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Leistungskontrolle am Fließband für das Homeoffice? Geht nicht.

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STANDARD: Herr Beran, woran hapert es nach den Monaten des neuen Heimarbeitens? Es wird ja überall vieles ausprobiert ...

Beran: Wir brauchen neue Zugänge zum Verständnis, was Menschen an Orten, die eigentlich ihr Erholungsraum sind, nämlich ihre Wohnungen, wirklich dauerhaft leisten können. Die durch Homeoffice entstandene Vermischung von Privat und Arbeit wird nicht so einfach zu regeln sein, wie das technische Denken sich das vorstellt. Wir legen hier die Schienen in eine gesundheitlich und leistungsbezogen schwierige Zukunft. Die ständige Vermischung von Leistungsraum und Erholungsraum bewirkt etwas im Gehirn bei allen und ohne Ausnahme, selbst wenn es "nur" der weitere Verlust von Erholungsfähigkeit ist.

STANDARD: Was können, was sollen Organisationen tun?

Beran: Sich mit den arbeitenden Menschen zusammensetzen und die Neuordnung von Arbeit, Leistung und Erholung gemeinsam beginnen. Ich sehe dabei auch den Staat in der Pflicht, die arbeitsrechtlichen Bedingungen anzupassen – und zwar mit dem Wissen über die wirklichen Zustände in den Hirnen und Organismen der Menschen. Wir kriegen sonst auch volkswirtschaftliche Probleme, wenn die jetzt permanent unter steigendem Verwirrungsdruck Arbeitenden älter geworden sind. Verwirrungen im Organismus haben fatale Auswirkungen auf Menschen, das ist in Studien zur Schichtarbeit gut dokumentiert. Da geht es auch, aber nicht nur um die chronobiologische Verwirrung im Organismus.

Für das geplante Homeoffice-Gesetz müssen wissenschaftliche Erkenntnisse einbezogen werden, sagt Arbeitspsychologe Johann Beran.
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STANDARD: Schlafprobleme werden zum Massenphänomen?

Beran: Bereits jetzt hat mehr als ein Drittel der Bevölkerung Schlafprobleme. Eine nicht ausgeschlafene Bevölkerung ist eine leistungsgeminderte und eine erkrankende. Diskussionen über bessere Kontrollsysteme im Homeoffice gehen da jetzt in die falsche Richtung. Da muss gegengesteuert werden – mehr vom Gleichen ist nicht nur bei der Gabe von Giften völliger Blödsinn, es erhöht nur den Schweregrad der Vergiftung.

STANDARD: Ein guter Rat an die Regierung, die am Homeoffice-Gesetz für 2021 bastelt?

Beran: Ja, das ist wieder nur mehr vom Gleichen. Die Galeere kriegt jetzt also virtuelle Filialen, die Trommler und Einpeitscher werden über Web zugeschaltet, der Erholungsraum ist zum Leistungsraum geworden, die Ruder sollen gefälligst anwachsen – am besten rund um die Uhr. Diese Roboterisierungsversuche am Menschen machen selbigen nur kaputt.

STANDARD: Der Fairness halber – auch die Erschöpfung im Homeoffice ist Teil der öffentlichen Diskussion ...

Beran: Ja, und zu Recht, denn die Erschöpfung durch permanente Bildschirmarbeit, durch den Austausch des analogen Sozial- und Beziehungslebens durch ein digitales, geht Hand in Hand mit Isolationsmüdigkeit. Das Wissen, wie gesund Arbeiten geht, ist kaum vorhanden, viele Unternehmen wissen auch nicht, wie Leistung geht. Der Schutz der Wirtschaft ist ohne den Schutz der Gesundheit eine fatale Illusion. Umdenken und gemeinsames Neuentwickeln der Organisationen inklusive Wissenschaft sind jetzt notwendig!

STANDARD: Die Leistungsfrage wird sich aber im Konzert der Entlohnungsfrage stellen ...

Beran: Wir brauchen eine Diskussion darüber, wie wir von quantitativen Kontrollmethoden – Stichwort Sekundenzählen – zu qualitativen Methoden finden können. Das geht nicht einfach von oben nach unten, da muss schon die gesamte Organisation an den Tisch und die vielbeschworene neue Normalität auch erzeugen, statt zu warten, dass etwas vom Himmel fällt oder angeordnet wird. Zu Hause ist gleichwertige Leistung wie im Büro längerfristig nicht möglich. (kbau, 1.12.2020)