Wann ist eine Religion (oder Weltanschauung oder Kultur) frauenfeindlich? Meiner Ansicht nach ist ein wesentlicher Baustein die Frage, ob Frauen innerhalb dieser Traditionen Autorität zugesprochen bekommen, und zwar auch von Männern. Immer, wo es formale Strukturen gibt, in denen Autoritäten vorgesehen sind – Klerus, Lehrende, Gurus, also Leute, denen "man zuhört" –, müssen daher Frauen gleichermaßen wie Männer zu finden sein. Und zwar, das ist wichtig: Diese weibliche Autorität muss auch von Männern angenommen werden, das heißt, es muss weibliche Lehrerinnen/Autoritätspersonen nicht nur für andere Frauen geben, sondern auch für Männer. Eine Kultur, in der Männer nicht (systematisch, strukturell implementiert und damit auch gewährleistet) dazu angehalten werden, von Frauen zu lernen, ist bei mir gleich mal unten durch.

Allerdings ist das nicht immer so leicht zu beurteilen wie zum Beispiel bei säkularen Staaten oder den christlichen Kirchen (die zusammen entstanden sind und damit auch strukturell ähnliche Organisationsformen haben) – da kann man nämlich einfach in den Statuten oder Gesetzen nachlesen, ob mit Autorität ausgestattete Ämter für Frauen zugänglich sind (formal und tatsächlich) oder nicht.

Doch viele Kulturen und Weltanschauungen sind nicht auf diese Weise organisiert. Im Islam zum Beispiel gibt es keine vergleichbar allgemeingültigen Gremien oder Richtlinien oder feste Vereine mit Mitgliederlisten. Von daher ist die Frage, ob Frauen im Islam geistliche Autoritäten sein und klerikale Ämter innehaben können oder nicht, nicht so leicht zu beantworten. Als ich vor einiger Zeit zum Beispiel Vertretungen von Glaubensgemeinschaften in Frankfurt interviewte, gehörte die Frage nach Frauen in geistlichen Ämtern zu meinem Standardrepertoire – und alle Muslime, egal ob Sunniten, Schiiten, Aleviten oder Ahmaddiyya, beteuerten, dass es selbstverständlich Imaminnen und Vorbeterinnen geben könnte. Theoretisch. Praktisch gab es bei ihnen aber keine. Oder es gab sie, aber sie waren nur für Frauen und Kinder zuständig, aber nicht für Männer. Es gibt jedoch auch muslimische Gemeinden, die Imaminnen haben, aber die waren damals nicht im Frankfurter Rat der Religionen vertreten, daher kamen sie in der Interviewreihe nicht vor.

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Theoretisch sind Imaminnen möglich. Theoretisch.
Foto: REUTERS/Amr Abdallah Dalsh

Ausschluss aus Gewohnheit

Anders als bei der katholischen Kirche, wo der Zugang zu einem geistlichen Amt ausdrücklich an den Besitz eines Penis gebunden ist, oder bei der evangelischen Kirche, wo der Zugang zu einem geistlichen Amt (inzwischen, seit wenigen Jahrzehnten) ausdrücklich unabhängig vom Geschlecht ist, gibt es also in vielen anderen Bereichen unausgesprochene Regeln, die faktisch Frauen von Ämtern ausschließen, ohne dies aber mit einem großen dogmatischen Gerüst zu ummanteln, wie es die katholische Kirche getan hat.

Die meisten muslimischen Gemeinschaften gehören in diese Kategorie der "Diskriminierung aus Gewohnheit", und damit sind sie nichts Besonderes. Auch in der evangelischen Kirche wurden Frauen früher ausgeschlossen, obwohl es keine theologischen Gründe dafür gab. Auch in Bezug auf das Wahlrecht war das so, zum Beispiel in den USA, als die Beschränkung des Wahlrechts auf Männer ausdrücklich erst mit dem 14. Amendment, nämlich der Zulassung (mancher) schwarzer Männer, ins Gesetz geschrieben wurde.

Solche gewohnheitsmäßigen, jedoch nicht aus unveränderbaren dogmatischen Gründen frauendiskriminierenden Gemeinschaften sind der katholischen Kirche gegenüber im Vorteil. Denn während sich viele Katholikinnen und Katholiken längst sehr darüber ärgern, dass in ihrer Dogmatik die willkürliche Diskriminierung der Hälfte der Menschheit in Stein gemeißelt wurde, haben sie die Möglichkeit, sich jederzeit anders zu entscheiden. Aber, und das ist der Punkt: Sie müssen das dann auch irgendwann einmal tun, anstatt sich immer nur hinter der theoretischen Möglichkeit zur Gleichberechtigung zu verstecken.

Männliche Exklusivität

Und deshalb habe ich mich sehr über eine Stellungnahme des Liberal-Islamischen Bundes zur "Imam"-Ausbildung des Islamkollegs Deutschland (IKD) gefreut, in der darauf hingewiesen wird, dass von Imamen in den Veröffentlichungen immer nur in männlicher Form geschrieben wird, anders als bei Seelsorgerinnen und Seelsorgern oder Gemeindebetreuerinnen und Gemeindebetreuern, die auch in weiblichen grammatikalischen Formen angesprochen werden.

Das ist auch ein schönes Beispiel dafür, dass das generische Maskulinum nicht mehr ausreicht, um die Debatten unserer Zeit zu führen. Wenn wir als Gesellschaft den Anspruch haben, das Verhältnis der Geschlechter hin auf eine egalitäre Zukunft neu zu verorten, brauchen wir eine Sprache, die sichtbar macht, ob von gemischtgeschlechtlichen Gruppen oder ausschließlich männlichen Gruppen die Rede ist. Nur weil in den Papieren des Islamkollegs bei anderen Personengruppen eine inklusive Sprache verwendet wird, fällt es nämlich überhaupt auf, dass der Begriff "Imame" offensichtlich nicht als generisches Maskulinum verwendet wird (bei dem Imaminnen "mitgemeint" wären), sondern als Beschreibung einer tatsächlichen männlichen Exklusivität.

Interessanter Anwendungsfall also für das Gender-Sprach-Thema, das ja gerne mal als akademische Korinthenkackerei denunziert wird. Aber das Problem ist nicht theoretisch, sondern wirklich real. (Antje Schrupp, 1.12.2020)