Tumore werden immer besser typisiert und können mit neuen Medikamenten in Schach gehalten werden. Ein Prozentsatz der Erkrankten spricht gut auf Immuntherapie an.

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Es ist eine Frage des Zeitpunkts. Je früher, umso besser. "Leider wird das Lungenkarzinom oft erst spät diagnostiziert", sagt die Onkologin Marlitt Horn, Oberärztin an der deutschen Lungen Clinic Grosshansdorf. Der Grund hierfür ist, dass ein kleiner Tumorherd von durchschnittlich drei Zentimeter Größe noch keine Symptome verursacht. Dadurch bleibt das Krebsgeschehen unentdeckt.

Nur etwa 25 Prozent der Lungenkarzinome werden in einem Frühstadium und meist zufällig erkannt. Die sind dann operierbar, und die Betroffenen haben gute Chancen, wieder zu gesunden.

Doch bei zirka 75 Prozent der Patienten ist das nicht der Fall. "Deshalb kann die Erkrankung schon weit fortgeschritten sein, bis endlich Symptome wie Husten, Blutspucken, Heiserkeit sowie Schmerzen im Brustkorb und in den Knochen wahrgenommen werden", sagt der Wiener Onkologe Robert Pirker von der Medizinischen Universität Wien.

Mit Metastasen

"Wenn sich die Betroffenen in unserer onkologischen Ambulanz vorstellen, hat das Lungenkarzinom bei über 60 Prozent der Patienten leider bereits gestreut, also Metastasen in anderen Organen gebildet", erzählt Horn. "Dann ist die Prognose schlecht, mit einer Fünf-Jahres-Überlebensrate von 15 bis 40 Prozent bei lokal fortgeschrittenen und zirka zehn Prozent bei metastasierter Erkrankung." Dabei gibt es in den letzten Jahren beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom, das etwa 80 Prozent aller Lungenkrebserkrankungen ausmacht, beachtliche therapeutische Fortschritte.

Bis vor einigen Jahren war die einzige systemische Therapieoption für fortgeschrittene Lungentumoren die Chemotherapie. Sie erzielte eine mittlere Überlebenszeit von nur wenigen Monaten.

"Heutzutage heißt eine Lungenkrebsdiagnose nicht mehr, dass man gleich stirbt", sagt Sabine Zöchbauer-Müller, Programmdirektorin für Lungenkrebs an der Klinischen Abteilung für Onkologie der Universitätsklinik für Innere Medizin 1 am Wiener AKH. Mittlerweile sind viele verschiedene histologische Subtypen bekannt, die jeweils noch mal unterschiedlich genetische Veränderungen aufweisen können.

Typisierung des Treibers

"Hierbei ist jeder Tumor jedes Patienten individuell zu betrachten und sollte vor der Therapieentscheidung, besonders wenn der Krebs schon gestreut hat, genau analysiert werden", sagt Horn. Dadurch ist es möglich, Patienten mit nichtkleinzelligem Lungenkarzinom zielgerichteter, also abhängig vom genetischen Pool des Tumors, und individueller zu behandeln statt nach dem Gießkannenprinzip.

Bei bis zu 20 Prozent der nichtkleinzelligen Tumoren können sogenannte Treibermutationen nachgewiesen werden. Eine Treibermutation verändert das Genom in der Tumorzelle so, dass diese schneller wachsen kann.

"Die häufigste dieser Treibermutationen ist eine Veränderung im Epidermal-growth-factor-receptor-(EGFR-)Gen, die EGFR-Mutation, die einen Überlebensvorteil für den Tumor bedeutet und deshalb mit zielgerichteten Medikamenten blockiert werden soll. Deshalb wird der Tumor molekularbiologisch untersucht. "Wenn eine Treibermutation vorhanden ist, dann kann ein ganz spezifisch gegen sie wirkendes Medikament, ein Thyrosinkinase-Inhibitor, verwendet werden."

Besser verträglich

Während eine Chemotherapie vor allem schnell wachsende Zellen angreift, zerstört der Thyrosinkinase-Inhibitor nur die mutierten Zellen. Deshalb ist er auch deutlich besser verträglich. "Für den Patienten ist diese zielgerichtete Therapie beim metastasierten nichtkleinzelligen Lungenkarzinom eine große Chance, denn die Prognose verbessert sich dadurch deutlich", sagt Pirker. Die Patienten könnten teilweise unter bestmöglicher Therapie mit ihrem Lungenkarzinom eine Überlebenszeit von einigen Jahren erreichen."

Bei den mehr als 80 Prozent der nichtkleinzelligen Lungenkarzinome ohne Treibermutation hat es in den letzten fünf Jahren dank der Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren ebenfalls sehr gute Therapiefortschritte gegeben.

Krebszellen sind veränderte Körperzellen. Eigentlich ist es Aufgabe des Immunsystems, sie zu erkennen und zu entfernen. Aber die Krebszellen weichen den Immunzellen auf verschiedenen Wegen aus. Eine Immuntherapie soll bewirken, dass das Immunsystem der Patienten die Krebszellen erkennen und angreifen kann.

Dafür braucht es Immun-Checkpoint-Inhibitoren. Im Immunsystem gibt es mehrere Kontrollpunkte oder "Bremsen", die Immun-Checkpoints genannt werden. Ihre Aufgabe ist es, zu verhindern, dass das Immunsystem zu stark aktiv wird und gesundes Gewebe angreift. Die Tumorzellen nutzen nun genau diese Checkpoints, um vom Immunsystem nicht angegriffen zu werden.

Immunzellen kommunizieren für die Abwehrarbeit miteinander und mit anderen Zellen und tauschen hierfür Signale über Eiweiße wie PD-1 (Programmed cell death protein 1)oder PD-L1 (Programmed death ligand 1) aus. Viele Tumoren stellen das Oberflächeneiweiß PD-L1 in großen Mengen her und hemmen auf diese Weise jene Immunzellen, die den Tumor erkennen und bekämpfen sollten.

Voraussetzung für Immuntherapie

Die Checkpoint-Inhibitoren, also Antikörper, die sich gegen die Checkpoints wie PD-L1 richten und sie blockieren, können die Hemmung des Immunsystems aufheben. "Je mehr dieser Oberflächenproteine PD-L1 auf Tumorzellen vorhanden sind, desto größer ist der erwartete Effekt einer Immuntherapie", sagt Pirker.

Etwa ein Drittel der Patienten hat auf mehr als 50 Prozent der Tumorzelloberfläche diese Oberflächenproteine, ein Drittel hat sie auf ein bis 50 Prozent und ein Drittel auf weniger als einem Prozent der Tumorzelloberfläche. Während bei einem Prozentsatz größer 50 die Immuntherapie bei metastasiertem nichtkleinzelligem Lungenkarzinom allein einsetzbar ist, wird sie bei den anderen zwei Dritteln der Patienten mit einer Chemotherapie kombiniert.

"Die Chemo wird nach zwei- bis viermaliger Gabe beendet und die Immuntherapie allein oder in Kombination mit einem Chemotherapie-Medikament fortgesetzt. Statt ein paar Monate haben die Patienten die Aussicht auf eine deutlich verlängerte Überlebenszeit, teilweise sogar Jahre, und dies bei guter Lebensqualität", so Horn. Inzwischen sind fünf Checkpoint-Inhibitoren für die Therapie des Lungenkarzinoms zugelassen.

Wann operieren

Ist das Karzinom in einem Anfangsstadium, ist eine Operation möglich. Bei lokal fortgeschrittenen Karzinomen erfolgt häufig eine kombinierte Radiochemotherapie. Und im Anschluss daran unter bestimmten Bedingungen für ein Jahr eine Immuntherapie. Aktuell wird die Wirksamkeit der Immuntherapie in immer früheren Erkrankungsstadien in zahlreichen Studien getestet und wird dort wahrscheinlich in der Zukunft auch eingesetzt werden.

"Zudem werden immer neue molekulare Veränderungen auf Tumorzellen nachgewiesen, die wir dann im nächsten Entwicklungsschritt spezifisch anzugreifen versuchen", so Horn. Das kleinzellige Lungenkarzinom unterscheidet sich deutlich vom nichtkleinzelligen Lungenkarzinom und ist gesondert zu betrachten. Es wächst meist sehr rasch, bildet frühzeitig Metastasen und entwickelt nach zunächst oft gutem Ansprechen schnell Resistenzen auf die Chemotherapie. "Die Diagnose erfolgt bei etwa 70 Prozent der Betroffenen erst in einem Stadium, in dem bereits Metastasen vorliegen", sagt Zöchbauer-Müller bedauernd.

Fortschritt verlangsamen

Etwa 30 von 100 Betroffenen mit kleinzelligem Lungenkrebs haben einen Tumor in einem frühen oder sehr frühen Stadium. Ärzte sprechen dann von einer (Very) Limited Disease. Das heißt: Der Tumor ist auf eine Seite des Brustkorbs begrenzt. Während im sehr frühen Stadium operiert wird, weil damit eine Heilung erreicht kann, werden Patienten im späteren Frühstadium mit Chemo- und Strahlentherapie behandelt.

Haben sich bereits Metastasen gebildet, dann wird die Chemotherapie mit einer Immuntherapie kombiniert. Die Immuntherapie wird als Erhaltungstherapie fortgesetzt, kann das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen und dem Patienten eine möglichst gute Lebensqualität sichern.

Beim kleinzelligen Lungenkarzinom wurden bislang noch keine Treibermutationen gefunden, die ähnlich wie beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom eine zielgerichtete Therapie möglich machen würden. Dies liegt an der hohen Mutationsrate des kleinzelligen Lungenkarzinoms und dem sich ständig genetisch verändernden Tumor. (Gerlinde Felix, 4.12.2020)