Melisa Erkurt, "Generation Haram. Warum Schule lernen muss, allen eine Stimme zu geben". 20,60 Euro / 192 Seiten. Zsolnay, Wien 2020

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Am wenigsten überzeugt bei Melisa Erkurts Buch Generation Haram der Haupttitel. Zwar hat die österreichische Journalistin bosnischer Herkunft damit die Überschrift jenes Biber-Artikels über die Verbotskultur muslimischer Jugendliche übernommen, mit dem sie im Dezember 2016 erstmals Aufmerksamkeit erregt hatte.

Aber dieses Thema kommt in ihrem in diesem Sommer erschienenen Buch nur am Rande vor. Da ist der Untertitel "Warum Schule lernen muss, allen eine Stimme zu geben" deutlich aussagekräftiger und verweist auf das, was diesen Band so lesenswert macht.

Erkurt erzählt zuerst ihre eigene Lebensgeschichte und vermittelt dabei mit einfachen, aber wirkungsvollen Stilmitteln, was es bedeutet, als Flüchtlingskind in Österreich aufzuwachsen – die Ängste, die Zurücksetzungen und die Unsicherheiten, die auch durch einen beruflichen Erfolg wie den ihren nicht überwunden werden können.

Alltag in Brennpunktschulen

Ihre nüchternen Schilderungen vom Alltag in Brennpunktschulen erweist sich als treffende Kritik des österreichischen Bildungssystems, das mit dem Phänomen einer Einwanderungsgesellschaft einfach nicht zurande kommt und sich dieser Herausforderung auch viel zu wenig stellt.

Die stärksten Passagen aber sind jene, wo sie das Leid von Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund beschreibt, die täglich offene oder versteckte Diskriminierung erfahren, und sie erzählen lässt. Erkurt verbindet eine präzise Beobachtungsgabe mit viel Empathie und einem starken Urteilsvermögen.

Sie bietet abgesehen von der bekannten Forderung nach einem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr und einer verschränkten Ganztagsschule keine Patentrezepte für eine Bildungsreform, aber empfiehlt einen anderen Zugang zu den Problemen, als er sonst zu hören ist: Wir sollten weniger über die Verantwortung der Eltern reden, die oft gar nicht in der Lage sind, ihren Kindern zu helfen, oder über problematische religiöse Einflüsse, sondern uns um die Jugendlichen selbst kümmern – ihnen mehr Unterstützung und Respekt geben. Wer Erkurts Buch gelesen hat, der weiß: Es zahlt sich für alle aus. (Eric Frey, 3.12.2020)