Selbstoptimierung und Businessplan: Das fünfköpfige Ensemble (Christina Constanze Polzer, Ulrike Lasta, Antje Weiser, Tom Hospes und Johannes Gabl) hetzt durch die Probleme der postmodernen Gesellschaft.
Foto: Andrea Leichtfried

In den Theatern darf weiterhin geprobt, das Geprobte aber nicht vor Publikum gezeigt werden. Eine paradoxe Situation, der das Tiroler Landestheater noch eins draufsetzt, in dem es Geisterpremieren, sprich: Premieren ohne Publikum, veranstaltet. Das war auch für die Uraufführung von Petra Maria Kraxners Alter Ego so vorgesehen, dann sprang das Land Tirol in die Bresche: Es streamt die heutige Premiere auf seiner Homepage und seinem Facebook-Kanal.

Journalisten durften bereits der Generalprobe auch analog beiwohnen, in einem fast leeren Theater hat auch das Privileg eines Theaterbesuchs in Zeiten des Kultur-Lockdowns etwas Geisterhaftes an sich. Was wiederum gar nicht schlecht mit dem korrespondiert, was auf der Bühne passiert: Einer beruflich erfolgreichen, scheinbar bestens an die Anforderungen der heutigen Leistungsgesellschaft angepassten Frau entgleitet die Welt.

Tagträume am Klo

Das beginnt mit ein paar tagtraumartigen Irritationen – auf dem Klo, im Büro, im Zug – und steigert sich zur Wahnvorstellung einer groß angelegten Verschwörung, in der alle gegen eine zu sein scheinen, die aber schon längst nicht mehr sie selbst, sondern selbst alle ist.

Kraxner, 1982 in Tirol geboren, ist bisher unter anderem mit Die gesetzliche Verordnung zur Veredelung des Diesseits oder Medusas Floß, aber auch mit einer kritischen Rede zur Lage junger Dramatikerinnen in Österreich aufgefallen. Dann fiel sie aus – und schrieb darüber. Alter Ego, so die Autorin im Vorwort zum Stück, sei "vor, während und nach einer akuten psychotischen Episode" entstanden.

Und: Der Text sei eine "Einladung, benutzt zu werden, ohne sich in die Schranken eines Stücks einzusperren". Die signalisierte Offenheit hinsichtlich der Inszenierung kommt nicht von ungefähr: Dieser Bericht über eine persönliche Krise mit all ihren existenzbedrohenden Auswirkungen ist ein aufwühlender, sprachlich zupackender Text, der auch abseits der Bühne funktioniert – in mancher Hinsicht vielleicht sogar besser.

Totalausfall am Bürosessel

Philipp Jeschecks Inszenierung bleibt stark an den Problemen des postmodernen Lebens – Getriebenheit, Selbstoptimierung, gnadenloser Wettbewerb – orientiert, die der Text im Licht eines persönlichen Totalausfalls verhandelt. Daraus ergeben sich auf einer schwarzen, mit Büromobiliar ausgestatteten Bühne (Angela Karpouzi) auch einige starke, mitunter sogar komische Momente. Das fünfköpfige Ensemble spielt sich virtuos durch die ständig wechselnden Rollen.

Und dennoch: So ganz findet man den Eingang ins Labyrinth eines fortschreitenden Realitätsverlustes nicht. Im Literaturhaus am Inn liest Kraxner am 2. Dezember aus ihrem Stück. Online, versteht sich. (Ivona Jelcic, 27.11.2020)