Francesca Melandri, "Eva schläft". Deutsch von Bruno Genzler. 16,30 Euro / 434 Seiten. Wagenbach, 2018

Cover: Wagenbach

Das Schlafen spielt in diesem Buch nur eine scheinbar beiläufige Rolle. In Wahrheit führt es uns zum Kern der Handlung: Richtig gut einschlafen, durchschlafen, uns im Schlaf erholen können wir nur dort, wo wir uns zu Hause und geborgen fühlen – und das hat wenig mit Wohnungen und Häusern und alles mit Menschen zu tun.

Nicht nur für Eva, die sich in diesem Roman in einer schier ewig dauernden Zugfahrt von Südtirol aus nach Süditalien aufmacht, um jenen Mann noch einmal zu sehen, der ihrer Kindheit diese Geborgenheit gab. "Wehe den Töchtern liebloser Väter: Ihr Schicksal ist es, ungeliebt zu bleiben", heißt es da.

Eva schläft, der erste Band der Trilogie der Väter der italienischen Autorin Francesca Melandri, ist vieles gleichzeitig: eine schlicht-schöne Hommage an den guten Vater, eine nüchtern-akkurate Sezierung des schlechten, ein Frauengenerationen- und ein zeithistorischer Roman.

Unbestechlicher Blick

Die Südtirolerin Eva, attraktiv, weltgewandt, weitgereist, sexuell selbstbestimmt und unabhängig, ringt zeit ihres bisherigen Lebens um das Verhältnis zu ihrer Mutter Gerda, die an der Lieblosigkeit ihres Vaters, Hermann, nicht zerbrach, sondern stärker wurde – aber auch härter.

Melandri erzählt mit unbestechlichem Blick Gerdas Lebensweg. Die Geschichte einer emanzipierten Frau und fantastischen Köchin inmitten einer viel zu engen, engstirnigen Gesellschaft ist geprägt von der Ablehnung, die sie durch ihren gefühlskalten Vater Hermann erfährt.

Anhand dieser problembehafteten Vaterfigur wiederum erfährt man die Verwerfungen, Brüche und Traumata der jüngeren Geschichte von Südtirol, Alto Adige.

Die Katastrophe der beiden Weltkriege, zögerliche, eitle und feige Politiker, die Grausamkeiten des italienischen Faschismus, die arrogante Verbohrtheit von Generälen und Carabinieri-Subalternen, verstörende Armut, der Terror der Südtirol-Bumser und ein Wirtschaftswunder namens Wintertourismus: All das prägt und zeichnet viele Generationen von Südtirolern – so auch Gerdas und Evas Familie.

Francesca Melandri feiert in Eva schläft gleich mehrere Versöhnungen: jene von Eva mit ihrer Kindheit, jene von Eva mit Gerda, ihrer Mutter – und nicht zuletzt jene der Südtiroler mit dem einst so verhassten Italien.

Am Ende des Romans freut man sich: Es gibt einen Ausweg aus Hass und Ablehnung. Eva und Gerda zeigen ihn, für Alto Adige / Südtirol. Klares Lieblingsbuch. (Petra Stuiber, 8.12.2020)