Nach zwei Tagen Verhandlung im Landesgericht für Strafsachen Wien folgte im Fall des Todessturzes eines berauschten Anwalts ein nicht rechtkräftiger Freispruch.

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Wien – Der Sachverständige ist sich ziemlich sicher: Der Tod von Peter K. am 14. August 2018 war kein Suizid, kein Mord, sondern ein Unfall. Der 35-jährige erfolgreiche Anwalt stürzte kurz vor Mitternacht aus seiner Dachterrassenwohnung im 5. Stock in den Tod – nachdem er rund zwei Stunden davor gemeinsam mit seinem wegen "Imstichlassens eines Verletzten" angeklagten Berufskollegen Z. LSD genommen hatte.

Am zweiten Verhandlungstag präsentiert der eigentlich für die Simulation nach Kfz-Unfällen zuständige Sachverständige sein Gutachten. Nachdem der Vorfallsort mittels Laserscanner digitalisiert und in ein 3D-Modell umgewandelt worden war, ließ er in über 50 Versuchen den virtuellen K. von der Dachterrasse abstürzen. Sein Befund: Das Opfer muss mit dem Rücken zum Abgrund an der Ecke auf dem Geländer gesessen und nach hinten weggekippt sein. Er wurde nicht gestoßen und sprang nicht. Die Untersuchungen ergaben auch, dass das Geländer in dieser Ecke leicht abgesenkt war – für den Experten ein Indiz, dass dort öfter jemand gesessen sei.

Gefährlicher erster "Trip"

Warum sitzt nun aber dann Z. vor Richter Stefan Renner? Staatsanwältin Caroline Czedik-Eysenberg argumentiert auch in ihrem Schlussplädoyer so: Der 37-jährige, der deutlich mehr Erfahrung mit LSD hatte, habe in seiner Wohnung gemeinsam mit K. zwischen 100 und 200 Mikrogramm des Halluzinogens genommen. Obwohl er wusste, dass sein Freund zwar regelmäßig Marihuana und Kokain konsumierte, aber noch nie einen "Trip" versucht hatte.

Nach der Einnahme fuhr das Duo zu einer Party auf den Cobenzl, wo K. versuchte, mit Besucherinnen anzubandeln. Kurz nachdem er eine Abfuhr erhalten hatte, beschloss K. laut Aussagen des Angeklagten, nach Hause zu fahren. Zuvor nahm er noch ein Beruhigungsmittel, das K. ihm gegeben hatte, um den Rausch besser steuern zu können, ehe er ein Taxi bestieg.

Da er zuvor noch davon gesprochen hatte, er habe sein Mobiltelefon verloren, suchte Z. nach dem Handy – das in Wahrheit ohnehin bei K. war. Zwischen 23.39 und 23.50 rief der Angeklagte dann seinen Freund dreimal an. Laut Z., um sich nach seinem Befinden zu erkundigen. K. sagte beim ersten Telefonat, er sitze auf der Couch und rauche, Z. solle "die Mädchen" und einen Bekannten mitnehmen, um in der Dachterrassenwohnung weiterzufeiern.

Erinnerungslücken bei letztem Telefonat

Weniger Minuten später folgte das zweite Gespräch, in dem K. davon sprach, seine Ex-Verlobte anzurufen, was Z. – selbst im LSD-Rausch – nicht für die glänzendste Idee hielt. An den Inhalt des dritten Gesprächs kann sich der Angeklagte nicht mehr erinnern, behauptet er, K. dürfte aber genervt gewesen sein und habe möglicherweise aufgelegt. Minuten später war K. tot.

Für die Anklägerin ist klar, dass Z. sich besser um seinen Freund hätte kümmern müssen. Aufgrund seiner Erfahrung mit dem Rauschmittel hätte er ihn nicht allein lassen dürfen. Da auch der toxikologische Sachverständige feststellte, dass bei der eingenommenen Dosis von "traumartiger Verzerrung der Wahrnehmung" ausgegangen werden müsse, gebe es einen Kausalzusammenhang zwischen Droge und Absturz.

Allerdings muss der Toxikologe seine schriftliche Expertise während der Verhandlung in zwei wesentlichen Punkten korrigieren. Schrieb er zunächst über die Wirkung, sie habe "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer traumartigen Verzerrung der Wahrnehmung, Depressionen und Suizidgedanken" geführt, ändert er das nun auf "Verzerrung der Wahrnehmung, inklusive Depressionen und Suizidgedanken".

Sachverständiger schwächt Einschätzung ab

Und auch bei der Frage, ob für den Angeklagten erkennbar gewesen sei, was die Droge bei K.s Verhalten bewirkt habe, schwächt der Sachverständige seine Einschätzung ab. War er ursprünglich davon überzeugt, Z. habe das "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" bemerken müssen, spricht er nun "von hoher Wahrscheinlichkeit".

Für Verteidiger Zaid Rauf brechen aber die "vier Säulen" der Anklage weg, wie er in seinen Schlussworten darlegt. Denn einerseits ist im Strafantrag davon die Schreibe, K. sei "labil wegen der Trennung von seiner Verlobten gewesen". Praktisch alle Zeugen hätten aber bestätigt, dass dem nicht so gewesen sei.

Ebenso gebe es keinen Anhaltspunkt, dass K. "Zeit seines Lebens an massiver Höhenangst" gelitten habe, wie die Staatsanwaltschaft ausgeführt hatte. Auch aufgrund der Computersimulationen sei es durchaus plausibel, dass K. sich auch ohne LSD auf das Geländer gesetzt habe.

Zeugen entlasten Angeklagten

Da das "Imstichlassen eines Verletzten" ein Vorsatzdelikt sei, stelle sich auch die Frage, ob der Angeklagte die Hilfsbedürftigkeit seines Freundes überhaupt erkennen konnte und, falls ja, ob er sich Sorgen machen musste. Der Verteidiger verweist wiederum auf Zeugenaussagen: Im Gegensatz zum Ermittlungsverfahren seien K.s Freunde und Bekannte vor dem Richter großteils deutlich zurückgerudert. Alle hätten bestätigt, dass K. nicht beeinträchtigt gewirkt habe und Z. sich nach den Telefonaten keine Sorgen gemacht habe und davon ausgegangen sei, dass sein Freund zu Bett gegangen sei.

Das sieht auch Renner so und spricht Z. frei. Objektiv sei durch den LSD-Rausch, der ja eine Vergiftung ist, eine Gesundheitsschädigung eingetreten. Und objektiv habe Z. es auch unterlassen, bis zum Abklingen des Rausches an der Seite K.s zu bleiben. Laut Judikatur bestehe sogar eine "Nachschaupflicht" – die für Renner aber durch die drei Telefonate erfüllt worden ist.

Da das angeklagte Delikt aber einen Vorsatz verlangt und streng geprüft werden müsse, ob dieser vorliegt, sieht der Richter im Zweifel aber keinen. Denn das gesamte Verhalten lasse darauf schließen, dass Z. dachte, es gäbe keine Probleme. Dass er sich nach dem Tod seines Freundes Vorwürfe machte, spiele da keine Rolle. Da die Staatsanwältin keine Erklärung abgibt, ist das Urteil nicht rechtskräftig.

"Herr Rat, danke schön!", sind die letzten Worte des seit eineinhalb Jahren von der Rechtsanwaltskammer für Strafrechtsdelikte gesperrten Anwalts, ehe er den Saal verlässt. (Michael Möseneder, 26.11.2020)