Der Großteil der Sonnenenergie entstehen beim sogenannten Proton-Proton-Fusionszykus. Der nun nachgewiesene CNO-Zyklus steuern nur etwa ein Prozent bei. Auf dieser Aufnahme des Esa-/Nasa-Observatiriums SOHO ist unser Zentralgestirn im extremen UV-Licht bei einer Wellenlänge von 284 Ångström zu sehen.
Foto: Esa/Nasa

Die Sonne ist im Grunde ein gigantischer Fusionsreaktor, in dem fortlaufend Wasserstoff in Helium umgewandelt wird. Dieser auch als Wasserstoffbrennen bezeichnete Vorgang erfolgt auf zwei Arten: Etwa 99 Prozent der Energie entstammt einem Prozess von Fusionen und Zerfällen, der mit zwei Wasserstoffkernen beginnt und über die Zwischenstufe Deuterium mit einem Heliumkern endet, der sogenannten Proton-Proton- oder pp-Kette. An der zweiten Reaktionskette sind hingegen die schwereren Elemente Kohlenstoff (C), Stickstoff (N) und Sauerstoff (O) als Katalysatoren und Zwischenprodukte beteiligt. Sie wird daher als CNO- oder Bethe-Weizsäcker-Zyklus bezeichnet. Während in leichten Sternen wie der Sonne die pp-Reaktion dominiert, ist der CNO-Zyklus in schweren und heißeren Sternen der Hauptprozess zur Energiegewinnung.

Dieser zweite Zyklus war in den 1930er Jahren von den Physikern Hans Bethe und Carl Friedrich von Weizsäcker unabhängig voneinander als Energielieferant der Sonne postuliert worden, konnte bislang aber nicht experimentell bestätigt werden. Nun aber ist Physikern des Experiments Borexino, das sich im italienischen Gran Sasso Untergrundlabor in der Nähe von L’Aquila in den Abruzzen befindet, erstmals dieser Beweis gelungen. Grundlage für den Nachweis sind spezielle Neutrinos, die beim CNO-Zyklus entstehen.

Schwer fassbare Geisterteilchen

Neutrinos gelten als "Geister" unter den Elementarteilchen – und tatsächlich besitzen diese Teilchen eine ganze Reihe von gespenstischen Eigenschaften: Die zweithäufigsten Partikel nach den Photonen sind elektrisch neutral, beinahe masselos und sausen daher auch annähernd mit Lichtgeschwindigkeit durchs All. Dabei lassen sie sich praktisch von nichts aufhalten: Mühelos passieren sie Planeten und Sterne gleichermaßen. Der österreichische Physiknobelpreisträger Wolfgang Pauli hat ihre Existenz bereits 1930 vorhergesagt. Weil sie aber herkömmliche Materie mehr oder weniger unbeeindruckt durchdringen und allein über die schwache Wechselwirkung mit ihr interagieren, wurden Neutrinos erst 1956 glaubwürdig nachgewiesen.

Der Nachweis gelang den Forschern mit dem Borexino-Experiment, hier ein Blick ins Innere des riesigen Detektors.
Foto: Borexino Collaboration

Damit die bei den Fusionsprozessen im Innern der Sonne entstehenden Neutrinos nachgewiesen werden können, braucht es gewaltige Anlagen. Milliardenfach erreichen sie die Erde und durchdringen sie normalerweise ungehindert. "Mit dem riesigen Detektor des Borexino-Experiments 1.400 Meter unter Erde können wir diese Neutrinos aber aufspüren", sagt Michael Wurm, Neutrinophysiker an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und Mitglied der Borexino-Kollaboration. "Dann erlauben sie einen unverhüllten Blick auf die Vorgänge im Sonneninneren."

Störquellen beseitigt

Während die Borexino-Kollaboration in den letzten Jahren Neutrinos aus mehreren Reaktionen entlang der pp-Kette nachweisen konnte, waren die Neutrinos des CNO-Zyklus aufgrund ihrer Energieverteilung schwer von denen zu unterscheiden, die beim radioaktiven Zerfall winziger Spuren anderer Elemente erzeugt werden. Vor allem Bismut-210 aus Spurenverunreinigungen auf der Oberfläche der Detektorwand verdeckte bisher die Signale des CNO-Zyklus. Aufgrund von Konvektionsbewegungen gelangten diese Verunreinigungen in die Detektorflüssigkeit. Um die Störung zu beseitigen, musste die Konvektion im Inneren des Borexino-Detektors zum Stillstand gebracht werden, was technisch extrem aufwändig war.

Der Borexino-Detektor von außen. Mit dem Projekt lassen sich auch Neutrinos von Supernovae in der Milchstraße auffinden. Deshalb ist Borexino Teil des Supernova Early Warning Systems.
Foto: Borexino Collaboration

"Ich habe es lange für nicht möglich gehalten, dass diese Messung erfolgreich sein würde", sagt Stefan Schönert, Professor für experimentelle Astroteilchenphysik an der TU München. "Nach sechsjähriger Anstrengung gelang uns dies nun, so dass wir das CNO-Neutrino-Signal jetzt erstmals nachweisen konnten." Mehr noch: Das Forschungsteam konnte auch den Gesamtfluss der CNO-Neutrinos, die auf der Erde ankommen, abschätzen. Mit etwa 700 Millionen von ihnen, die pro Sekunde durch einen Quadratzentimeter fliegen, beträgt ihr Anteil etwas ein Hundertstel der Gesamtzahl der solaren Neutrinos, berichten die Physiker im Fachjournal "Nature". "Das passt wunderbar zu den theoretischen Erwartungen, nach denen der CNO-Zyklus in der Sonne für etwa ein Prozent der gewonnenen Energie verantwortlich ist", sagt Daniele Guffanti, Postdoc in der Gruppe von Michael Wurm und ebenfalls Mitglied der Borexino-Kollaboration.

Neue Hinweise auf die Metallizität der Sonne

Die Physiker werten die neuen Ergebnisse als wichtigen Meilenstein hin zu einem vollständigen Verständnis der Fusionsprozesse, die unsere Sonne, aber auch schwere Sterne antreiben und im Universum leuchten lassen. Sie ebnen darüber hinaus den Weg für ein besseres Verständnis der elementaren Zusammensetzung des Sonnenkerns insbesondere im Hinblick darauf, wie häufig neben Wasserstoff und Helium schwerere Elemente wie eben Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff im Sonnenplasma zu finden sind – Forscher sprechen hier von der "Metallizität". Auch hierfür sind Neutrinos die einzigen direkten Botschafter. (red, 26.11.2020)