Wien – Recht überraschend – auch für die Regierungskollegen – kündigte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) rasch nach dem Lockdown an, bald die gesamte österreichische Bevölkerung durchtesten zu wollen. Wie DER STANDARD herausfand, hatten sich Berater rund um Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) kurz zuvor kritisch über diese Idee geäußert. Auch die Opposition ist nicht begeistert. Doch was spricht für Massentests, was dagegen? Ein Überblick.

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Kanzler Sebastian Kurz will noch vor Weihnachten Corona-Massentests anbieten.
Foto: REUTERS/Antonio Bronic

FÜR

"Massentestungen können ein probates Mittel zur Pandemiebekämpfung sein, weil die eingesetzten Antigentests hochansteckende Personen frühzeitig identifizieren können, auch wenn diese Personen symptomlos sind", argumentiert Gesundheitsminister Rudolf Anschober. Außerdem könnten Massentestungen auch ein zusätzliches Risikobewusstsein in der Bevölkerung bewirken.

Ein ähnliches Wording kommt jetzt auch von der ursprünglich skeptischen Ärztekammer. Kammerpräsident Thomas Szekeres, meint – wie Anschober –, mit den Massentests könnten Personen, die sich infiziert haben, frühzeitig isoliert und dadurch weitere Kettenreaktionen unterbunden werden. In der Slowakei und in Südtirol habe man jedenfalls beobachten können, "dass Massentests funktionieren", sagt Österreichs oberster Ärztevertreter.

Praktischer Zugang

Bundeskanzler Sebastian Kurz – siehe auch oben – findet zudem einen praktischen Zugang zum Thema: "Mit den Massentests eröffnen wir im Kampf gegen die Pandemie ein neues Kapitel und wollen damit den Menschen ein Weihnachtsfest im engen Familienkreis ermöglichen. Massentests waren bisher nicht möglich, sind aber jetzt eine effiziente Alternative zu Lockdowns von mehreren Wochen."

Diese geplanten Massentests seien für ihn jedenfalls bis zur Impfung "eine große Chance für Österreich, den Weg zur Normalität zurückzufinden". (Irene Brickner, Walter Müller)

WIDER

Massentestungen mit Antigentests machen zur effizienten Eindämmung einer Pandemie nur Sinn, wenn 50 Prozent der Bevölkerung teilnehmen und sich zweimal die Woche testen lassen. "Sonst bringt es nichts", sagt der Infektiologe Herwig Kollaritsch und sieht das größte Problem in der logistischen Umsetzung, medizinisches Fachpersonal zur korrekten Abnahme des Tests fehlt.

Zudem sind Millionen Tests in Zeiten, in denen Menschenansammlungen vermieden werden sollen, eine weitere Hürde.

Fehlende Vortestwahrscheinlichkeit

Die Allgemeinmedizinerin Susanne Rabady führt für diese Methode auch eine fehlende Vortestwahrscheinlichkeit ins Feld: In Österreich ist die Durchseuchung mit Sars-CoV-2 einfach nicht hoch genug. "Das ist intuitiv nicht zu verstehen, sondern eine mathematische Größe." Problematisch ist auch die Ungenauigkeit der Antigentests: Bei frisch Infizierten schlagen sie noch nicht an und würden falsch-negative Ergebnisse bringen.

Dazu kommen auch die falsch-positiven Ergebnisse. Sie ließen sich durch PCR-Tests bestätigen, doch auch dafür müssten bei einer Massentestung Ressourcen geschaffen werden. Brandgefährlich für Rabady ist "die falsche Sicherheit, in der sich Menschen nach einem negativen Test wiegen würden". Wenn Massentests gezielt an genau definierten Risikogruppen eingesetzt werden, machen sie Sinn, sind sich Experten einig. (Karin Pollack)

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