Wann die Stadt Wien mit ihren Massentests starten könne, hänge vom Bund ab, sagt Gesundheitsstadtrat Peter Hacker im Interview mit dem STANDARD. Er will am 2. Dezember beginnen und bis 13. Dezember pro Tag 150.000 Wiener testen. Für die Durchführung benötige Wien vom Verteidigungsministerium aber 2.000 bis 2.500 Soldaten. Dort heißt es dazu: Die Planungen seien auf einen späteren Testtermin in der Hauptstadt ausgelegt gewesen. Man werde aber alles tun, um das zu ermöglichen.

Doch wie viele Soldaten ab kommenden Mittwoch tatsächlich die Stadt unterstützen können, ist unklar. Denn es sei "ein Unterschied, 2.000 Soldaten für ein Wochenende bereitzustellen oder 2.000 Soldaten für zwei Wochen durchgehend, wie das Wien plant". Das Startdatum ist also alles andere als fix.

Zudem spricht sich Hacker gegen einen Start der Wintersaison im Dezember aus. "Wir müssen endlich aussprechen: Es wird heuer keine Weihnachtsferien beim Skifahren geben", sagte der SPÖ-Politiker. "Wenn wir auf Halligalli machen, dann ist damit zu rechnen, dass die Zahlen Ende Jänner wieder nach oben schnalzen."

Gesundheitsstadtrat Peter Hacker hält die Massentestung gut für die Emotion: "Viele Leute machen sich Sorgen und wollen einen Test."
Foto: Andy Urban

STANDARD: Ab 2. Dezember soll die Bevölkerung in Wien durchgetestet werden. Sie gaben sich bisher eher kritisch bezüglich der von der Regierung geplanten Massentests. Hat sich das geändert?

Hacker: Wir haben kritisiert, dass wir in die Vorbereitung nicht eingebunden wurden. Die Massentests hat Sebastian Kurz Mitte November angekündigt, die folgenden zehn Tage haben wir fast keine Informationen erhalten. Das Vorhaben ist aber grundsätzlich schon okay: Mich braucht man nicht davon zu überzeugen, dass viel testen schlau ist. Wir testen seit langer Zeit in der Woche rund 49.000 Personen, das ist die halbe Bevölkerung von Bozen.

STANDARD: Zahlen sich Massentests in Wien neben den bestehenden kostenlosen Testmöglichkeiten überhaupt aus?

Hacker: Epidemiologisch, virologisch bringt es wohl wenig. Aber es geht ja nicht nur um die tatsächliche Virusmessung. Es geht auch um die Emotion in der Bevölkerung. Viele Leute machen sich Sorgen und wollen einen Test. Aber derheben muss man das, wenn man das der Bevölkerung verspricht.

STANDARD: In Wien sollen an drei Standorten bis zu 150.000 Personen pro Tag getestet werden. Das macht ein volles Happel-Stadion pro Tag pro Teststandort. Wie wird sichergestellt, dass man sich hier nicht ansteckt?

Hacker: Wir gehen in unsere drei größten Hallen: Stadthalle, Sankt Marx und Messehalle. Und der Bund hat ein Online-Terminsystem angekündigt. Ich gehe nicht davon aus, dass hunderte gleichzeitig dort sind, sondern einige Dutzend pro 15 Minuten.

STANDARD: Diese Online-Plattform gibt es mit Stand jetzt, nur wenige Tage vor dem geplanten Start der Massentests in Wien, noch nicht. Bis wann wird das ermöglicht?

Hacker: Mein Informationsstand ist, dass es eine Arbeitsgruppe im Bundeskanzleramt gibt, die sich mit der IT-Lösung beschäftigt. Die Aussage des Bundesheeres dazu ist: Es wird an dieser Plattform gearbeitet. Ich gehe davon aus, dass das rechtzeitig fertig ist. Immerhin starten auch Tirol und Vorarlberg in dieser Woche.

STANDARD: Kanzler Kurz hat die Massentests für die Bevölkerung aber erst für 19. und 20. Dezember angekündigt.

Hacker: Das wäre schlecht. Dann würde das heißen, das Heer hätte ein Organisationsproblem.

STANDARD: Wieso wollen Sie bereits am 2. Dezember starten?

"Wir müssen am 13. Dezember fertig sein, damit sich keine Quarantäne über Weihnachten ergibt."

Hacker: Die Vorarlberger haben als Erstes gesagt, dass sie es nicht schlau finden, wenn am 19. und 20. Dezember getestet wird. Dann wären positiv Getestete über Weihnachten in Quarantäne. Das wird die Bevölkerung nicht gut finden. Dieser Argumentation haben sich andere Bundesländer, auch wir, angeschlossen. Das heißt, wir müssen am 13. Dezember fertig sein, damit sich keine Quarantäne über Weihnachten ergibt. Und für mehr als eine Million Tests haben wir zwölf Tage Vollbetrieb in 300 Teststraßen in drei Hallen errechnet.

STANDARD: Wie viele Mitarbeiter braucht es, um das umzusetzen?

Hacker: Wir brauchen minimal 2.000, maximal 2.500 Soldaten pro Tag, die die gesamte Organisation des Screening-Tests machen.

STANDARD: Sind die zugesagt?

Hacker: Im Ministerratsbeschluss steht wörtlich: "Insgesamt wird das Bundesheer mit mehreren tausend Soldaten die Abwicklung der Massentests unterstützen." Unser Job ist nur die gesundheitsbehördliche Abarbeitung derer, die da einen positiven Antigen-Test liefern. Vom Rest gehe ich davon aus, dass das vom Bund organisiert wird.

STANDARD: Bis jetzt ist also noch nicht klar, dass am 2. Dezember bis zu 2.500 Soldaten in den Wiener Teststraßen arbeiten werden?

"Unser Teil ist geplant. Wir sind bereit, das ab 2. Dezember zustande zu bringen. Wenn der Bund sagt, dass er das nicht schafft, müssen wir drüber reden."

Hacker: Unser Teil ist geplant. Wir sind bereit, das ab 2. Dezember zustande zu bringen. Wenn der Bund sagt, dass er das nicht schafft, müssen wir drüber reden. Natürlich kann nach hinten verschoben werden. Der tatsächliche Starttermin für die Massentests in Wien hängt von der Bundesregierung ab.

STANDARD: Mit wie viel positiven Ergebnissen rechnen Sie bei den Massentests für Wien?

Hacker: Wir rechnen mit 1 bis 1,5 Prozent positiven Tests. Das wären rund 15.000 Positive, wenn eine Million Personen mitmachen. Die unbekannte Größe sind die falsch positiven Tests. Wir müssen jedenfalls danach die PCR-Tests machen, das bringt uns ans Limit.

STANDARD: Wie will man hier das Contact-Tracing von Kontaktpersonen sicherstellen?

Hacker: Im Ministerratsbeschluss steht: "Da es sich um eine Massentestung der gesamten Bevölkerung handelt, kann von Kontaktpersonennachverfolgung abgesehen werden."

STANDARD: Sieht Wien also davon ab?

Hacker: Nein, wir werden, so gut es geht, Contact-Tracing machen. Wir sind das Bundesland mit der höchsten Contact-Tracing-Rate. Wir schaffen derzeit 40 Prozent. Wir sind bei 570 Contact-Tracern und stocken bis Mitte Dezember auf über 700 auf. Wenn es bei den Massentests tausend zusätzliche Positive am Tag sind, ist das machbar.

STANDARD: Machen Massentests Sinn, wenn man auf das Contact-Tracing verzichtet?

Hacker: Ja. Das Contact-Tracing ist in Österreich ein Hobby geworden. Es ist gut, dass es stattfindet. Es ist ein kleines Individual-Massen-Screening. Viel wichtiger ist zunächst, Positive zu finden. Das Wichtigste ist also, viel zu testen. Ich habe es immer abgelehnt, dass wir in weiten Teilen Österreichs faktisch nicht getestet haben. Das sind die Bezirke, die jetzt eine Inzidenz haben, bei der mir angst und bange wird. Es ist ein Wahnsinn. Der Höhepunkt der Sieben-Tage-Inzidenz in Wien lag knapp über 400, wir haben jetzt Bezirke, die sind knapp an den 1.000.

STANDARD: Wo gibt es in Wien noch Handlungsbedarf?

Hacker: An allen Ecken. Wir sind im Krisenmodus. Wir rattern permanent und versuchen an allen Schrauben zu drehen. Wir sind in keinem Bereich, der betroffen ist, im Normalmodus. Was sich in den Spitälern abspielt, ist auf der einen Seite irre, auf der anderen sensationell in Bezug auf das, was unsere Mitarbeiter leisten.

Laut Gesundheitsstadtrat Peter Hacker ist Contact-Tracing "zu einem Hobby geworden" – wichtiger sei ihm, "Positive zu finden".
Foto: Andy Urban

STANDARD: Die Intensivstationen in Wien sind weitgehend voll, medizinisches Personal arbeitet am Limit. Ist in Wien eine Triage ausgeschlossen?

Hacker: Wir haben mit den zehnfachen Intensivbetten vom Sommer geplant. Von 20 Betten auf 200 jetzt. Das haben wir nicht erreicht. Unser Peak waren 162 Intensivpatienten, seit rund einer Woche sind wir langsam rückläufig. Jetzt sind wir auf 136 Patienten. Ich will aber nicht Entspannung ausrufen: Unser Gesundheitssystem fährt die ganze Zeit mit 120 km/h auf einem kleinen Schotterweg. Es ist eine irre Kraftanstrengung.

STANDARD: Nach rund einem Dreivierteljahr Pandemie: Was hat man für das Gesundheitssystem gelernt?

"Die ganze westliche Welt ist davon ausgegangen, dass wir die Zeit der Epidemien hinter uns haben. Diese Einschätzung war eine falsche."

Hacker: Es ist zu früh, das zu sagen. Die ganze westliche Welt ist davon ausgegangen, dass wir die Zeit der Epidemien hinter uns haben. Diese Einschätzung war eine falsche. Wir haben vor zehn Jahren mit der Vogelgrippe das Gefühl gehabt, das könnte eine Epidemie sein, sie ist aber eingeschlafen.

STANDARD: Am 6. Dezember soll der Lockdown enden. Glauben Sie, dass die geplanten Lockerungen kommen?

Hacker: Es steht außer Zweifel, dass nach dem Lockdown der Handel und die Gastronomie wieder aufsperren und die Schulen von Jugendzentrum auf Lernbetrieb umstellen müssen. Das geht aber nur mit den richtigen Sicherheitsbestimmungen.

Für Gesundheitsstadtrat Peter Hacker steht es "außer Zweifel", dass nach dem Lockdown nicht nur der Handel, sondern auch die Gastronomie wieder aufsperren muss.
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STANDARD: Kanzler Sebastian Kurz spricht davon, dass zuerst der Handel und die Schulen aufsperren. Wann sollen in Wien wieder Events stattfinden und die Gastronomie öffnen?

Hacker: Nach dem Lockdown muss es wieder möglich sein, in ein Lokal zu gehen. Was wir brauchen, sind klare Spielregeln. Diese fordere ich von Gesundheitsminister Rudolf Anschober. Wir brauchen eine Formel, die das Kernproblem "Menschen in einem Raum" löst und dabei keine absolute Zahl ist: Je größer der Raum, desto mehr Menschen – diese Formel muss gelten, für das Burgtheater genauso wie für ein Kellertheater. In das Burgtheater passen definitiv mehr Menschen hinein.

STANDARD: Sie sind gegen eine Maximalzahl für Veranstaltungen, wie es zuletzt geregelt war?

Hacker: Ja. Die letzte gültige Regelung war: 1.500 Menschen in einem Sportstadion. 1.500 Menschen im Praterstadion ist herzig. Die sehen sich nicht einmal. Auf dem Sportclub-Platz ist das aber definitiv zu viel. 1.500 auf dem Simmeringer Sportplatz ist eine Katastrophe. Man kann sagen: Sitzplätze dividiert durch zwei oder drei oder vier. Die Formel kann man jetzt entwickeln und nächste Woche in Kraft treten lassen.

STANDARD: Am 6. Dezember soll alles wieder öffnen?

Hacker: Am 6. Dezember kann unter strengen Spielregeln der Lockdown wieder beendet werden und in einen Slowdown münden. Das heißt: Nein, man kann nicht im Rudel in den Megamarkt gehen. Warum sollen nicht die zwei Leute, die täglich ins Uhrenmuseum gehen, auch in Zukunft dorthin gehen? Und auch die großen Museen sind dazu imstande, an der Kasse zu kontrollieren, wie viele Besucher schon da sind.

STANDARD: Wird es einen dritten Lockdown geben?

"Wenn wir wieder einen auf Halligalli machen, dann ist damit zu rechnen, dass die Zahlen Ende Jänner wieder ordentlich nach oben schnalzen."

Hacker: Wenn wir wieder einen auf Halligalli machen, dann ist damit zurechnen, dass die Zahlen Ende Jänner wieder ordentlich nach oben schnalzen. Wir müssen endlich aussprechen: Es wird heuer keine Weihnachtsferien beim Skifahren geben.

STANDARD: Keine Chance?

Hacker: Nein. Nur weil wir einen Lockdown hinter uns haben und Massentests durchgeführt haben, ist die Epidemie nicht weg. Langfristige Stabilisierung ist wichtiger, als kurzfristige Erfolge zu feiern. Wenn man in der Gondel Schulter an Schulter steht, ist das kein schlauer Plan. Der Vergleich mit den Öffis hinkt: Ich brauche sie, um in die Arbeit oder in die Schule zu kommen, nicht für mein Freizeitvergnügen. (Oona Kroisleitner, David Krutzler, 27.11.2020)