mehr ein Fünftel.

Eine österreichweite STANDARD-Recherche zeigt, dass die Bundesländer in den vergangenen Wochen im Bereich Contact-Tracing massiv aufgerüstet haben. Die Zahl der Neueinstellungen, Personalumschichtungen im Land und die Bezahlung sind aber höchst unterschiedlich. Und in Summe ist das Personal für Kontaktnachverfolgung immer noch zu knapp.

WIEN

In der Bundeshauptstadt sind aktuell 520 Personen mit Contact-Tracing befasst, wie es auf Anfrage heißt. Im Endausbau sollen "700 bis 800 Personen im Bereich Contact-Tracing arbeiten". Zum Vergleich: Mitte September waren erst 100 Contact-Tracer in Wien tätig, dazu kamen Mitarbeiter des städtischen Gesundheitsdienstes (MA 15), die hier ebenfalls mitwirken. Neben Neueinstellungen wurden und werden auch Mitarbeiter aus anderen städtischen Abteilungen umgeschichtet. Auf eine öffentliche Ausschreibung als Contact-Tracer (1.831 Euro brutto Vollzeit, befristet auf zehn Monate) meldeten sich im September 1.200 Personen, ehe sie offline genommen werden musste. Rund 300 Mitarbeiter wurden seither im Bereich Contact-Tracing eingestellt.

NIEDERÖSTERREICH

In Niederösterreich sind aktuell rund 930 Contact-Tracer tätig, heißt es aus dem Büro von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Anfang September waren es 400. Seither wurden neben Neueinstellungen (200) auch Bedienstete des Landes für Contact-Tracing herangezogen. In den nächsten Wochen ist eine weitere Aufstockung um 100 Vollzeitstellen geplant. Zudem wurden seitens des Bundesheers "weitere 80 Personen im Rahmen eines Assistenzeinsatzes in Aussicht gestellt". Ein Contact-Tracer verdient in Niederösterreich 1.850 Euro brutto.

STEIERMARK

Dort sind aktuell 650 Personen im Contact-Tracing beschäftigt, heißt es von der dortigen Landesregierung – darunter 100 Landesbedienstete, die von ihren Dienststellen abgezogen wurden, und 40 Soldaten des Bundesheers. Der Rest ist Personal aus den Bezirkshauptmannschaften und von der Stadt Graz. Seit September wurde die Zahl jede Woche um 15 bis 30 Personen erhöht, heißt es. Und das reicht bei weitem nicht aus: "Wir rechnen mit einem Bedarf an weiteren Personalaufstockungen im dreistelligen Bereich."

KÄRNTEN

In Kärnten arbeiten derzeit 322 Personen – Amtsärzte, Personen aus den Gesundheitsämtern, vom AMS geförderte Langzeitarbeitslose und freie Dienstnehmer – im Contact-Tracing. 179 davon wurden seit 1. September eingestellt. Das habe man "stetig ausgebaut", heißt es vom Landespressedienst, und das müsse man weiter ausbauen. Jede Bezirkshauptmannschaft könne zehn weitere freie Dienstverträge abschließen, bis Anfang Dezember könnte man so auf 400 Personen insgesamt kommen.

OBERÖSTERREICH

Insgesamt sind in Oberösterreich laut dem Krisenstab 710 Vollzeitäquivalente im Contact-Tracing tätig, davon 200 aus dem Bundesheer. Aber: Viele dieser Personen leisten auch nebenher reguläre Behördenarbeit, heißt es. Allein seit dem 1. September habe man 155 Vollzeitkräfte im Krisenstab aufgenommen. Ein Assistent oder eine Assistentin im Krisenstab erhält ein Grundgehalt von 1.976 Euro brutto im Monat. Im Sommer machten Annoncen mit deutlich geringerem Gehalt die Runde. Das Land suchte damals Studierende, die für ein "Entgelt in Höhe von 1.100 Euro brutto" auf Vollzeitbasis arbeiten. Ein bisschen mehr, nämlich 1.500 Euro, wurden gezahlt, "wenn auch Wochenend-, Feiertags- und Abenddienste geleistet werden".

SALZBURG

Im Frühjahr waren 140 Personen im Einsatz; bis zum Herbst wurde bereits auf 340 Contact-Tracer erhöht. Nach dem erneuten Anstieg der Fälle wurde noch einmal verdoppelt. Derzeit sind 715 Personen im Einsatz. Dafür wurden auch Mitarbeiter aus allen Bereichen der Bezirkshauptmannschaft sowie des Landes zur Unterstützung der Gesundheitsbehörden rekrutiert. Einige Mitarbeiter wurden vom AMS vermittelt, und auch Soldaten des Bundesheeres sind im Rahmen des Assistenzeinsatzes in den Teams. "Es wurde auch um Unterstützung durch Mitarbeiter der Ages angefragt, es war allerdings nicht möglich, dass auch Personen nach Salzburg entsandt wurden", heißt es vom Land. Das Personal soll noch um 50 weitere Bundesheer-Angehörige erweitert werden. Bis 1. Dezember sollen 765 Personen im Contact-Tracing arbeiten. Die Entlohnung der Contact-Tracer entspricht laut Land Salzburg jener einer Verwaltungsassistenzkraft, das Einstiegsgehalt ohne Vordienstzeiten liege bei 2.330 Euro brutto für eine Vollzeitstelle. Ende Oktober suchte die Stadt Salzburg per Stellenausschreibung 15 neue Contact-Tracer für einen Vollzeitbruttolohn von 1.900 Euro im Monat.

BURGENLAND

Das Burgenland gibt keine genaue Zahl von Contact-Tracern bekannt. Es sind aber "täglich mehr als 200 Mitarbeiter nur zur Abarbeitung von Covid in den Gesundheitsbehörden, Krisenstäben, für das Lager und das Contact-Tracing eingesetzt". Insgesamt wurden 28 Bedienstete für den zusätzlichen Einsatz beim Contact-Tracing mit einem befristeten Sondervertrag (Bruttogehalt: 2.420 Euro) aufgenommen.

TIROL

In Tirol sind aktuell mehr als 600 Personen tätig, die "im engeren Sinn das Contact-Tracing durchführen beziehungsweise im weiteren Sinn an der Durchführung und Abwicklung beteiligt sind", wie es heißt. Am 1. September waren es "über 200 Personen". Seither wurde großteils Personal aus anderen Abteilungen umgeschichtet. Zudem sind aktuell 61 Soldatinnen und Soldaten unterstützend im Einsatz. Zusätzlich sollen künftig bis zu 30 aktuell arbeitslos gemeldete Personen angestellt werden, heißt es. Bei einer Fixanstellung beträgt das Bruttogehalt mindestens 2.000 Euro, Verwaltungspraktikanten im Land erhalten mindestens 1.666 Euro.

VORARLBERG

In Vorarlberg sind 155 Landesbedienstete, weniger als zehn Vollzeitäquivalente bei einem externen Callcenter sowie 50 Rekruten im Infektionsteam im Einsatz. Anfang September waren nicht einmal zwölf Vollzeitäquivalente als Contact-Tracer tätig. Seither wurden 61 Personen neu eingestellt, der Rest wurde aus dem Landesdienst rekrutiert. Angestrebt wird nur noch ein geringfügiger Ausbau um etwa zehn Personen. Die Mitarbeiter erhalten laut Auskunft des Landes mindestens 2.199 Euro brutto.

Rund 4.800 Mitarbeiter im Bereich Contact-Tracing österreichweit

Laut den Angaben aus den Ländern haben damit österreichweit aktuell rund 4.800 Mitarbeiter zumindest temporär während ihrer Arbeitszeit mit Contact-Tracing zu tun. Doch wie viele Contact-Tracer brächte es, um die aktuelle Situation zu bewältigen?

Public-Health-Experte Hans-Peter Hutter meint, man hätte momentan – wenn überhaupt – die Ressourcen, um 1.000 neue Fälle am Tag nachzuverfolgen. Am Mittwoch wurden im 24-Stunden-Vergleich aber noch mehr als 5.800 Neuinfektionen registriert. Immerhin gehe es ja nicht nur darum, jene zu erreichen, die sich als Kontaktpersonen angesteckt haben könnten, sondern auch darum, herauszufinden, in welchen Settings die Ansteckungen am häufigsten passieren. Denn davon wiederum hänge die Sinnhaftigkeit von neuen Maßnahmen ab.

In Wien werden die vom Bund geplanten Massentestungen im Dezember äußerst kritisch gesehen. Schon jetzt würden die Contact-Tracer im Normalbetrieb aktuell 3.000 Personen pro Tag kontaktieren. Bei den Massentestungen könnten innerhalb kurzer Zeit einige tausend asymptomatische Fälle und noch mehr auszuforschende Kontaktpersonen dazukommen. Das sei nicht zu bewerkstelligen, heißt es aus dem Ressort von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). (David Krutzler, Gabriele Scherndl, Steffen Arora, Sebastian Fellner, Stefanie Ruep, Wolfgang Weisgram, 26.11.2020)