Maradona auf einem seiner Höhepunkte: Der WM-Titel mit Argentinien 1986.

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Maradona, Dios der Iglesia Maradoniana, stieg als Fan zum Fremdschämen zur WM 2018 in Russland herab.

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Einer jener vielen Menschen, die sich am Mittwoch in Buenos Aires zu einer Trauermasse versammelt hatten, hat es auf den Punkt gebracht. Fast ungeduldig sprach er in die hingehaltenen Mikrofone der zweifelnd nachfragenden Journalisten: "Er war Gott! Das ist doch einfach zu verstehen!"

Ja, das ist es. Diego Armando Maradona Franco, der kleine, bullige Argentinier, wirkte ja tatsächlich Wunder. Er heilte kranke, verwundete Städte, verzauberte Millionen, verwandelte zu seinen Hochzeiten schlichte Hoffnungen in reines Glück. Die Zeit und Die Welt –beides der Nüchternheit verpflichtete Organe – titelten also naheliegenderweise: "Gott ist tot". Diesen Titel hatte der STANDARD auch im Kopf, verzichtet dann darauf. Aber nicht, weil er nicht stimmen würde.

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Die WM 1986

Nichts, was man sich seit der Todeskunde erzählt über diesen Maradona, kam ohne numinose Vokabel aus. Und das nicht nur wegen der "Hand Gottes", mit dessen Hilfe, so Maradona, "Maradonas Kopf" das 1:0 gegen England im WM-Viertelfinale 1986 erzielt hat.

Drei Minuten später startete Maradona in der englischen Platzhälfte einen Solosprint zum 2:0. Mit 2:1 stieg Argentinien, Heim-Weltmeister 1978, ins Halbfinale auf. Über Belgien (2:0, Tore: Mardona) kamen die Albiceleste ins Finale, wo Deutschland 3:2 geschlagen wurde. Maradona blieb da ohne Tor. Aber die mexikanische WM wurde zu der des damals 26-Jährigen, an dem Gott – um es jetzt so zu sagen – ganz offenkundig Wohlgefallen gefunden hatte.

Andere Maßstäbe

Es wäre müßig, all die Erfolge, Misserfolge, Wohltaten und Untaten, Großherzigkeiten und Kindsköpfigkeiten des Argentiniers herunterzubeten. Das ist längst passiert und wird weiterhin passieren von Jahrestag zu Jahretag. Aber solches ist nicht der Maßstab, an dem der 1,65 Meter kleine Mann zu messen wäre.

Teamchef Maradona mit Spieler Messi.
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Erfolgreich waren und sind andere auch. Auch Lionel Messi ist ein Zauberer. In Barcelona, wo Maradona von 1982 bis 1984 gastiert hat, sogar weit erfolgreicher. Gleichwohl wäre es beinahe blasphemisch, Messi und Maradona vergleichen zu wollen. Ja: Auch Messi ist verwachsen mit dem Ball, der ihm wie ein Organ ist, das er von sich lösen und wieder herholen kann nach Gutdünken.

Bei Messi wird man später zu Recht ins Schwärmen geraten über seine ballesterischen Fähigkeiten, die ihn zu einem der Allzeitbesten gemacht haben. Mit Maradona – ein armes Kind aus der Vorstadt von Buenos Aires – kann er sich aber auch diesbezüglich nicht messen. Maradona war, das bestätigen alle, die unter ihm dienen durften oder gegen ihn antreten mussten, ein umfassend Begabter. Als Zehner war er der Einfädler, und wenn sich das Nadelöhr nicht auftun wollte, schuf er es mit Soli, Sprints in die leere Gasse oder, wenn nichts mehr half, mit Hebern oder Granaten. Messi war in seinen besten Tagen der jeweils Beste seines Teams. Maradona war stets das Team.

Was Maradona zeit seines oft wirklich patscherten Lebens von allen anderen ballesterischen Lichtgestalten unterschied, war aber dieses Leuchten in den Augen, das mit "Freude" nur unzulänglich umschrieben werden kann. Aber Freude, klar, war es auch. Er konnte nichts anderes. Er wollte nichts anderes. Er tat nichts anderes. Solange er tat, was er konnte und wollte – Fußball spielen –, war er bezaubernd kindlich. Danach nur bedauerlich kindisch.

Rückschläge

In Neapel, der geschundenen Stadt, der er nicht nur mit zwei Titeln und dem Uefa-Pokal Stolz verlieh, verlor er den seinen an die Mafia mit all ihren Huren und Drogen. Er verfiel allmählich, blühte freilich immer noch auf, wenn er einlief. Seinen Bruder Hugo schickte er 1990 nach Wien zu Rapid. Als das argentinische Fernsehen den ganz jungen Hugo einst über Diego befragte, erklärte der: "Er kommt vom Mars." Aber damals konnte er das ja noch nicht wissen. Nur ahnen. Man schrieb 1976, da debütierte Diego bei den Argentinos Juniors in der Ersten. Zwar verlor er 0:1 gegen Córdoba. Aber er hatte endgültig Blut geleckt: "An diesem Tag habe ich den Himmel berührt."

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Seine aktive Karriere endete bei der WM 1994 schmählich. Als Dopingsünder musste er die WM in den USA verlassen. Sein letztes Spiel spielte er 1997, daheim im Stadion seiner Boca Juniors. Danach sagte er: "Wenn jemand Irrwege geht, kann der Fußball nichts dafür. Ich habe Fehler gemacht und dafür gezahlt. Aber das kann dem Fußball nichts anhaben."

Das konnte nicht einmal seine quälende Entwicklung hin zur Witzfigur. Denn der späte Maradona – wir erinnern uns fremdbeschämt an seine Auftritte während der Weltmeisterschaft in Russland 2018 – war wenig anderes.

Der Herrgott mag seinen linken Fuß berührt haben und sein Herz auch. Aber seinen Kopf nicht. Als Trainer hat er sich nicht besonders verdient gemacht. Da war er stets zu sehr bei sich.

Die Trainerlegende César Luis Menotti, der den 17-Jährigen nicht aufgestellt hat bei der Heim-WM 1978, weil er ihn noch für zu fragil für die "Hosianna" rufende Welt hielt, meinte nun, resümierend: "Er hielt sich für unverwundbar, wie ein Gott." Das war er dann doch nicht. Nur ein Star. Aber doch: was für einer! (Wolfgang Weisgram, 27.11.2020)