Viele, die vegan werden, ernähren sich plötzlich vollwertiger und abwechslungsreicher.

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Tofu und Pflanzenmilch sind in den Muckibuden angekommen. Zumindest vor der Corona-bedingten Schließung der Fitnesscenter wurde zwischen Spind und Dusche mancherorts darüber gestritten, ob der Verzicht auf Tierisches der Schlüssel zum sportlichen Erfolg sein könnte – oder ob dadurch die hart erarbeiteten Muskeln wieder kleiner werden.

Zu Ernährungswissenschafterin Helen Bauhaus von der Deutschen Sporthochschule Köln kommen Profi- und Hobbysportler, die über Ernährungsfragen sprechen wollen. Sie weiß aus Erfahrung, dass die Ernährung auf pflanzlicher Basis ein immer größeres Thema wird. Erst kurz vor dem STANDARD-Telefonat war ein 16-Jähriger bei ihr, der künftig vegan leben will. Er will also nicht nur auf Fleisch, sondern auch auf Milchprodukte und Eier verzichten. Helen Bauhaus führt das steigende Interesse auf Trends in sozialen Netzwerken, aber auch auf Dokumentationen wie "The Game Changers" auf Netflix zurück.

Damit wurde vor rund zwei Jahren das Thema vegane Ernährung und Sport massentauglich gemacht. In der Dokumentation erzählen Stars wie der Rennfahrer Lewis Hamilton oder der ehemalige Bodybuilder Arnold Schwarzenegger, wie ihre Umstellung auf pflanzliche Ernährung ihre sportlichen Erfolge sogar noch verbessert hat. Berge an Eiern und blutigen Steaks, sind sich die beiden einig, muss man für Muckis nicht mehr verdrücken.

Wenige Studien

Solche Überlegungen kommen auch im Hobbysport an. Grundsätzlich sieht Bauhaus keinen Grund, Athletinnen und Athleten von pflanzlicher Ernährung abzuraten. Wer will, sollte das ausprobieren, sagt die Expertin, denn: "Alles in allem ist es möglich, durch pflanzliche Ernährung an alle Nährstoffe zu gelangen." Mit der Netflix-Dokumentation ist Bauhaus dennoch nicht ganz glücklich: denn anders, als im Film suggeriert, ist die Studienlage zu Sport und veganer Ernährung noch sehr dünn. Eine Metastudie hat zumindest keine Unterschiede zwischen Sportlern, die sich vegetarisch ernähren, und Sportlern, die Fleisch essen, gefunden, was ihre Kraft und ihre Ausdauer angeht.

Auch ob sich durch vegane Ernährung die Regenerationsfähigkeit des Körpers verbessern lässt, ist derzeit noch nicht erforscht. "Ich höre das aber immer wieder", erzählt Bauhaus. Wie sich pflanzliche Ernährung langfristig auf die Leistungsfähigkeit auswirkt, wisse man heute ebenfalls noch nicht.

Interesse an Ernährung

Allerdings beobachtet die Expertin, dass sich viele, die vegan werden, plötzlich generell bewusster mit ihrer Ernährung auseinandersetzen. Das ist gut, denn auch Sportlerinnen und Sportler ernähren sich oft zu fettreich und vitaminarm. Die Leistungsverbesserung, von der Athletinnen und Athleten nicht nur in "The Game Changers" berichten, könnte also auch einfach daran liegen, dass sie mehr drauf achten, was sie essen – und sich dadurch vollwertiger und abwechslungsreicher ernähren.

Helen Bauhaus betont: "Man erfährt in solchen Dokumentationen ja meistens auch nicht, wie sich die Sportlerinnen und Sportler vorher ernährt haben." In manchen Fällen hätte sich die Leistungssteigerung wohl auch durch ein Umstellen von sehr proteinreicher auf eine kohlenhydratbetonte Ernährung eingestellt. Sie passiert beim Vermeiden von tierischen Produkten ganz automatisch, sagt Bauhaus.

Manche schaffen es mit konsequent veganer Ernährung sogar, abzunehmen. Auch das führt Bauhaus auf eine stärkere Auseinandersetzung mit dem Thema zurück. Wer sich pflanzlich ernährt, dabei aber nur vegane Burger und Schokolade isst, wird trotz Verzichts auf Tierisches sicher nicht abnehmen.

Fleisch versus Soja

Was in Fitnessstudios immer für besonders viele Diskussionen sorgt, ist die Frage, ob sich durch rein pflanzliche Proteine Muskeln genauso gut aufbauen lassen wie durch tierisches Eiweiß. Auf den ersten Blick scheint die Antwort eindeutig. Die Verfügbarkeit von pflanzlichen Proteinen ist schlechter als bei tierischen, zeigen Studien. Das bedeutet, dass der Körper diese Proteine schlechter aufnehmen kann.

"Sojaproteine sind eine Ausnahme", betont Bauhaus. Es steckt beispielsweise in Tofu und sei nahezu gleich gut verwertbar wie tierisches Molkeprotein. Inwieweit sich das aber auf den tatsächlichen Muskelaufbau auswirkt, müsse erst untersucht werden.

Ein Blick auf den veganen deutschen Kraftsportler Patrik Baboumian, der in "The Game Changers" ebenfalls einen Auftritt hat und der angeblich stärkste Mann Deutschlands ist, gibt allerdings schon einen Hinweis darauf, dass sich Soja und Muskelaufbau nicht ganz ausschließen.

Hülsenfrüchte und Getreide

Gut zu wissen für vegane Sportlerinnen und Sportler: Es gibt Kombinationen, mit denen sich die Proteinaufnahme verbessert, wie etwa eine Kombination aus Hülsenfrüchten und Getreideprodukten. Die Ernährungsberaterin Martina Schneider sprach in einem STANDARD-Interview zu dem Thema vor kurzem beispielsweise von einem Linsen-Dal als idealer Kombination.

Wichtig sind außerdem essenzielle Omega-3-Fettsäuren, die besonders in Fisch enthalten sind. Ein guter Ersatz sind Macadamianüsse sowie pflanzlichen Öle wie Leinöl, Rapsöl oder ein Mikroalgenöl.

Auch die Versorgung mit Vitamin B12 ist ein wichtiges Thema, weil es ein Mikronährstoff ist, der in tierischen Produkten enthalten ist. Allerdings kann die Zufuhr des lebenswichtigen Vitamins auch über pflanzliche Quellen wie die Spirulina-Alge oder fermentierte Produkte wie nicht erhitztes Sauerkraut aufgewertet werden. "Zu einer Supplementation ist jedoch trotz allem unbedingt zu raten", so Bauhaus.

Auch das Kalzium sollten Veganerinnen und Veganer nicht vergessen. Entgegen der verbreiteten Meinung ist dieses nicht nur in Milch, sondern auch in Gemüse wie Grünkohl, Brokkoli und Mangold enthalten. Bei Verzicht auf Milchprodukte sollte laut Bauhaus aber vor allem auch auf mit Kalzium angereicherte pflanzliche Milchalternativen zurückgegriffen werden.

Eisen wiederum ist in Vollkornprodukten und Hülsenfrüchten enthalten. "Am besten funktioniert die Aufnahme in Kombination mit Vitamin C", rät Bauhaus. Zum Frühstück könnte man also Haferflocken mit Sojamilch essen – und dazu ein Glas frischgepressten Orangensaft trinken. Eine andere Variante: Linsensalat mit Paprika.

Und was essen nach einer anstrengenden Ausdauer-Einheit? Bauhaus empfiehlt Hülsenfrüchte mit Gemüse oder Sojajoghurt mit Haferflocken, dazu Obst als Regenerationsmahlzeit, damit können leere Energiespeicher aufgefüllt werden.

Kontrolle des Blutbildes

Um auf Nummer sicher zu gehen, rät Bauhaus Veganerinnen und Veganern jedenfalls dazu, zweimal pro Jahr ein Blutbild machen zu lassen. So komme man etwaigen Mängeln schnell auf die Schliche. Warnsignale, auf die man außerdem achten sollte, sind laut Bauhaus Ermüdungserscheinungen oder Konzentrationsschwächen. "Beim Sport selbst merkt man das nicht unbedingt", sagt sie. Eine Leistungseinbuße beim Sport sei dann schon ein schwerwiegendes Warnsignal.

Das Fazit: "Wundermittel ist die vegane Ernährung nicht", so Bauhaus. Gut findet sie aber, dass sich dadurch immer mehr Menschen darüber Gedanken machen, wie viel Fleisch und Fisch sie wirklich brauchen. (Franziska Zoidl, 6.12.2020)