Robert Seethaler, "Der letzte Satz". 19,60 Euro / 126 Seiten. Hanser-Verlag, Berlin 2020

Cover: Hanser

Am besten genießt man es wohl mit dem Adagio aus Mahlers Unvollendeter, der zehnten Symphonie in Fis-Dur, das kleine Büchlein Der letzte Satz. Wobei, was heißt kleines Büchlein, klein ist Robert Seethalers Werk nur in Bezug auf die Seitenanzahl (126), groß ist der schlichte, dichte Stil, mit dem sich der Wiener Autor direttissimo ins Herz einschreibt.

Im Letzten Satz nimmt er die Leser mit aufs hohe Meer, wo Gustav Mahler auf der Amerika nach seinem letzten Konzert in New York todkrank heimfährt, zurück in die Alte Welt. Mahlers letzte Reise: Wenige Wochen nach seiner Ankunft in Wien, am 18. Mai 1911, stirbt der Komponist und von den Wienern so ungeliebte und unverstandene frühere Hofoperndirektor.

Über Einsamkeit

Seethaler entführt den Leser auf eine Reise in der Reise, jene in Mahlers Vergangenheit. Auf dem Deck der Amerika und umsorgt von einem Schiffsjungen, der ihm Tee und Decken bringt und ihm sein Ohr und sein Interesse leiht, lässt der Komponist seinen Gedanken freien Lauf.

Es geht, natürlich, um das 1907 mit nur vier Jahren verstorbene Töchterchen Maria, es geht, natürlich, um Liebe und deren Verlust, um seine Frau Alma also, die unten in der Kabine sitzt. Es geht um Mahlers Besuch bei Sigmund Freud, "was hatte er dem Professor damals erzählt?", versucht sich Mahler zu erinnern.

Er habe über Einsamkeit mit ihm gesprochen, "aber warum Einsamkeit"? Allein sei er sein halbes Leben lang gewesen, "doch einsam hatte er sich nie gefühlt". Nicht einmal jetzt, "da ein Teil von Almas Seele sich in Richtung Baumeister verflüchtigt hatte": Walter Gropius, der Geliebte seiner Frau, ist trotz seiner Abwesenheit anwesend.

Und ja, natürlich, es geht um Musik. Der Schiffsjunge – ist er der Einzige, der Mahler zuhört, ihm Gutes will und auf ihn eingeht, ist er der Hauptdarsteller im Letzten Satz? – fragt den berühmten Passagier, was es mit der Musik auf sich habe, doch über Musik könne man nicht sprechen, die müsse man hören, belehrt in Mahler.

Vom Schiffsjungen, der sich inzwischen als Dockarbeiter verdingt, erfahren wir denn auch vom Tod Mahlers, dessen Musik er sich "als etwas Großes, Unberechenbares" vorstelle. Ein wunderschön trauriges Buch, das aber eigentlich gut ausgeht. Lesen Sie den letzten Satz genau! (Renate Graber, 10.12.2020)