Seine erste Begegnung mit Wien ist für Beethoven so richtig kacke. Ein ordentlicher Dünnpfiff zerreißt ihm andauernd die Gedärme, noch dazu in den ungelegensten Momenten. Immerhin macht der jugendliche Pianist dadurch die Bekanntschaft mit der "Kübel-Beppi", auch genannt "Scheiss-Prinzess". Die Klofrau im wahrsten Sinn des Wortes bietet gegen zwei Kreuzer eines der Fässer unter ihrem erweiterten Mantel an, auf denen man sich quasi unter ihren Fittichen entleeren kann.

Genau bei diesem Prototyp einer öffentlichen Toilette trifft Beethoven in Mikaël Ross’ Graphic Novel "Goldjunge. Beethovens Jugendjahre" auf Mozart – der eigentliche Grund, warum er im Jahr 1786, im Alter von etwa 15 Jahren, überhaupt erstmals nach Wien gereist ist.

Foto: Avant-Verlag/Ross

Aber nicht nur, dass ihm in Wien zuerst sein Geld geklaut und dann jede Tür vor der Nase zugeschlagen wird. Auch der große Mozart entpuppt sich als arroganter Miesepeter. Beethovens Plan, sein Schüler zu werden, löst sich in Luft auf. Aufgrund der Krankheit seiner Mutter muss er aber ohnehin wieder in seine Heimatstadt Bonn aufbrechen.

Erfrischend unkonventionell

Mikaël Ross’ Darstellung der ersten Wien-Reise Beethovens ist aufgrund der raren überlieferten Fakten, gerade was die Begegnung mit Mozart betrifft, hauptsächlich spekulativ. Aber genau dieses durchaus gut recherchierte Stopfen von biografischen Lücken – inklusive recht passablem Wiener Vokabular – macht diese Biografie, die zum 250. Geburtstag Beethovens erscheint, so erfrischend unkonventionell.

Mit Sonderlingen hat Mikaël Ross schon einige Erfahrung. Der 1984 geborene deutsche Comic-Künstler debütierte mit der "Lauter Leben", das von einer Punk-Freundschaft in der Hausbesetzerszene der 80er- und 90er-Jahre erzählt. Es folgten die Coming-of-Age-Erzählung "Totem" und zuletzt "Der Umfall" über einen jungen Mann mit Down-Syndrom. Das Buch wurde heuer mit dem renommierten "Max und Moritz"-Preis für das beste deutschsprachige Comic ausgezeichnet

Foto: Avant-Verlag/Ross

.Auch in Goldjunge rückt Ross seinem Protagonisten, diesmal eben einem weltberühmten Genie, ganz nahe. Gestützt auf viele Quellen, unter anderem die Notizen von Johann Gottfried und Cäcilia Fischer, den Nachbarn und Vermietern der Beethovens, begibt er sich auf Augenhöhe des Kindes und Jugendlichen, der noch weit von Ruhm und Ehre entfernt ist.

Luddi und die Hirnfresser

Der siebenjährige "Luddi" ist ein rabiater Außenseiter, dem seine Brüder ("Hirnfresser", wie er sie belegtermaßen titulierte) den letzten Nerv rauben. Von der lokalen Jugend wird er im besten Fall verspottet ("van Kackhoven"), im Normalfall aber verprügelt. Der Vater, ein versoffener Tenor, ist nicht nur finanziell am Ende, unterweist den kleinen Ludwig aber am Flügel. Auch wenn ihm der Vater verbietet, seine eigenen Kompositionen zu spielen und nur eine Note von Bach und Haydn abzuweichen: In den oberen Sphären der Bonner Gesellschaft wird er bereits als Wunderkind gehandelt.

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Schon früh ist das Klavier Beethovens Ventil. In der heruntergekommenen Wohnung in der Bonner Rheinstraße hämmert er erbarmungslos in die Tasten, wenn der Vater nicht da ist – für die Umgebung nichts als "fürchterlicher Krach". Für den verschrobenen Buben, der gern einmal seinen Wuschelkopf auf die Tastatur schlägt, beginnt die Welt zu fließen, sobald er zu spielen anfängt. Dann löst sich auch die grafische Struktur der meist in erdigen Tönen gehaltenen Graphic Novel auf und wechselt zu einem wässrigen Farbfluss, der alles mit sich reißt.

Fort will auch Beethoven, er organisiert sich Klavierunterricht, gibt in betuchten Häusern selbst welchen und dringt immer weiter in die Salons der überkandidelten Adeligen und Kurfürsten vor. Bis er auf Joseph Haydn trifft, der ihn wieder nach Wien holt, um ihn mit strenger Disziplin zu unterrichten. Kein leichtes Unterfangen, zumal sich der mittlerweile junge, stets kränkliche Erwachsene auch in Liebesdingen verstrickt. Letztendlich emanzipiert sich der oft genug als "Goldjunge" ausgebeutete Beethoven auch von Haydn – und betritt die Bühne der Jahrhundertkomponisten.

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Sozialdrama mit Punk-Attitüde

Mikaël Ross inszeniert die Jugendjahre des schäumenden Sturschädels einerseits als tiefgehendes Sozialdrama mit einer Spur Punk-Attitüde, lässt andererseits Fantasie und Humor bei der Ausgestaltung genug freien Lauf. Mit seiner gewaltigen Dynamik im Strich und einer expressiven Farbgebung, die die Klänge nur so über die Seiten fließen lässt, transportiert er stellenweise ein synästhetisches Erleben. Das zeigt sich auch in den vielen starken Episoden, in denen man die Gerüche von gepuderten Perücken, den Angstschweiß und den Gestank der Gosse fast riechen kann.

Neben "Beethoven. Unsterbliches Genie" (Carlsen Verlag), das den Lügen und Mythen rund um Beethoven nachgeht, und "Mythos Beethoven" (Knesebeck), das dessen Leben als große Komposition erzählt, ist "Goldjunge" auf jeden Fall die frechste Comic-Bio über den Meister – der auch einmal ein Kind war. (Karin Krichmayr, 15.12.2020)