Die Ex-Nationalratsabgeordnete steht rund um die Uhr unter Polizeischutz. Selbst das Spazierengehen ist nur mit Begleitung und Schutzweste möglich.

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In den vergangenen Jahren war Berîvan Aslan immer wieder mit Morddrohungen konfrontiert: Sei es seitens des sogenannten "Islamischen Staates" über Online-Kanäle, durch anonyme Anrufe oder, in abgeschwächter Form, auch auf physischer Ebene. "Die Hälfte der Legislaturperiode habe ich mit dem Verfassungsschutz verbracht", sagt die ehemalige grüne Nationalratsabgeordnete und neue Wiener Gemeinderätin.

Doch was vor etwa zehn Wochen passierte, ließ auch Aslan den Atem stocken: Ein mutmaßlicher Ex-Agent des türkischen Geheimdienstes marschierte zur Polizei und erzählte dort – offenbar erst nach zuvor erfolglosen Anläufen –, welchen Auftrag er erhalten haben soll – nämlich einen Anschlag auf Aslan, bekannt als Kritikerin des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, auszuführen.

Zuerst hatten diese Informationen wenig Folgen. Der Anruf des Verfassungsschutzes erreichte Aslan, als sie unterwegs war. Anfangs seien ihr keinerlei Pläne mitgeteilt worden, was ihren Personenschutz angehe. Erst als sie selbst bei der Polizei vorstellig wurde, sei ein Plan entwickelt worden, sagt Aslan: Dann erhielt sie Polizeischutz, dieser wurde einige Tage später nochmals verschärft.

Der erst später verstärkte Schutz könnte auch mit weiteren Ermittlungsergebnissen zusammenhängen, die sich erst Tage nach der ersten Einvernahme des mutmaßlichen Ex-Agenten ergeben haben. Das Innenministerium gibt zur Causa keine Auskunft.

In Untersuchungshaft

Wie der mutmaßliche Ex-Agent laut einem Bericht der New York Times bei seiner Einvernahme durch das BVT schilderte, habe er in einem anderen Prozess als Kronzeuge fungiert: So habe er behauptet, dass Metin Topuz, ein türkischer Übersetzer am US-Generalkonsulat in Istanbul, den Prediger Fethullah Gülen bei dem ihm zugeschriebenen Putschversuch 2016 unterstützte. Die Gülen-Bewegung ist in der Türkei als Terrororganisation eingestuft. Zu dieser Falschaussage sei er gezwungen worden.

Der italienische Staatsbürger mit türkischen Wurzeln befindet sich nun in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen militärischen Nachrichtendiensts für einen fremden Staat. Erst kürzlich wurde die U-Haft nochmals um zwei Monate verlängert. Begründet wurde dies unter anderem mit Fluchtgefahr – der Beschuldigte sei eigenen Angaben zufolge im "internationalen Kontext ausgezeichnet vernetzt", heißt es in Unterlagen, die dem STANDARD vorliegen. Er weise weder "Unterstand noch familiäre und sonstige soziale Bindung im Bundesgebiet" auf. Nach Österreich sei er nur gekommen, um hier den türkischen Nachrichtendienst zu unterstützen.

Haftbeschwerde

Er habe nie geplant gehabt, jemanden umzubringen oder zu verletzen, er sei auch an keinen Vorbereitungshandlungen beteiligt gewesen, sagen die Anwälte des Beschuldigten, Veronika Ujvarosi und Daniel Mozga. Diese Aussagen würden auch nicht von jenen in seiner Einvernahme abweichen: Ihr Mandant habe sich nicht "gestellt", sondern sei "ohne Veranlassung zu den Behörden gegangen, um Informationen zu teilen."

Dass er noch immer in U-Haft sitzt, sei nicht nachvollziehbar. Ujvarosi und Mozga bereiten eine Haftbeschwerde vor. Die Argumentation: Die soziale Integration ihres Mandanten sei bei der Prüfung der Fluchtgefahr nicht ausreichend gewürdigt worden, da er über eine Wohnmöglichkeit und eine Einstellungszusage verfüge. Dies sei urkundlich bescheinigt worden. Selbst wenn dies für das Gericht als nicht glaubwürdig angesehen werde, bedürfe dies "einer gesonderten Begründung".

Gegen wen wird ermittelt?

Die Behörden sehen aber offenbar immer noch Gründe für eine Bedrohung. Zumindest steht Aslan nach wie vor unter strengem Polizeischutz. Sie wird 24 Stunden lang bewacht und verlässt ihre Wohnung im Grunde nur für Sitzungen im Wiener Rathaus. Spazieren gehen ist nur in Begleitung und mit Schutzweste möglich. Ob in dem Zusammenhang auch gegen weitere Personen ermittelt wird, will die Staatsanwaltschaft mit Verweis auf die Tatsache, dass es sich um eine "Verschlusssache" handelt, nicht sagen.

Aber auch andere sollen ins Visier des türkischen Geheimdienstes gerückt sein. Die Rechercheplattform "ZackZack" berichtete als Erste darüber, weil auch ihr Gründer Peter Pilz betroffen gewesen sei. Neben dem Ex-Grünen sollen dies auch Efgani Dönmez (ehemals bei den Grünen und der ÖVP) und der EU-Abgeordnete der SPÖ, Andreas Schieder, sein. Eines haben alle gemeinsam: Sie stehen dem Regime von Erdoğan und seinen Anhängern in Österreich äußert kritisch gegenüber. Und sie tauchen in einem Bericht der Erdoğan-nahen Seta-Stiftung auf, deren Hauptsitz sich in Ankara befindet. Darin wird manchen mehr und manchen weniger eine gewisse Unterstützung der Arbeiterpartei Kurdistans, kurz PKK, attestiert, mit der Erdoğan auf Kriegsfuß steht.

Der Schutz ist aber nicht für alle genannten Politiker gleich streng. Bei Schieder etwa meldete sich tagelang niemand vom Verfassungsschutz. So richtig fühlte man sich auch nicht zuständig, weil der Europaabgeordnete doch in Brüssel sei. Eigentlich lebt Schieder aber in Wien. Gefährdet sei er nicht, heißt es.

Probleme ignoriert

Das Problem mit islamistischen Extremisten, auch aus dem Umfeld Türkei-naher Vereine, sei zu lange ignoriert worden, sagt Aslan. Ausländische Einflüsse müssten gestoppt werden, Moscheeverbände in die Pflicht genommen werden. Innenminister Karl Nehammer sagte zur Causa: "Wenn Erdoğan und die Türkei versuchen, ein systematisches Spitzelnetzwerk in Österreich zu etablieren, dann muss das Konsequenzen haben."

Doch Aslan fordert "konkrete diplomatische Schritte. Politische Strategien wie etwa der Flüchtlingsdeal dürfen nicht über Menschenleben stehen. Es kann nicht sein, dass rechtsextreme Kreise aus der Türkei uns das Gefühl geben, wir seien nirgendwo mehr sicher", sagt sie. Nur mit einer klaren Haltung gegenüber Erdoğan würden sich Kritikerinnen und Kritiker wie sie wieder sicher fühlen können. "Derartige Fälle werden verharmlost. Das halte ich für gefährlich. Es reicht nicht zu sagen: Ah, die Aslan lebt eh noch."

Gerade unter der türkis-blauen Regierung habe sich der Extremismus weiter ausgebreitet. So sei etwa durch die Einladung des türkischen Außenministers durch die ehemalige Außenministerin Karin Kneissl Erdoğans Politik legitimiert worden. Zudem würde Erdoğan von einer Politik profitieren, die türkischstämmigen Österreichern das Gefühl gebe, nicht dazuzugehören.

Auch bei den islamistischen und türkisch-nationalistischen Ausschreitungen im Sommer in Favoriten soll es "klare Indikatoren" für die Beteiligung des türkischen Geheimdienstes geben, behauptete Nehammer bereits vor Monaten. Ob und welche Ermittlungsfortschritte oder -ergebnisse die danach eigens eingerichtete Sonderkommission bereits machte, könne man, "aus rechtlichen Gründen" nicht beantworten, heißt es seitens des Innenministeriums. (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, 28.11.2020)