Zwei frühe Tetrapoden – Ichthyostega (links) und Acanthostega – am Übergang zwischen Wasser und Land.
Illustr.: Davide Bonadonna

Vor 520 Millionen Jahren war die Erde abseits der Ozeane eine leere, scheinbar leblose Ödnis. Abgesehen von Einzellern und Bakterien gab es an Land vielleicht bereits das eine oder andere im Verborgenen wuchernde moosartige Gewächs, aber damit hatte es sich wohl auch schon. Im großen Stil ergrünt ist die Wüstenei oberhalb der Meere erst vor etwas mehr als 450 Millionen Jahren, gut zehn Millionen Jahre später dürften sich die vier Hauptgruppen der Landpflanzen bereits im Trockenen gut eingelebt haben. Etwa um diese Zeit machten sich auch die frühesten komplexen Tiere an die Eroberung der Landmassen: Kampecaris obanensis, ein Tausendfüßler-ähnliches Lebewesen, gilt als älteste erhaltene höhere Landkreatur.

Wann genau schließlich auch die Wirbeltiere den entscheidenden Schritt vom Wasser ans Land taten, ist noch immer Gegenstand von Diskussionen. Zwar galt die allmähliche Verwandlung der ersten wagemutigen Pioniere unter den Fischen (vor über 380 Millionen Jahren) in amphibienähnliche Vierfüßler (vor rund 370 Millionen Jahren) lange Zeit als verhältnismäßig lückenlos dokumentierbar und zeitlich abgesichert, aber dann fuhr den Paläontologen vor etwa zehn Jahren ein bemerkenswerter Fund in die Parade: Fußabdrücke eines vierbeinigen, 2,5 Meter langen Lebewesens, die man in einem Steinbruch in Polen entdeckt hatte, erwiesen sich mit 397 Millionen Jahren als um 18 Millionen Jahre älter als alle bis dahin bekannten Fossilien aus der Übergangsphase vom Fisch zum Uramphibium.

Drei wichtige Stadien der Oberarmknochen-Entwicklung (von links): Vom kompakten Humerus von Fischen über den L-förmigen Humerus der Übergangstetrapoden bis zum verdrehten Humerus terrestrischer Vierfüßler.
Illustr.: Blake Dickson

Bedeutende erste Schritte

Während also nicht ganz klar ist, wann der Landgang der Wirbeltiere tatsächlich stattgefunden hat, ist die Bedeutung dieses evolutionären Schritts kaum zu überschätzen – immerhin bildete er das Fundament für die Entwicklung der Dinosaurier, der Säugetiere und letztlich auch des Menschen. "Die Fähigkeit, an Land herumzulaufen, hat im Wesentlichen die Voraussetzungen für die gesamte Artenvielfalt und die Entstehung moderner terrestrischer Ökosysteme geschaffen", ist auch Stephanie Pierce überzeugt.

Die Paläontologin und Kuratorin im Museum für vergleichende Zoologie an der Harvard University (Cambridge) hat sich gemeinsam mit Blake Dickson und anderen Kollegen genauer angesehen, wie und wann aus den ursprünglichen Schwimmern gute Läufer geworden sind. Für die Rekonstruktion des bemerkenswerten evolutionären Übergangs von der Flosse zum Bein konzentrierte sie sich auf einen einzigen, aber äußerst bedeutsamen Knochen: den Humerus.

Knochen im Wandel

Der lange Knochen im Oberarm verläuft zwischen Schulterbereich und Ellenbogen und ist für die Bewegung an Land von unschätzbarem Wert. Er dient als Ansatzpunkt für jene Muskeln, die einen Gutteil der Belastungen aus der vierbeinigen Fortbewegung aufnehmen. Für Pierce spielt vor allem eine Rolle, dass der Humerus und sein Vorläufer in allen Tetrapoden und den Fischen, aus denen erstere hervorgingen, vorkommen und im gesamten relevanten Fossilienbestand ziemlich häufig zu finden sind. Für ihre im Fachjournal "Nature" veröffentlichte Studie analysierten die Forscher anhand von 40 im Computer nachgebauten Fossilien, wie sich der Oberarmknochen und damit die Art der Fortbewegung an Land im Laufe der Zeit verändert hat.

Der Entwicklungsweg vom Fisch zum Tetrapoden mit zahlreichen Nebenpfaden. Unten in rot: Die Oberarmknochen bei Fischen (links) und frühen Vierfüßlern.
Illustr.: Blake Dickson

An Land unbeholfen

Früher ging man davon aus, dass der Wirbeltier-Landgang mit dem Austrocknen von Gewässern zu tun hatte, was gewissermaßen den selektiven Druck bereitstellte für die Entwicklung von Beinen. Funde in den 1990er-Jahren deuteten jedoch darauf hin, dass die ersten Vierfüßler noch viele aquatische Merkmale wie Kiemen und eine Schwanzflosse besaßen und dass sich die Gliedmaßen daher noch im Wasser entwickelt haben mussten, bevor sich Tetrapoden an das Leben an Land angepasst haben.

Bei ihren Humerus-Untersuchungen stießen Pierce und ihr Team auf eine Übergangsgruppe terrestrischer Landwirbeltiere, die dies nicht so ganz zu untermauern scheinen. Die Umgestaltung von Flossen zu echten, wenn auch rudimentären Gliedmaßen wies nämlich auf eine echte Zwischenphase hin, die das Leben im Wasser und jenes an Land überbrückte. In dieser Entwicklungsphase waren die frühen Tetrapoden noch gut an ihre Existenz im Wasser angepasst, konnten sich aber bereits im Trockenen fortbewegen – wenn auch zunächst noch reichlich unbeholfen und mühsam.

Vermutlich Umweltveränderungen

Die Wissenschafter schließen daraus, dass die Fähigkeit, sich an Land zu bewegen, zunächst noch eingeschränkt war von der evolutionären Bevorzugung anderer Merkmale wie der Nahrungsaufnahme, die die frühen Vierfüßler anfangs an ihren angestammten aquatischen Lebensraum gebunden hat. Sich der Mühsal zu unterwerfen, an Land herumzukriechen, dürfte also wahrscheinlich auf Umweltveränderungen zurückzuführen sein, die diese Kreaturen dazu zwangen, sich an neue Gegebenheiten anzupassen. (Thomas Bergmayr, 26.11.2020)