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Der Erste, der das Flugzeug entdeckte, war Avi Scharf. Der Journalist und passionierte Flug-Tracker spürte auf der Flugradarkarte den Businessflieger auf, der Sonntagabend auf dem Weg von Israel nach Saudi-Arabien war. "ABSOLUT seltener Direktflug zur neuen saudischen Megacity Neom an der Rotmeerküste", twitterte Scharf – und bemerkte, dass es sich bei der Maschine um eines der Lieblingsflugzeugtypen von Israels Premier Benjamin Netanjahu handle. Bald drang es an die Öffentlichkeit: Es waren Netanjahu und Geheimdienstchef Yossi Cohen, die im Flieger in die Rotmeer-Küstenstadt Neom saßen. Israel und Saudi-Arabien sind verfeindete Staaten.

Es war zwar nicht das erste Mal, dass sich Netanjahu im Königreich blicken ließ, aber diesmal wurde es geleakt. Und das war wohl kein Zufall. Die Regierung bestätigte zwar nicht, dass der Besuch stattfand, dementierte es aber auch nicht – und die Militärzensur gab der Presse grünes Licht zur Berichterstattung. Netanjahus Haus- und Hofpostille, die Gratiszeitung Israel Hayom, titelte groß: "Israelischer Premierminister in Saudi-Arabien" – und erklärte, dass an jenem Tag Geschichte geschrieben wurde. Die Zeitung tat das wohl nicht ohne Gutdünken Netanjahus. Aus den Medien erfuhr übrigens auch der Armeechef von dem sicherheitspolitisch brisanten Besuch. Ihm erging es nicht besser als dem Außen- und dem Verteidigungsminister, beide waren ebenfalls nicht eingeweiht.

Keine Quarantäne mehr

Wie es der Zufall will, wurde Saudi-Arabien zeitgleich auf die Liste jener Reiseziele gesetzt, aus denen bei der Rückkehr nach Israel keine Quarantänepflicht gilt – obwohl israelischen Normalbürgern das Reisen nach Saudi-Arabien ohnehin nicht möglich ist. Der Schritt war recht unverblümt auf Netanjahu zugeschnitten.

Die Gespräche am Roten Meer brachten dem Vernehmen nach kaum Fortschritte in wichtigen Fragen. Es ging aber wohl eher darum, Signale zu senden. Nach Washington, um den künftigen Präsidenten Joe Biden zu warnen, dass Israel und Saudi-Arabien alles tun werden, um ihre Communities in den USA zu mobilisieren – damit der neue Präsident nur ja nicht von dem Anti-Iran-Kurs Donald Trumps abrücke. Netanjahu sendete auch ein Signal nach Hause: Die Fotos sollten ihn einmal mehr als Friedensbringer im Nahen Osten darstellen. Wahlkampfmunition für den Fall, dass sich das Parlament bald auflösen könnte.

Ehekrise

Und dieser Fall wird mit jedem Tag wahrscheinlicher. Zwischen Netanjahu und seinem Koalitionspartner Benny Gantz von der Mitte-links-Partei Blau-Weiß kriselt es zwar seit Anbeginn, nun steht aber auch der Scheidungsanwalt im Haus. Der heißt Arye Deri, ist Chef der ultraorthodoxen Shas-Partei und selbst Regierungsmitglied. Mit den Ultraorthodoxen steht und fällt jede israelische Regierung. Und wenn es nach Deri geht, fällt sie bald. Es gebe keine Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit, erklärte Deri am Montag.

Deri gibt Gantz die Schuld am Krach. Der Vizepremier und Verteidigungsminister hatte am Sonntag erklärt, er werde die sogenannte U-Boot-Affäre untersuchen lassen, in der Netanjahu die Fäden zog. Netanjahu hatte 2016 mit Deutschland eine Lieferung von U-Booten des Thyssenkrupp-Konzerns ausgedeichselt – hinter dem Rücken seines damaligen Verteidigungsministers. Der Verdacht auf Bestechung und Geldwäsche steht im Raum. Gegen mehrere Personen aus dem Umfeld Netanjahus wurde deshalb Anklage erhoben, nicht aber gegen den Premierminister. Seine Rolle in der Causa sei zwar dubios, erklärten die Staatsanwälte, aber nicht anklagereif.

Konsequente Forderung

Der Opposition ließ die Causa dennoch keine Ruhe. Sie wiederholt mantraartig ihre Forderung nach einem parlamentarischen U-Ausschuss, und tat das schon, als Benny Gantz Oppositionsführer war. In der Regierung änderte er seine Linie, seine Partei verweigerte Anträgen auf einen U-Ausschuss die Zustimmung. Nun richtet er selbst eine Untersuchungskommission ein, lässt aber nicht das Parlament seine Arbeit machen, sondern sein Ministerium. Das Gremium soll vier Monate lang Licht in die Causa bringen – mit einem Fokus auf Netanjahus Rolle in dem Deal. Und was dabei herauskommt, soll trotz der heiklen, sicherheitsrelevanten Informationen zum allergrößten Teil öffentlich zugänglich sein, verspricht Gantz – im Sinne der Transparenz.

Derselbe Gantz, der mit Intransparenz weniger Probleme hat, wenn es darum geht, Regierungsprotokolle zur Verschlusssache zu erklären, hofft hier wohl auf die eine oder andere pikante Schlagzeile, die Netanjahu im Wahlkampf schaden könnte.

Netanjahu schäumte. Es sei eine "Schande", wie Gantz die Armee für politische Zwecke missbrauche, sagte er am Montag. Der Koalitionspartner sei gar nicht interessiert an ernsthafter Regierungsarbeit, er lege alles auf Neuwahlen an.

Dass er an einen Koalitionsbruch denke, stritt Gantz erst gar nicht ab. Er gab aber Netanjahu die Schuld dafür. Der weigert sich seit Monaten, ein Budget für 2021 zu erlassen, obwohl das im Regierungspakt so vereinbart ist.

Starke Rechte

Die Frage ist nun, wer früher das Handtuch wirft. Die Umfragen sehen Netanjahu weiter an erster Stelle, knapp gefolgt von der Rechtsaußenpartei Yamina. Ihr fliegen derzeit in den Umfragen die Herzen der Wähler zu. So verwundert es wenig, dass die Partei am Donnerstag erklärte, sie werde einen Misstrauensantrag von Oppositionsführer Yair Lapid unterstützen.

Wenn Netanjahu sich in strahlender Eintracht mit dem saudischen Kronprinzen zeigte, dann war das ein Signal an die Rechtswähler: Wählt ihr Yamina, bekommt ihr einen diplomatischen Anfänger. Wählt ihr mich, kriegt ihr historische Friedensdeals.

Ob Benny Gantz dem Misstrauensantrag zustimmt, ist offen. Tut er es nicht, sind Neuwahlen nicht vom Tisch. Am 23. Dezember muss die Regierung einen Budgetentwurf vorlegen. Versäumt sie es, löst sich das Parlament, die Knesset, automatisch auf. Und Israel steuert dann auf die vierten Wahlen binnen zwei Jahren zu – in einer Zeit, in der die Israelis vor allem unter Rekordarbeitslosigkeit und Wirtschaftsflaute leiden und die Suppenküchen mit der gestiegenen Zahl der Armen kaum zurechtkommen. Epidemiologen warnen indes schon vor einer dritten Epidemiewelle. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 27.11.2020)